Cortina d’Ampezzo. Ein famoses deutsches Skiteam bejubelt einen weiteren Vize-Weltmeister. In der Abfahrt rast Andreas Sander zu Silber.

Also schnappte sich Andreas Sander eben die riesige Prosecco-Pulle, so wie es im Protokoll der Siegerehrungen bei der Ski-WM in Cortina d’Ampezzo steht. Er ließ den Korken knallen, zielte Richtung Trainer und verspritzte den Inhalt. Der sonst eher ruhige Westfale wirkte auf dem Podest fast ein bisschen übermütig. Er habe „die Emotionen lange unterdrückt“, gab er zu, aber dann, als die Medaille um seinen Hals baumelte, „kam einiges hoch“.

Sander hat diese fast schon unglaubliche Erfolgsserie bei dieser Ski-WM fortgesetzt und in der Abfahrt die nächste Silbermedaille gewonnen für die deutschen Alpinen. Dreimal Edelmetall in den ersten vier WM-Rennen, das hat es noch nie gegeben. Für den 31-Jährigen ist es das erste Edelmetall in seiner Karriere, mal abgesehen von Gold bei der Junioren-WM vor 13 Jahren. „Ein perfekter Tag“, sagte er.

So oft nah dran und doch weit weg

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Der Erfolg von Sander war nicht logisch, einerseits, denn noch niemals zuvor hatte er es im Weltcup auf das Podium geschafft, und andererseits war er doch schon so oft so nahe dran, holte in den vergangenen Jahren und vor allem in dieser Saison so viele fünfte, sechste, siebte Plätze, dass man sagen kann, er war jetzt einfach an der Reihe. „Ich habe immer mit mir gehadert, weil ich immer im richtigen Moment nicht locker genug geblieben bin“, sagte er. Und die Teamkollegen geschafft haben, was ihm verwehrt geblieben ist.

Thomas Dreßen, bis zu dieser Saison, der Jüngste im Abfahrtsteam, hat mittlerweile fünf Siege, Josef Ferstl auch schon zwei. Schließlich holte der Österreich-Transfer Romed Baumann am Donnerstag auch noch die erste Medaille im Super-G seit 34 Jahren. Sander stand da etwas im Schatten. Bei dieser WM, in der Abfahrt, „da wollte ich es unbedingt zeigen“, sagte er. Aber erst bei der Siegerehrung habe er realisiert, „dass es sensationell ist“. Fast jeder andere hätte sich womöglich geärgert, dass er Gold nur um eine Hundertstelsekunde verpasste, nicht so Sander. „Da überwog die Freude“, sagte er, hinter Vincent Kriechmayr gelandet zu sein, aber immerhin noch vor dem Abfahrts-Besten der vergangenen Saison, Beat Feuz aus der Schweiz. Für Alpindirektor Wolfgang Maier ergibt es „ein rundes Bild, dass Andi das heute geschafft hat“.

Auf der Teufelswiese das Fahren gelernt

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Auf jeden Fall ist es ganz im Sinne des guten Betriebsklimas in der Mannschaft. „Ich freue mich einfach nur, dass es für Andi endlich gereicht für das Podium“, sagte Thomas Dreßen. Dem erfolgreichsten deutschen Abfahrer hätten viele vermutlich eher als Sander zugetraut, in der Königsdisziplin eine Medaille zu holen, trotz der Hüftoperation im Dezember. Aber er landete bei seinem Comeback-Rennen auf dem 18. Platz und entschied, in dieser kein Weltcuprennen mehr zu bestreiten. Auch Romed Baumann war nach seiner Medaille im Super-G zumindest als Geheimfavorit gehandelt worden. Der 35-Jährige wurde mit einer späteren Startnummer jedoch nur 14. und nimmt zudem neben seiner Medaille eine schmerzhafte Erinnerung mit von der WM. Im Ziel stürzte er, rutschte unter die Matte an der Bande durch und zog sich dabei ein paar Cuts im Gesicht sowie eine Gehirnerschütterung zu.

Sander hatte einst auf der Teufelswiese, einem kleinen Hügel in der Nähe seines Heimatortes Ennepetal, das Skifahren gelernt, und früh sein Talent unter Beweis gestellt. Aber es war ein langer zäher Weg vom Junioren-Weltmeistertitel 2008 bis zur Medaille in Cortina d’Ampezzo. Zwar gelingt nur wenigen im Weltcup auf Anhieb der Sprung unter die Besten, doch Sander, der mittlerweile in Oberstdorf lebt, stagnierte viele Jahre. Und wenn es endlich einen Schritt nach vorne ging, bremste ihn eine Verletzung. Der Kreuzbandriss 2013 kostete ihn die WM in Schladming, der zweite Ende 2018 die Teilnahme an den Titelkämpfen in Are. Die Trainer lobten stets seine Akribie, seine Professionalität, aber mit seinem Perfektionismus stand Sander sich vielleicht manchmal selbst im Weg.

Nun kann er endlich loslassen. Auf jeden Fall einen Abend lang. Dreßen hatte schon bei der Siegerehrung wissen, dass der „bereit“ sei für eine große Sause mit dem Kollegen, die nächste im Hotel Mirage. Die Gefahr, dass den Deutschen die Prosecco-Vorräte angesichts des Medaillensegens langsam ausgehen könnten, besteht nicht. „Wir haben den Müller Flo dabei“ sagt der Alpinchef. „Das ist unser Prosecco-Dealer.“ Im Hauptberuf ist Florian Müller übrigens Mediziner.