Essen. Deutschland war immer eine Torwart-Nation. Doch hinter der aktuellen Generation fehlt der Nachwuchs. Woran liegt das?
Manuel Neuer wird eines Tages eine Lücke reißen, die viel größer sein wird als diese knapp 18 Quadratmeter Fußballtor. Seit der Weltmeisterschaft 2010 ist der 35-Jährige die unangefochtene Nummer eins beim Deutschen Fußball-Bund (DFB). Und auch wenn Torhüter in der Regel länger Bälle halten als ihre Mitspieler auf dem Feld dribbeln, verteidigen und Tore erzielen können, dauern ihre Karrieren nicht ewig an. Bei der Heim-EM 2024 etwa wäre Neuer schon 38 Jahre alt.
Bislang hatte der DFB ja immer den Luxus, dass im Schatten des Vorzeigekeepers ein großes Talent heranwuchs: Sepp Maier löste Hans Tilkowski ab. Toni Schumacher folgte auf Maier. Dann kamen Eike Immel, Bodo Illgner und Andreas Köpke. Später Oliver Kahn und Jens Lehmann. Bei allen Problemen und Sorgen: Auf einen Weltklasse-Torwart konnte sich der Verband stets verlassen.
Ter Stegen, Trapp und Leno dürften bis zur WM 2026 in Rente gehen
Das könnte sich allerdings in absehbarer Zukunft ändern. Marc-André ter Stegen (29) vom FC Barcelona gehört neben Neuer zwar zu den besten Torhütern der Welt. Auch die zweite Reihe mit Kevin Trapp (31/Eintracht Frankfurt) und Bernd Leno (29/FC Arsenal) kann sich international durchaus sehen lassen. Doch in Richtung Weltmeisterschaft 2026 dürfte auch diese Generation allmählich in Rente sein.
Der frühere Bundesliga-Keeper Marc Ziegler (unter anderem Borussia Dortmund), seit 2015 Torwart-Koordinator des deutschen Nachwuchses, soll das Problem lösen. „Eine kleine Delle“ könnte es möglicherweise geben, wenn Neuer und Co. aufhören, erklärte der 45-Jährige in einem Interview, das der DFB veröffentlicht hat. „Wir können die Jungs trainingstechnisch und taktisch super ausbilden. Dort haben sie auch ein sehr gutes Niveau“, sagt Ziegler. „Das Entscheidende ist aber, sie zum Spielen zu bekommen.“
Einsatzzeit deutscher Torhüter in der Bundesliga gesunken
Doch die Einsatzzeit der deutschen Torhüter in der Bundesliga ist in den vergangenen Jahren stark gesunken. Vor zehn Jahren etwa waren der Schweizer Diego Benaglio (VfL Wolfsburg) und der Tscheche Jaroslav Drobny (Hamburger SV) die einzigen ausländischen Stammkeeper, vor 20 Jahren waren es vier.
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Inzwischen hat sich die Verteilung deutlich verändert. Allgemein ist die Bundesliga in den vergangenen Jahren ja viel internationaler geworden – auf allen Positionen, nicht nur im Tor. Dort wird aber praktisch nie rotiert. Sieben Plätze sind von ausländischen Schlussmännern belegt: Es spielen die Schweizer Gregor Kobel in Dortmund und Yann Sommer in Gladbach, der Ungar Peter Gulacsi bei RB Leipzig, der Finne Lukas Hradecky in Leverkusen, der Belgier Koen Casteels beim VfL Wolfsburg, der Niederländer Mark Flekken in Freiburg und der Pole Rafal Gikiewicz in Augsburg.
Italien hat Gianluigi Donnarumma – Der 22-Jährige hat schon 250 Pflichtspiele absolviert
Einer vom Format des Italieners Gianluigi Donnarumma (22) müsste sich vor diesen Namen freilich nicht verstecken. Doch so einen gibt es derzeit nicht in der eigentlichen Torwart-Nation. Mit 16 Jahren debütierte der Europameister für den AC Mailand, er hat inzwischen über 250 Pflichtspiele absolviert. „Diese Spiel-Erfahrung ist unter anderem der Grund für seine Position als internationaler TopTorhüter“, sagt Ziegler: „Da müssen wir hinkommen, wenn wir weiterhin eine führende Rolle in der Torwart-Weltspitze spielen wollen.“
Wie Italien haben auch Spanien (Unai Simon von Athletic Bilbao/24) sowie England mit Jordan Pickford (27/Everton) und Aaron Ramsdale (23/Arsenal) jüngere Keeper. Mike Maignan (26/AC Mailand) steht als Erbe von Hugo Lloris (34) in Frankreichs Tor parat.
Ex-Dortmunder Marc Ziegler nimmt Vereine in die Pflicht
In Deutschland hat es schon seit einigen Jahren kein U21-Torhüter mehr in die A-Nationalmannschaft geschafft. „Wir müssen die Vereine dafür sensibilisieren und versuchen, die Jungs gemeinsam wieder in die Bundesliga zu bringen“, sagt Marc Ziegler. Zwei, die es mit Verspätung noch packen könnten, sind Florian Müller (23), der in Stuttgart den zu Borussia Dortmund abgewanderten Kobel ersetzen soll, und Alexander Nübel. Der frühere Schalker, auch schon 25 Jahre alt, ist vom FC Bayern nach Monaco ausgeliehen, um Spielpraxis zu sammeln. Manuel Neuer war in diesem Alter schon Deutschlands Fußballer des Jahres.