Skopje. Über viele Jahre prägte Toni Kroos das Spiel der DFB-Elf. Nun übernehmen Leon Goretzka und Joshua Kimmich das Kommando im Mittelfeld.
Natürlich war Joshua Kimmich vor dem Elfmeter hochfokussiert, Joshua Kimmich ist ja immer hochfokussiert. Wahrscheinlich liegt er auch nachts mit voller Körperspannung im Bett und träumt überaus konzentriert. Nun aber der Elfmeter: Anlauf, Schuss, Treffer, der Torhüter hatte keine Chance. Der einzige Schönheitsfehler aus Kimmichs Sicht war, dass dieser Torhüter Kimmich hieß. Vor dem Abschlusstraining hatte er sich spaßeshalber zwischen die Pfosten gestellt, die Versuche von Thomas Müller und Niklas Süle aber nicht abwehren können.
Kapitän Manuel Neuer rechtzeitig fit
Wenn es am Montagabend in der Tose-Proeski-Arena im aktuell sehr verregneten Skopje gegen Nordmazedonien (20.45 Uhr/RTL) um die Qualifikation zur Weltmeisterschaft 2022 geht, wird Kimmich mit ziemlicher Sicherheit nicht im Tor stehen. Kapitän Manuel Neuer ist rechtzeitig fit geworden, sein Vertreter Marc-André ter Stegen ist ja auch kein ganz schlechter, während Kimmich bislang als Torhüter nicht aufgefallen ist.
Ansonsten hat er schon einiges gespielt in seinem Fußballerleben: defensiver Mittelfeldspieler, Rechtsverteidiger, der frühere Bayern-Trainer Pep Guardiola hat ihn in der Champions League gegen Juventus Turin sogar mal in der Innenverteidigung aufgestellt – und natürlich hat Kimmich auch das mit seinen gerade einmal 1,77 Metern Körpergröße ordentlich gelöst.
Hansi Flick experimentiert mit Jonas Hofmann
Künftig dürfte der 26-Jährige nicht mehr so viel herumgeschoben werden, zumindest nicht in der Nationalmannschaft. Der neue Bundestrainer Hansi Flick experimentiert auf der Rechtsverteidiger-Position lieber mit dem Offensivspieler Jonas Hofmann.
Denn Kimmich, so hat sich Flick festgelegt, gehört ins Zentrum, auf die strategisch so wichtige Position vor der Abwehr – neben Leon Goretzka. So ist es auch gegen Nordmazedonien zu erwarten. Kimmich und Goretzka sind das neue Kraftzentrum der Nationalmannschaft, das hat das Spiel gegen Rumänien (2:1) eindrücklich gezeigt. Und sie schicken sich endgültig an, die Nationalmannschaft zu ihrer Mannschaft zu machen.
Löw-Fußball war lange Zeit Kroos-Fußball
„Die beiden sind eines der besten Mittelfeldduos, die es aktuell gibt“, lobt Bundestrainer Flick. Das waren sie auch schon in den vergangenen Jahren beim FC Bayern, als der noch von Flick trainiert wurde. Aber da hieß der Bundestrainer noch Joachim Löw und dessen Fixpunkt war Toni Kroos. Kroos spielte im Zentrum, Kroos spielte immer, und deswegen wurde Kimmich im Zweifel nach rechts hinten geschoben – wie bei der Europameisterschaft.
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Löw-Fußball war Kroos-Fußball, mit viel Ballbesitz, kurzen Pässen, geduldigem Aufbau – auch dann noch, als Löw nach dem WM-Debakel 2018 einen Wandel zu direkterem Umschaltfußball ankündigte. Und die Mannschaft war eine Kroos-Mannschaft: Spielte er gut, spielte Deutschland gut, im besten Fall erstaunlich dominant. Spielte er nicht gut, geriet das deutsche Spiel behäbig und das Mittelfeld wurde überrannt.
Goretzka und Kimmich nun Motor der Mannschaft
Aber Kroos und Löw sind nicht mehr da, beide haben nach der EM ihren Platz geräumt. Und ein Vakuum ist nie entstanden, weil Flick machte, was er schon in einer seiner ersten Amtshandlungen beim FC Bayern machte: Er beorderte Kimmich zurück ins Zentrum, wo er und Goretzka mit Dynamik, Technik und Spielwitz den Motor der Mannschaft bilden.
„Sie ergänzen sich top“, erklärt der Bundestrainer. „Sie sind beide absolute Vollprofis, die einen enormen Siegeswillen haben.“ Gegen Rumänien hätten beide „als Taktgeber das Spiel mit angetrieben und das Tempo hochgehalten“. Fast unwirkliche 160 Ballkontakte sammelte Kimmich, er spielte 143 Pässe, von denen 91 Prozent ihr Ziel fanden. Vier Torschüsse legte er auf, mehr als jeder andere Spieler. Goretzka kam auf drei, darunter aber immerhin der Kopfball, der Thomas Müller den späten Siegtreffer auflegte.
Flick lobt die neuen Kommandeure im Mittelfeld
Doch der Einfluss der beiden ist nicht nur in Zahlen zu messen. Das die deutsche Mannschaft das Spiel gegen Rumänien trotz schwachen Starts und frühen 0:1-Rückstands noch drehte, dass Flick später ausdrücklich Mentalität und Einsatz lobten, das war den Kommandeuren im Mittelfeld zu verdanken, die den Kollegen und dem Spiel mehr und mehr ihren Willen aufzwangen; die lenkten, motivierten und Mitspielern auch mal klare Ansagen machten, wenn die die falschen Entscheidungen trafen.
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Goretzka und Kimmich verstehen sich auch privat hervorragend: In der Corona-Pandemie gründeten sie gemeinsam ein Hilfsprojekt, spendeten viel Geld und Zeit und sammelten insgesamt über sechs Millionen Euro für wohltätige Zwecke ein. Auf dem Platz allerdings ist von dieser karitativen Ader wenig zu sehen, darauf sollte sich auch Nordmazedonien einstellen. Mit einem Sieg kann die deutsche Nationalmannschaft die vorzeitige WM-Qualifikation schon klarmachen – und das Kraftzentrum im Mittelfeld wird alles dafür tun.