Essen. Der Europapokal schrieb die besten Geschichten, wenn Außenseiter wie der BVB triumphierten. Das ist heute kaum möglich – auch ohne Super League.

Guck an, in dieser Woche ist ja schon wieder Champions League. Halbfinale sogar. Real Madrid gegen den FC Chelsea am Dienstag und Paris Saint-Germain gegen Manchester City am Mittwoch (beide 21 Uhr/Sky und DAZN). Hat man gar nicht mehr auf dem Schirm gehabt, obwohl man es wissen sollte, wenn man beruflich mit Sport zu tun hat. Wusste man früher auch immer. Früher waren das ja Festtage des Fußballs. Und heute?

Früher war alles besser – dieser Gedanke lässt sich im Fußball an vielen Stellen leicht widerlegen. Die Spiele sahen aus heutiger Sicht so aus, als liefen sie in Zeitlupe. In den Achtzigern gaben Nazis und Hooligans in den Kurven den Ton an. Die Stadien waren halbleer, zugig und nass, vielerorts brauchte man Ferngläser, weil noch eine Laufbahn die Ränge vom Rasen trennte.

Magath und Ricken schufen Bilder für die Ewigkeit

Aber Europapokalspiele waren etwas Besonderes. Sie schufen unvergessliche Bilder. Wie Felix Magath den Hamburger SV 1983 mit dem 1:0 über Juventus Turin zum Europapokalsieg der Landesmeister schoss. Wie Ricken ebenfalls gegen die Alte Dame zum 3:1 lupfte – jetzt, ja, kommentierte Marcel Reif 1997 – und Borussia Dortmund den Champions-League-Sieg brachte. Das hat jeder vor Augen, der sich damals für Fußball interessierte.

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Dieses Jahr haben sich die denkwürdigsten Szenen neben dem Platz abgespielt. Drei der vier Halbfinalisten zeigten der Champions League den ausgestreckten Mittelfinger. Chelsea, City und Real wollten lieber ihr eigenes Ding machen: die Super League, eine geschlossene Gesellschaft, die den Vorteil hätte, dass die Großklubs die vielen Millionen nicht mehr mit kleineren Vereinen teilen müssen.

Brachte die Basis die Super League zu Fall?

„Für manche Menschen existieren keine Solidarität und keine Einheit, sondern lediglich die eigenen Taschen“, schimpfte mit einigem Recht Uefa-Präsident Aleksandar Ceferin, der auf einmal den Robin Hood in sich entdeckte und mit den Fans in Europa gegen dieses Projekt kämpfte. Dieser heldenhafte Widerstand der Basis brachte das Wahnsinnsprojekt zu Fall, das ist die fußballromantische Erzählung. Die profanere erzählt von einer unmissverständlichen Botschaft aus dem Kreml an Chelsea-Eigner Roman Abramowitsch, die vom Staatskonzern Gazprom gesponsorte Champions League nicht zu beschädigen. Anderen missfiel, dass die Spur des Geldes hinter der Super League nach Saudi-Arabien führte. Hinzu kam politischer Druck, zudem hatten die Rebellen nicht an TV-Partner und Sponsoren gedacht.

Hohn und Spott gab es gratis. Der SV Darmstadt twitterte, dass er nicht zur Verfügung stehe. Haha, Darmstadt in Europas Spitze – lustig, lustig. Aber: Das war ja mal denkbar, dass sich ein Klub mit guter Arbeit den Weg aus den Niederungen der zweiten Liga nach ganz oben bahnt. Der HSV, der heute nicht einmal aufsteigen kann, konnte einmal beste Mannschaft Europas werden. Ebenso der BVB, dem heute als höchstes der Gefühle der DFB-Pokal bleibt.

Katar gegen Abu Dhabi, ein Oligarch gegen den spanischen Staat

Dabei gehen wir doch zum Fußball, weil wir nicht wissen, wie es ausgeht, hat der große Sepp Herberger gesagt. Der Glaube, dass der Tellerwäscher Millionär und der Dorfklub Meister werden kann – dieser Glaube ist der Kitt, der Sport und Gesellschaft zusammenhält.

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In Wahrheit geht die Schere immer weiter auseinander. Wer nach oben will, braucht dafür die Millionen eines Brausekonzerns oder gleich eines ganzen Staates. Nehmen wir das aktuelle Halbfinale: „Katar spielt gegen Abu Dhabi und ein russischer Oligarch gegen den spanischen Staat“, lästert Sky-Experte Ewald Lienen, der ewige Fußball-Klassenkämpfer. Deren Millionen fließen in Spieler, allein City häufte seit Einstieg der Scheichs ein Transferdefizit von 1,4 Milliarden Euro an. Die Stars bringen Erfolg, und der bringt weitere Millionen.

Längst gibt es eine Super League light

So bildet sich längst eine Super League light, spätestens in der K.o.-Runde ist Europas Elite unter sich. Und wenn ein Klub wie Ajax Amsterdam mal wie 2019 ins Halbfinale vordringt, gilt das als Sensation – in den Neunzigern war es die Regel. Vor 1992, als der Wettbewerb noch Europapokal der Landesmeister hieß und wirklich nur die Meister dabei waren, zählten Roter Stern Belgrad und Steaua Bukarest zu dessen letzten Gewinnern.

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Seitdem gab es viele Reformen: eine Gruppenphase, die Ausweitung auf bis zu vier Klubs pro Land, neue Regeln zur Verteilung des Geldes. Das Ergebnis stets: Die Reichen wurden noch reicher. 81 Prozent der Uefa-Mehreinnahmen fließen an 4,5 Prozent der Klubs – während 700 Vereine schlechter dran sind als vorher. Das beklagt European Leagues, eine Vereinigung von 990 Klubs aus 36 Ligen in 29 Ländern. Die Folge: 85 Prozent aller Uefa-Wettbewerbsspiele seien vorhersehbar. Tatsächlich war der FC Porto 2004 der letzte Überraschungssieger und der letzte, der nicht aus einer der fünf großen Ligen stammt.

Neue Reformen für die Großen

Längst hat sich eine Elite aus 15 bis 20 Klubs gebildet, die auch von der jüngsten Reform profitieren wird: Ab 2024 gibt es zehn statt sechs Vorrundenspiele und vier zusätzliche Startplätze – zwei für in der Vergangenheit erfolgreiche Klubs, die sportlich aber nicht qualifiziert sind. Wer reich ist, soll reich bleiben. „Der Gott des Geldes wird immer größer, irgendwann verschlingt er alles“, klagte einst Christian Streich, Trainer des kleinen SC Freiburg.

Übrigens: Uefa-Präsident Ceferin, der öffentlich über die Geldgier der Super-League-Macher schimpfte, verhandelt laut Nachrichtenagentur Bloomberg klammheimlich mit der Investmentfirma Centricus über ein Invest in die Champions League, das 6 Milliarden Euro bringen soll. Der Gott des Geldes ist noch lange nicht satt.