Istanbul. Den Formel-1-Rennställen stehen 2021 massive Einschnitte bevor. Die Frage, wo das Zugpferd der Serie künftig fährt, wird daher immer wichtiger.

Es ist wohl Ansichtssache, was der größere Kampf für Lewis Hamilton sein wird: der beim Großen Preis der Türkei, um schon morgen zum siebten Mal Weltmeister zu werden? Oder der sich anschließende Poker am Verhandlungstisch mit Mercedes-Teamchef Toto Wolff um seine Zukunft? Für die Formel 1 insgesamt ist die Geldmeisterschaft nicht nur in der Corona-Saison, sondern auch in den kommenden Jahren die ganz entscheidende Frage.

Plant Lewis Hamilton heimlich seinen Abgang?

Auch interessant

Hamilton, den es mit Stolz erfüllen würde, wenn er Michael Schumachers Bestmarke egalisieren könnte, hat sich auch im Vertragspoker in die Pole-Position gebracht. Da reichte nach dem letzten Sieg in der Emilia Romagna der scheinbar achtlos hingeworfene Nebensatz, dass es „keine Garantie“ gäbe, dass der Champion im neuen Jahr noch dabei sei. Seither glauben Verschwörungstheoretiker, dass der Brite einen Abgang a la Nico Rosberg machen könne.

Das muss sogar seinen Chef und Vertrauten Toto Wolff etwas erschrocken haben, der selbst noch um seine Zukunft bei Mercedes ringt. Ums Honorar geht es dabei vorrangig auch bei ihm nicht – sondern um die Gestaltung seiner Rolle. Wie sein Chauffeur besitzt Wolff als Weltmeistermacher eine Ausnahmestellung, und ebenfalls ähnlich wie Hamilton will er nicht immer nur Mehr, sondern auch immer Neues.

Ziehlt Lewis Hamilton auch bei WM-Titeln mit Michael Schumacher gleich?

In Istanbul spricht Hamilton darüber, warum die Verhandlungen noch nicht weiter sind als bisher – einem Stadium der Annäherung. Es gehe um Dinge, die weiter über das Fahren eines Rennwagens hinaus gingen. Der 35-Jährige spricht von den Themen Umwelt und Diversität, da möchte er helfen, darüber werde diskutiert. Der Vertrag beschäftigt ihn, aber offenbar nicht über alle Maßen: „Natürlich denke ich, dass es einfach wäre, zu unterschreiben und dann nicht mehr daran denken zu müssen. Aber ich denke, das tun wir, wenn der Job erledigt ist, spätestens bis Ende des Jahres.“ Erst gehe es darum, Fakten auf der Rennstrecke zu schaffen – was angesichts von 85 Punkten Vorsprung auf den Teamkollegen Valtteri Bottas für den Seriensieger im Normalfall kein großes Problem darstellen dürfte. Hätte er morgen abend noch 78 Zähler Vorsprung, wäre er durch: „Ich wäre unglaublich stolz, mit einer Ikone wie Michael Schumacher gleichzuziehen.“

Zurück zur Normalität im Jahr 2021?

Auch interessant

Der Poker im Hause Mercedes bleibt nicht ohne Folgen für das G esamtgebilde der Formel 1. Derzeit ist niemand in Sicht, der annähernd seine Popularität besitzt. Liberty Media und das Serienmanagement braucht ein Zugpferd, schließlich ist gerade ein Rennkalender für 2021 veröffentlicht worden, der mit der Maximalzahl von 23 Rennen so tut, als hätte es die Pandemie nicht gegeben. Zurück zu Normal ist die Botschaft, und das bedeutet in der Königsklasse immer: hin zum großen Geschäft. Der erste Grand Prix in Saudi-Arabien, der im November in der Hafenstadt Dschidda ausgetragen werden soll, ist ein Signal dafür. Deutschland, die willkommene Aushilfe in diesem Jahr, ist aus finanziellen Gründen nicht dabei.

Die Formel 1 hat ihre Corona-Saison als erste der großen weltweiten Serien gestartet, und bis auf Einzelfälle gut im Griff gehabt, so lange sie in Europa gefahren ist. Das Rennen in der Türkei und das nächste in Bahrain müssen reibungslos über die Bühne gehen, dann fließen zumindest alle Fernsehgelder. Garantiert sind den zehn Rennställen aber nur die Bonuszahlungen, die Beteiligung an den Antrittsgeldern ist geschmolzen – schließlich musste die Formel 1 angesichts der meisten Rennen ohne Zuschauer die Veranstalter bezahlen, statt umgekehrt. Der Verlust von Rechteinhaber Liberty Media allein im dritten Quartal belief sich auf fast 100 Millionen Dollar. Zwischen 30 und 50 Millionen Dollar fehlen jedem Team dadurch aufs Jahr. Noch so eine Saison würden nicht alle durchstehen.

Die Rennställe werden sich umstellen müssen

An die Kürzungen werden sich alle gewöhnen müssen, durch ein neues Ausschüttungssystem werden vor allem die Top-Rennställe bestraft. Sie sollen auch durch eine Budgetdeckelung auf 145 Millionen Dollar pro Jahr eingebremst werden, die massive Abrüstung bei den zum Teil 1000 Mitarbeiter umfassenden Rennställen hat bereits begonnen. Das reicht der Regelbehörde FIA aber offenbar noch nicht, sie möchte auch eine – rechtlich umstrittene – Gehaltsgrenze für die Fahrer in der Formel 1 einführen, die in den bisherigen Beschränkungen noch ausgenommen sind. Lewis Hamilton dürfte bestimmt darüber liegen, selbst wenn es wie bisher bei den kolportierten 40 Millionen Dollar bleiben würde. Mercedes-Teamchef Toto Wolff hat mit dieser Summe kein Problem: „Die besten Fahrer der Welt sollen wie andere Sportstars auch entsprechend verdienen.“