Istanbul. Der deutsche Formel-1-Pilot muss in der kommenden Saison sein Ego hinten anstellen. Lernen kann er vom ärgsten Rivalen Hamilton.

Die Rückkehr der Formel 1 in die Türkei auf den Istanbul Park Circuit ist für Sebastian Vettel eine Reise in die eigene Vergangenheit. 2006 durfte er seine ersten Trainingseinheiten im BMW an einem Rennwochenende absolvieren, es war für den Heppenheimer der Beginn einer Karriere, die zu vier Weltmeistertiteln mit Red Bull geführt hat. Aktuell dümpelt er mit Ferrari auf dem 14. Rang der WM-Wertung. Aber nur noch viermal, dann ist er erlöst – und wird beim zum Werksteam von Aston Martin aufsteigenden Racing-Point-Rennstall als Heilsbringer erwartet. Die erste Aufgabe des 33-Jährigen dort: aus dem Team sein Team machen.

Ob er diese Erwartungen erfüllen kann? Sebastian Vettel muss dazu einen Spagat schaffen – zwischen dem Egomanen, der auf die Rehabilitation seiner eigenen Karriere fokussiert ist, und dem Teamplayer, den Aston Martin so dringend braucht, um den Rennstall sportlich nach vorn zu bringen. Wie das funktioniert, lässt sich perfekt an Lewis Hamilton studieren, dem Vettel viel Respekt entgegenbringt.

Nur Bottas kann Hamilton einholen

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Der Brite kann schon beim Großen Preis der Türkei an diesem Sonntag (11.10 Uhr/RTL/Sky) seinen siebten WM-Titel einfahren, den sechsten in den letzten sieben Jahren. Theoretisch könnte ihn nur noch Mercedes-Teamkollege Valtteri Bottas aufhalten, der aber fast aussichtslose 85 Punkte zurückliegt. Hamilton braucht nur noch sieben Zähler zur Titelverteidigung und um mit Michael Schumacher in dieser Wertung gleichzuziehen. Mit einem Sieg, es wäre der zehnte in diesem Jahr, wäre er durch.

Doch was lässt einen Motorsportler über seine 93 Rennsiege hinaus zum Leitwolf werden? Hamilton hat mehr unter Kontrolle als nur sein überlegenes Auto. Seine Ausnahmestellung und damit die Pole-Position im anstehenden Vertragspoker hat nicht bloß mit einem gesunden Selbstbewusstsein oder dem Hang zur Selbstdarstellung zu tun, sondern vor allem mit einer Erkenntnis. Wer auf Dauer Erfolg haben will in der Formel 1, der muss ein überzeugter und überzeugender Teamplayer sein. Anders als beim allein gegen alle auf der Piste ist der Perspektivwechsel fällig: einer für alle. Das mag der Grund sein, warum durchaus talentierte Piloten wie Kimi Räikkönen oder Felipe Massa nie zu echten Anführern wurden. Sie dachten entweder zu sehr an sich oder zu viel an andere – am Ende setzt sich aber nur der durch, der alles in Balance bringt.

Wettkampf der großen Egos

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Daran ist auch Fernando Alonso, der Meister der Kontroverse, während seiner Karriere immer mal wieder gescheitert. Als er 2007 bei McLaren-Mercedes am Rookie Hamilton scheiterte, entwickelte sich im Rennstall ein Disput, gegen den die bis dato als Maßstab für Egoismus geltende Rivalität zwischen Ayrton Senna und Alain Prost wie ein Kindergeburtstag wirkte. Alonso und Hamilton schenkten sich nichts in puncto Gemeinheiten. Nur eben, dass der damals erst 22 Jahre alte Hamilton früh begriffen hatte, die Mannschaft hinter sich zu bringen. Ausnahmepiloten verfügen auch über die Fähigkeit, das ganze Team zu motivieren und zu mobilisieren.

Die Rolle als echter Steuermann funktioniert in der Regel nur, wenn das nächstgrößere Ego, dass des Team- oder Firmenchefs, mit dieser Ausnahmestellung klarkommt. Dass bei Ferrari zuletzt große Piloten wie Alonso oder Vettel scheiterten, liegt auch am Habitus des Arbeitgebers: Niemand darf auf Dauer in Maranello größer erscheinen als die Marke mit dem Pferd. Dieser Stolz gilt auch bei den Mechanikern, entsprechend schwierig ist es, sich dort Rückhalt zu verschaffen. Schumacher gelang das früh. Als sich bei Testfahrten einer der Männer das Bein brach, ließ er ihn mit seinem Privatjet nach Hause fliegen. Mit dieser Geste stieg er im Ansehen, das sich mit dem sportlichen Erfolg zu Ehrfurcht auswuchs.

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Lewis Hamilton erlaubt sich viel, und Mercedes-Chef Toto Wolff lässt ihn an der langen Leine. Der Manager weiß, dass der 35-Jährigen nur über die Freiheit auch die optimale Leistung entwickeln kann. Ein einfacher Charakter ist Hamilton beileibe nicht. Aber einer, von dem Vettel sich noch viel abschauen kann