Paris. Wegen der Corona-Auflagen feiert das Tennis-Duo seinen Coup bei den French Open im kleinen Kreis. Der Sieg hat historische Bedeutung.

Es ging bei den French Open in Paris schon auf den Sonntag zu, als Andreas Mies noch einmal seinen Tennis-Bruder Kevin Krawietz im Siegestrubel zur Seite nahm. „Das war einfach eine absolute Mörderleistung“, sagte Mies mit leicht belegter Stimme, „ich bin wirklich sehr, sehr stolz auf uns.“ Dann fielen sie sich wieder und noch einmal in die Arme, die beiden verrückten Deutschen, die aufs Neue die Grand-Slam-Welt auf den Kopf gestellt und nicht zuletzt sich selbst „monstermäßig“ (Mies) überrascht hatten.

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Es war nichts weniger als das filmreife Wunder, Teil zwei, das der elegante Coburger Techniker Krawietz (28) und der kraftvoll-zupackende Kölner Mies (30) in den roten Sand von Roland Garros gezeichnet hatten, diese mustergültig geglückte Titelverteidigung im seltsamen French-Open-Herbst. „Ich kann nicht glauben, dass ich das jetzt sagen darf: Wir sind wieder Champions, wir haben den Pott“, erklärte Krawietz nach dem souveränen 6:3, 7:5-Endspielsieg über die kroatisch-brasilianische Paarung Mate Pavic und Bruno Soares.

Krawietz/Mies begannen ihre Erfolgsstory 2017 in Meerbusch

Von wegen Mission Impossible: Der Pokalgewinn 2020 war auf einmal die Krönung der absurden, unwirklichen Wegstrecke, die Krawietz und Mies seit ihrem ersten gemeinsamen Auftritt beim Challenger-Turnier 2017 in Meerbusch hinter sich gebracht hatten. „Das ist der geilste Moment, den wir je gemeinsam hatten“, gab Mies siegestrunken zu Protokoll, „ich könnte vor Freude die ganze Hütte abreißen hier.“

Als komplette Nobodys hatten sie im Frühling 2019 Paris wie im Sturm erobert, es war ein Blitzschlag, der die gesamte Tennis-Hierarchie durcheinander wirbelte. Danach tauchten sie wieder ab und weg, sie litten verspannt unter dem eigenen und öffentlichen Erwartungsdruck, spielten nicht mehr so unbeschwert, locker und leicht wie bei ihrem Coup unterm Eiffelturm.

Corona-Pandemie setzt auch Krawietz/Mies zu

Bis sie sechzehn Monate später wieder nach Paris zurückkamen, an den Schauplatz des magischen Triumphs. Einmal drin im French-Open-Geschehen, schüttelten die kongenialen Partner alle möglichen Beschwernisse wie selbstverständlich ab: Den Siegesdruck, die schwierigen äußeren Bedingungen mit Kälte und Nässe, die mitunter beklemmende Atmosphäre im Corona-Zeitalter, die sportlichen Enttäuschungen der zurückliegenden Monate.

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Und natürlich auch die sportliche Konkurrenz, die Herausforderung durch Rivalen, die das Gespann „KraMies“ viel besser kannten als bei der Hurra-jetzt-kommen-wir-Mission des Vorjahres. „Der zweite Sieg, der ist viel wertvoller jetzt“, sagte Tennis-Altmeister Boris Becker, einer der ersten Gratulanten des Ausnahme-Doppels, „sich oben auf dem Gipfel zu behaupten, da ziehe ich ganz einfach meinen Hut vor.“

Krawietz half während des Corona-Lockdowns in einem Supermarkt aus

Krawietz und Mies hatten sich in den Wochen des großen Lockdowns im Frühjahr nicht mit irgendwelchen Nichtigkeiten oder Gelangweiltheit hervorgetan, das überließen sie lieber anderen Profikollegen. Krawietz sorgte weltweit für Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass er in einem Lidl-Geschäft im Münchner Speckgürtel aushalf, er selbst hatte da „gar kein großes Ding draus gemacht“: „Ich wollte eigentlich keine Aufmerksamkeit dafür, ich dachte einfach, ich könnte was Sinnvolles machen, weil sie Leute suchten für Aushilfsjobs.“ Auch Mies machte sich nützlich, er fuhr für die Diakonie Essen aus, für Bedürftige, Obdachlose, sozial schwache Familien. „War für mich selbstverständlich, da mit anzupacken“, sagte er, ganz auf Wellenlänge mit seinem Partner Krawietz.

Auf dem Tennisplatz fanden sie spät, aber noch genau rechtzeitig zu alter gemeinsamer Stärke und Entschlossenheit zurück, nachdem sie lange auch in diesem Jahr ständig versucht hatten, „irgendwas Besonders zu spielen“, so Mies, „wir hatten uns schlicht zu viele Gedanken gemacht.“

Krawietz/Mies ohne Fortune bei den US Open und am Hamburger Rothenbaum

Auch bei den US Open und am Hamburger Rothenbaum zuletzt passte wenig zusammen, die Saison steuerte auf ein unerfreuliches, frustrierendes Ende zu. Insgeheim habe man schon ein wenig auf 2021 spekuliert, gab Krawietz zu, auf eine Renaissance in der nächsten Saison. Auf mehr Durchschlagskraft, auf mehr Erfolgserlebnisse.

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Und nun das, plötzlich und unerwartet: zwölf Siege in Serie im roten Grand-Slam-Paradies von Paris, eine historische Titelverteidigung, ein solider, stabiler, selbstsicherer Auftritt. Dazu der Eintrag ins Geschichtsbuch: 2019 gewannen Krawietz und Mies als erstes DTB-Gespann wieder in Paris, 2020 sind sie das erste rein deutsche Doppel mit mehr als einem Major-Pokal. „Wer uns das alles Mitte September prophezeit hätte“, sagte Mies, „dem hätte ich gesagt: Du hast zu viel Bier getrunken.“ Das alles sei „unbeschreiblich, fantastisch, krass, nur noch irre“, so Mies, „es wird sicher noch Momente geben, wo ich aufwache und denke: Ist das jetzt wahr? Oder nur ein Traum?“

Für Mies sind die French Open wie ein Märchen

In der dritten Runde der French Open waren sie einmal schon fast draußen gewesen aus dem Turnier. Drei Matchbälle hatten sie gegen sich, Kevin Krawietz, der feine Schlägertyp, stemmte sich mit drei „gigantischen Returns“ (Mies) fast im Alleingang gegen das Aus. „Wir waren auf der Autobahn, auf dem Weg nach Hause“, sagte Mies, „und dann drehten wir wieder um.“ Zum Schluss war Paris wieder der Ort eines Tennis-Märchen für Zwei, ein Plot, den Hollywood auch nicht besser hätte hinlegen können. „In dieser Story ist alles drin“, gab Andreas Mies zu, bevor er sich mit dem Feiertrupp, den Familien und Freunden, ins nächtliche Paris aufmachte, „da fehlt wirklich nix an Spannung und Glück.“