Paris. Der Niederrheiner steht am Montag im Achtelfinale der French Open. Gegner ist Spanier Pablo Carreno-Busta.
Wer in den Weiten des Internets nach dem Namen „Altmaier“ sucht, landet dieser Tage unweigerlich erst mal beim getreuen Helfer von Kanzlerin Angela Merkel. Beim unübersehbaren Kanzleramtsminister Peter Altmaier. Man muss schon „Daniel“ oder „Tennis“ hinzufügen, um auf den Mann zu stoßen, der eine der verrücktesten Sportgeschichten des sowieso schon verrückten Jahres schreibt.
Daniel Altmaier, 22 Jahre alt, zu Hause im niederrheinischen Kempen, ist gerade die Sensationsnummer der French Open in Paris – ein junger Mann, der mit geradezu irritierender Selbstverständlichkeit von den Qualifikationsplätzen des Stadion Roland Garros inzwischen auf dem Centre Court gelandet ist. Und der nach sechs Siegen – drei davon im Bewerbungsturnier, drei davon im Hauptfeld – jetzt als stolzer Achtelfinalist des größten Sandplatzturniers der Welt grüßt.
Vorbereitung in Argentinien
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Altmaier stellt gerade ein wenig die Tenniswelt auf den Kopf, schließlich ist es das erste Grand-Slam-Turnier, bei dem er aufschlagen darf. Aber mögen sie auch alle von Überraschung schreiben und reden, vom French-Open-Märchen – er selbst, Altmaier, sieht sich nicht als Wunderknabe. „Ich wusste, dass ich meinen Weg gehen werde“, sagt er, „früher oder später.“
Vielleicht hat seine Erfolgsgeschichte noch im alten Jahr begonnen, im Winter 2019/2020, als Corona vor allem noch eine Biersorte war. Und nicht ein Virus, das die Welt und auch die Welt des Sports lahm legte. Altmaier war in jener Zeit in Argentinien, in der Heimat seines Trainers Francesco Yunis, und nach all den verletzungsbedingten Tief- und Rückschlägen, die er in seiner jungen Karriere schon erlebt hatte, konnte er damals „eine erste echte Vorbereitungszeit“ auf eine kommende Saison bestreiten.
Raus aus der Komfortzone
Altmaier maß sich im Training mit vielen der besten Sandplatzspezialisten der Welt, er bekam auch ein Gefühl, was es bedeutet, „dauernd das Niveau dieser Jungs zu halten“. Altmaier hatte Riesenspaß an diesem Trip abseits der eingefahrenen Routine. „Wenn du etwas erreichen willst, musst du eben auch aus deiner Komfortzone heraus“, sagt Altmaier nun, nachdem er sich am Samstag als Senkrechtstarter mit einem souveränen 6:2, 7:6 (7:5), 6:4-Sieg über den Weltranglisten-Achten Matteo Berrettini schon ins Achtelfinale vorgekämpft hat. Gegner dort ist heute der Spanier Pablo Carreno-Busta, der kürzlich bei den US Open von der Disqualifikation Novak Djokovics profitiert und danach das Halbfinale nach 2:0-Satzvorsprung noch gegen Alexander Zverev verloren hatte.
Altmaier war nach seinem Trainingscamp im Winter einige Wochen ordentlich in der Welt herumgereist, er stand rund um Platz 400 der Rangliste und verdingte sich bei Challenger-Turnieren in den USA, in Thailand, Australien und Mexiko. Später kehrte er nach Argentinien zurück, von dort kam er im März „noch gerade so mit dem Notflieger“ der Bundesregierung nach Deutschland. „Kaum einer hat in diesem Jahr mehr Matches auf dem Buckel als ich“, sagt Altmaier, der auch im Frühling und Sommer schnell wieder aktiv wurde.
Wie in Rocky-Filmen
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Und wahrscheinlich hatte sich auch kaum einer ein so hartes Programm aufgeladen wie der Bursche vom Niederrhein, der sich als extrem ehrgeiziger Selbstoptimierer im Lockdown erwies. Bei einem Elf-Wochen-Trainingsblock waren ihm zeitweise auch argentinische Fitnesscoaches via Internet zugeschaltet, um das persönliche Übungsprogramm zu überwachen. „Mehr als Rocky im Film“ habe er gemacht, sagt Altmaier, „ich war richtig beseelt, weil ich merkte, wie ich immer mehr aus mir rausholen konnte.“
Paris, dieses plötzliche Tennis-Paradies für ihn, betrachtet Altmaier mit einer fast schon grotesken Nüchternheit. Er sieht sich – „ohne Arroganz“ – als selbstverständlichen Teil dieser Grand-Slam-Aufführung, nicht als hereingeplatzten Zufallsgast. Altmaier hat, und das ist gut so, schnell vergessen, wer er bisher war und was er bisher erreicht hat. Das war noch nicht viel, aber es zählt eben auch nicht viel im Hier und Jetzt. „Wenn du gut vorbereitet bist, und das bin ich, dann geht eine ganze Menge“, sagt er.
Wie gegen Berrettini. Den Nummer-acht-Mann sezierte Altmaier wie ein Versuchsobjekt, ehe er ihn nach allen Regeln der Kunst besiegte. Beim Einschlagen habe ihm der Italiener wohl mit hammerharten Bällen imponieren wollen, „eine Art Einschüchterungsversuch“. Doch im Match habe er gemerkt, dass Berrettini „viel vorsichtiger, langsamer, unsicherer“ war: „Der schaltete einen Gang runter, war nervös.“ Altmaier aber ganz und gar nicht. Der agierte, so empfand es Altmeister Boris Becker, „als ob er schon seit Jahren auf der großen Tour ist und mit den Topleuten spielt.“
Sprung Richtung Top 100
18 Tage ist Altmaier nun schon in Paris. Er ging zunächst anonym seiner Arbeit nach, als Nummer 186 der Welt ohne besondere Meriten nicht verwunderlich. Doch nun steht er als steiler Aufsteiger schon etwas länger unter Beobachtung, und es macht ihm bisher nichts aus. Was sein Coach, der Ex-Profi Yunis, von ihm verlangt, sich nur auf das jeweilige Match, auf den jeweiligen Gegner zu konzentrieren und alles Drumherum auszublenden, gelingt Altmaier bestens. „Es läuft bisher alles nach Plan, in einer ganz ordentlichen Linie“, sagt Altmaier.
Er weiß allerdings auch, dass es nun schwieriger wird in der zweiten Woche dieser Grand-Slam-Herausforderung. Altmaier ist kein Träumer. Aber er ist weiterhin in aller Munde, in der Hackordnung der Tennis-Welt rückt er erstmals dicht an die Top 100 heran. „Es ist aber erst der Anfang, nicht das Ende“, sagt Altmaier voller Zuversicht. Daniel Altmaier, wohlgemerkt.