Essen. Zwei Mal im Jahr gilt im Revier Ausnahmezustnand. Das Derby-Fieber macht auch zwischen Freunden, Kollegen und Familien nicht halt. Eine Kolumne.
Ob beim Bäcker, im Sportverein oder im Büro: In diesen Tagen hört man im Ruhrgebiet oft die Frage: „Und, wo guckste?“ Natürlich geht es nicht um den Sonnenuntergang, sondern um den Kern der Seele des Revierfußballs: das Derby. Dortmund gegen Schalke.
Es wird wieder gefrotzelt und gepiesackt. Es geht um ein Leben lang keine Schale in der Hand. Um schwarze Füße und gelbe Zähne. Manchmal wird es derb, meist ist ein Augenzwinkern dabei.
So verabschiedete sich ein Kollege in Richtung aller BVB-Sympathisanten mit den Worten: „Schönes Wochenende wünsche ich – außer zwischen halb vier und halb sechs.“
Auch in einer Sportredaktion stellt man sich gegenseitig die Frage: „Und, wo guckst du?“ Denn wer sich nicht im Stadion oder im Innendienst um die Berichterstattung kümmert, lässt sich dieses Spiel natürlich trotzdem nicht entgehen.
Viele Abnehmer für eine Derby-Karte
Eigentlich hätte ich an dieser Stelle antworten können: „Ich hab’ eine Karte.“ Denn die hatte ich. Doch das stimmt nicht mehr. Ich habe sie weggegeben. Man findet recht schnell einen Abnehmer. Ich gab sie ab, weil ich meiner Cousine eine Freude machen wollte. Sie hat am Samstag Geburtstag. Es ist nicht irgendein Geburtstag, sie wird 15. Fast erwachsen also. Erwachsen erschien mir auch die Entscheidung, ihre Feier einem Derby vorzuziehen.
Aber Pustekuchen.
Kürzlich kam eine WhatsApp-Nachricht: „Am Samstag sind Papa und ich noch beim Derby in Dortmund. Also sind wir voraussichtlich nicht pünktlich wieder zu Hause.“
Und das von einem Mädchen, das auf die Frage nach dem Lieblingsverein lange geantwortet hat: „BayernSchalkeDortmund.“
Was für eine Derby-Pleite!
Doch das ist noch nichts gegen das, was eine meiner Kolleginnen hinnehmen muss. Sie ist leidenschaftlicher BVB-Fan. Selbst der Name des Sohnes erinnert an einen früheren Spieler (keine Absicht, betont die Kollegin!). Dass der Junge aber ausgerechnet am 19.04. geboren wurde, wurmt sie bei jedem Kindergeburtstag.
Vergebliche Bemühungen einer Mutter
Zumal: Selbst das konsequente Arbeiten gegen dieses in die Wiege gelegte Schicksal – Singen von BVB-Liedern, winzigkleine schwarzgelbe Trikots – scheinen vergebens gewesen zu sein. Denn es gibt noch eine andere Borussia im Leben des Vierjährigen. Der Opa ist großer Fohlen-Fan. Und neuerdings will der Kleine nur noch „Gladbach gucken“.
Schlimmer wird es nur, wenn schon die Eltern sich nicht einig sind. Zwei Freunde – er Schalker, sie Borussin – erwarten bald ein Kind. Die Frage schwebt seit längerem im Raum: Wo wird der Nachwuchs Mitglied? Vielleicht sollte man dem Kind die Entscheidung einfach selbst überlassen? Aktuell lautet die Antwort: VfL Bochum.
„Das macht das Kind aber auch nicht glücklich“, findet ein anderer Kollege. Man muss dazu wissen: Er hält es mit dem MSV Duisburg.