Essen. Kritiker hatten der Liga in Zeiten Münchener Dominanz Langeweile bescheinigt. In diesem Jahr könnte es einen Wechsel auf dem Liga-Thron geben.
Vor ein paar Monaten wurde unter Fußballfans mit bangem Unterton die Frage gestellt, ob die Bayern dem Rest der Fußball-Bundesliga wieder so rasch enteilen würden, wie man es gewohnt ist. Wer sollte sie aufhalten?
Niemand, so schien es auf den ersten und, für viele, auch auf den zweiten Blick, zumal der aussichtsreichste Mitbewerber der vergangenen Jahre, Borussia Dortmund, sich neu sortieren, neu erfinden musste. Die siebte deutsche Meisterschaft nacheinander im lockeren Trab zu erreichen, diese bajuwarische Ambition wirkte auf die Liga wie eine düstere Drohung – ohne Rücksicht auf den Markt und die vielen Menschen, die das Produkt Bundesliga gut finden und solide finanzieren sollen. Aber die einzigartige Titelserie des deutschen Rekordmeisters hat sich als Überhitzung erwiesen, wie man sie von der Börse kennt, wenn ein Aufschwung unnatürlich lange anhält.
Liga mit umgekehrten Vorzeichen
Vor dem Rückrundenstart sieht es an der Spitze anders aus als erwartet. Der Platz an der Bundesliga-Sonne schien lange im Besitz der Münchener. Wie ein Liegestuhl am Strand, auf dem jeden Tag majestätisch dasselbe Handtuch liegt, um anderen Interessenten zu zeigen: Hier throne ich und sonst niemand. In den dunklen Monaten blicken die Bajuwaren dieses Mal jedoch als Zweiter auf Borussia Dortmund, nach langer Zeit mal wieder. Und wer sich die Tabelle gelegentlich anschaut, der konnte fast schon wieder auf den Gedanken kommen, es würde langweilig werden, nur mit umgekehrten Vorzeichen.
Dieser Eindruck war spätestens nach dem Treffen der beiden Branchenführer im November entstanden. Der BVB gewann auf mitreißende Art sein Heimspiel, obwohl die Bayern ihre wohl beste Leistung im Laufe der Hinrunde zeigten. Nach jenem 3:2 hatte Dortmund neun Punkte Vorsprung vor dem Rekordmeister. Ein paar Wochen später unterlagen die Borussen dem Abstiegskandidaten Fortuna Düsseldorf. Und alles staunte: Behauptet der BVB die Spitzenposition doch nicht so souverän wie angenommen?
Viele Erfolgserlebnisse beim BVB
Der Fehltritt bei der Fortuna war die erste Dortmunder Niederlage in der nationalen Liga und die zweite überhaupt in einem Pflichtspiel dieser Saison. Dortmund hatte nur auswärts gegen Atlético Madrid, den Gruppenfavoriten in der Champions League, verloren und scheiterte dann urplötzlich, aber durchaus verdient an einem Aufsteiger, dem es oft schwer fällt, Fußball der Güteklasse eins zu bieten. Doch das blieben Ausnahmen, kleinere Kratzer. Abseits dieser beiden Niederlagen gab es reihenweise Erfolgserlebnisse für den BVB. Das ließ sogar die erfolgshungrigen Profis ausnahmsweise satt wirken. In einigen wenigen Momenten habe ihnen „die Gier gefehlt, das Spiel gewinnen zu wollen“, sagte BVB-Star Marco Reus nach der Partie in Düsseldorf. An solchen Tagen habe auch er als Mannschaftskapitän „im Großen und Ganzen“ gespürt, „die Niederlage verdient zu haben“.
BVB wirkt auch mental stark
Gerade solch eine Erkenntnis oder gar Einsicht deutet darauf hin, dass Dortmund reif ist für den Titel. Die Westfalen wirken auch in den seltenen Augenblicken der Niederlage mental stabil – selbstkritisch und selbstbewusst zugleich. Es scheint eines dieser Jahre gekommen, von denen es heißt, ein Mitbewerber müsse bereit sein zuzuschnappen – stark genug nach innen und nach außen, schwächelnden Bayern die Stirn zu bieten und die Illusion aufrecht zu erhalten, die Meisterschaft falle nicht automatisch den Münchenern zu. Die Dortmunder Verantwortlichen zieren sich ein wenig, die vom Tabellenstand längst gedeckte Einladung offiziell anzunehmen, trotz der sechs Punkte Vorsprung, die das Klassement nach der Hinrunde ausweist.
Bayern ist als Mannschaft alt und steht vor dem Umbruch, kurioserweise mit einem relativ jungen Cheftrainer. Niko Kovac gilt nach einer für München ungewohnt schwierigen Hinrunde als umstritten, hat sich aber zuletzt stabilisiert. Der Kroate versucht nach Kräften, den alten Anspruch (verbal) aufrechtzuerhalten. Ob Bayern vielleicht doch wieder Meister wird? „Davon gehen wir alle in München aus“, behauptet der einstige Defensivspezialist, der schon als Spieler die Siegermentalität der Bayern inhaliert hat. Der siebenundvierzig Jahre alte Kovac setzt oft auf arrivierte Kräfte wie Robben oder Ribéry. In ihrem letzten Bayern-Jahr wollen beide es noch einmal wissen; sie dürften aber kaum die Kraft haben, sich gegen den (vorläufigen) Verlust der Hegemonie aufzubäumen, wenn es dem Ende der Saison entgegengeht.
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Dortmund dagegen wirkt jung, hat den Umbruch aber mit einem relativ alten Trainer – Lucien Favre ist einundsechzig – erfolgreicher eingeleitet und schneller bewältigt, als die meisten es erwartet hatten. Was also sollte den BVB davon abhalten, zum ersten Mal nach sieben Jahren wieder Deutscher Meister zu werden? Auf Anhieb fällt einem nicht allzu viel ein, was dem großen Wurf entgegenstehen könnte. Allenfalls der Umstand, dass Dortmund an einem Samstagabend im April in München spielen muss. Und die Gefahr, während der Rückrunde ein Tief zu erleben, das den Borussen bislang erspart geblieben ist. Sollten die Jungen, die Wilden, die Neuen tatsächlich einmal länger ins Straucheln geraten, dann könnte auch der Freak Favre an Grenzen stoßen, bei allem Hang zur taktischen Genialität.
Lädierte Scheinfavoriten
Das Tempo, das die Borussen seitdem angeschlagen haben, beeindruckt das Publikum – und die Konkurrenz. Zum Schluss, als die Kräfte schwanden, distanzierten die Dortmunder im unmittelbaren Vergleich auch noch Borussia Mönchengladbach, eine Mannschaft, die als Überraschungsgast unter den ersten dreien aufgetaucht ist, darüber bei aller Klasse und Heimstärke aber nicht hinauskommen wird. Also ist Dortmund dem Titel so nah wie lange kein Mitbewerber mehr, schon gar niemand aus der Reihe der ewigen Zweiten und Dritten wie Leverkusen und Schalke. Vor Saisonbeginn hoch gehandelt, haben diese beiden Scheinfavoriten sich von ihren Ambitionen verabschieden müssen, kaum dass die Liga richtig losgelegt hatte.
Abstand bei Revier-Rivalen
Der größte Erfolg des FC Schalke besteht darin, dass der Klub vorerst dem Impuls widerstanden hat, den Trainer zu wechseln oder den Manager zu entmachten. Nach dem Weggang ihres wertvollsten Spielers Leon Goretzka erleben die Königsblauen eine Korrekturphase.
In der vergangenen Saison waren sie als Zweiter kein ernsthafter Titelkandidat – ein paar Monate später sollten sie, bei nur vier Zählern Vorsprung vor dem Sechzehnten, nicht ernsthaft in Gefahr geraten. Schon deshalb nicht, weil sie die Spiele gegen übliche Verdächtige wie Düsseldorf, Hannover, Nürnberg oder zuletzt Stuttgart gewonnen haben. Schalke also wird nicht absteigen – und Dortmund steuert auf den Gewinn der Meisterschaft zu. Der Abstand zwischen den beiden Rivalen aus dem Ruhrgebiet ist wieder größer geworden – und wird es wohl eine Weile bleiben.