Essen. Die Spekulationen über das „gekaufte Sommermärchen“ sind nicht neu. Schon Jahre vor dem Anpfiff der Fußball WM 2006 gab es massive Hinweise von Medien.

Die Republik ist schockiert. Das Sommermärchen 2006 – nur gekauft? Papier für Papier kommen Details ans Licht über mögliche illegale Bemühungen unserer WM-Werber, das Fußball-Hochamt nach Deutschland zu holen.

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Doch ist das wirklich so überraschend? Die Wahrheit: Schon 2003, drei Jahre nach der Entscheidung, die Fußball-Weltmeisterschaft nach Deutschland zu vergeben und drei Jahre vor dem Anpfiff im Münchner Olympia-Stadion, gab es mahnende Stimmen von Politikern und alarmierende Medienberichte. Aber das ganze Land zeigte sich blind in seiner Vorfreude.

Schon Peer Steinbrück poltererte gegen "Mauschelei"

Zu den Mahnern gehörte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD). Er hatte Grund zum Unmut: Nicht die NRW-Landeshauptstadt Düsseldorf, sondern München hatte den Zuschlag für das Medienzentrum der WM erhalten. Steinbrück mutmaßte eine „Mauschelei“. Denn die einschlägige Fifa-Arbeitsgruppe selbst hatte Düsseldorf als geeigneter bezeichnet.

Der Hintergrund war brisant: München war Firmensitz des Medienimperiums von Leo Kirch, das Anfang der Nuller-Jahre die milliardenschweren Senderechte für die Wettkämpfe hielt. Und als Berater für Kirch arbeitete seit dem Jahr 2000 Fedor Radmann, der zeitgleich auch mit einem Beratervertrag an WM-Organisationschef Franz Beckenbauer gebunden war. Steinbrück fand das unerhört, nannte es „Interessenverquickung“. Der vor wenigen Jahren verstorbene Düsseldorfer OB Joachim Erwin (CDU) verlangte die „schonungslose Offenlegung der Vorgänge“.

Beckenbauer rückt ins Zentrum der Vorwürfe

Auch wenn Steinbrück und Erwin aus verständlichem Ärger heraus nur an der Oberfläche der Dinge kratzten: Ihre Forderungen nach einer Untersuchung gingen unter.

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So steht Radmann, der einerseits Beckenbauer half, andererseits Kirch, heute mit im Mittelpunkt der Korruptions-Ermittlungen. Sein Name und der Beckenbauers sind unter dem Vertragsentwurf vom 2. Juli 2000 zu finden, mit dem dem panamerikanischen Fifa-Funktionär Jack Warner „sportliche Unterstützung“ und Tickets für mehrere Spiele zugesagt werden sollten. Möglicherweise, um seine Stimme bei der Abstimmung für Deutschland zu aktivieren? Das Papier gilt bei den aktuellen Untersuchungen der Kanzlei Freshfields als erster ernstzunehmender Hinweis auf eine „gekaufte WM“.

Traumpreise für die Rechte an uninteressanten Spielen

Ein zweiter prominenter Name kommt 2003 als möglicher Mauschler ins Gespräch. Günter Netzer. Der einstige Starsspieler von Borussia Mönchengladbach war Chef der Zürcher Rechteagentur Infront, die aus dem zwischenzeitlichen Konkurs des Kirch-Imperiums hervorgegangen war. Schon unter Kirchs Regie gab es dieses Unternehmen. Es hieß CWL und Netzer war auch da der Ausputzer an der Unternehmensspitze. Er verkuppelte Freundschaftsspiele zu angemessenem Preis.

Am 19. April 2003 berichteten „Manager Magazin“ und „Süddeutsche Zeitung“ gleichzeitig von einem Brief. In diesem informierte am 6. Juni 2000, einen Monat vor der Entscheidung für Deutschland, ein für den Kirch-Konzern arbeitender Anwalt Kirchs Chefmanager Hahn, die Kirch-Firma CWL wolle Übertragungsrechte für Spiele des FC Bayern München in Malta, Tunesien, Thailand und Trinidad verkaufen. Jeweils 250 000 bis 300 000 Dollar sollten dafür an diese Fifa-Landesorganisationen fließen – für minderklassige Spiele, die eigentlich niemand sehen wollte.

Beeinflussung zuungunsten von Südafrika?

Ob alle diese Summen auf ungewöhnliche „Treuhand-Konten“ je geflossen sind oder auch zeitweise geparkt wurden, ist bis heute offen. Pikant ist aber nicht nur das Interesse, das Kirch an einer WM in Deutschland hatte. Er erwartete rund eine halbe Milliarde Dollar Einnahmen aus dem Weltereignis. Pikant sind auch die Namen der Chefs der zu bedenkenden Landesverbände.

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„Dr. Mifsud/Malta“. „Mr. Chiboub/Tunesien“. „Mr. Makudi/Thailand“. Und „Mr. Jack Warner/Trinidad“, heißt es in dem Brief. Mifsud, Makudi und und Warner führten Organisationen, die bei der kurz zuvor stehenden Abstimmung über die Spiele 2006 eigentlich für Südafrika, nicht aber für Deutschland votieren wollten.

Günter Netzer als Geldbote für den Stimmenkauf?

Das Blatt hinterfragt damals keck die Rolle Günter Netzers: „War der Saubermann des deutschen Fußballs, legendärer Spielmacher von Borussia Mönchengladbach, etwa der Geldbote für den Stimmenkauf?“

Die Blindheit der Deutschen für dieses Thema beschränkte sich vor zwölf Jahren nicht nur auf die Aktivitäten des Beckenbauerschen Bewerbungskomitees, seine personellen Verknüpfungen mit Kirch-Leuten und merkwürdige Zahlungsabsichten. Die Fans im Land wollten auch wenig über die ungewöhnlichen politischen Anstrengungen wissen, die die Bundesregierung unmittelbar vor der Vergabe der 2006er-Spiele an Deutschland unternahm.

Panzerfäuste für die saudische WM-Stimme?

Am 28. Juni 2000, acht Tage vor der Losziehung zugunsten des Sommermärchen-Landes, entschied der geheim tagende Bundessicherheitsrat unter Kanzler Schröder, die Lieferung von 1200 Panzerfäusten an Saudi-Arabien zu genehmigen. Die gleiche Fünfer-Ministerrunde hatte das bis dahin blockiert.

Die Entscheidung fiel mit 3 zu 2. Nur die Minister Joschka Fischer (Grüne) und Heidi Wiecziorek-Zeul (SPD) sagten Nein. Beide waren baff über diese Kehrtwende. Guido Tognoni, früher Fifa-Marketingchef, war das nicht: „Für die Stimme der saudischen Fifa-Delegation hat Deutschland kurzfristig das Waffenembargo aufgehoben“.