Herdecke. Laura aus NRW hatte zwei Fehlgeburten. „Ich hielt mein totes Baby im Arm. Es war winzig“, sagt sie. Was Betroffenen hilft.

Laura sah auf dem Bildschirm die Nabelschnur, die kleinen Hände und Füße. Noch fünf Monate, dachte sie, bis ich Leah im Arm halten kann. „Ich habe Durchblutung. Ich habe noch Durchblutung in der Nabelschnur“, sagte ihr Gynäkologe und riss Laura aus ihren Gedanken. Sein Gesicht wurde kreidebleich. „Aber ich habe keinen Herzschlag mehr.“

Einen Tag später bekam Laura Wehen. Auf der Geburtsstation hörte sie die anderen Babys schreien, erinnert sich die heute 42-Jährige. Als Leah in der 18. Schwangerschaftswoche auf die Welt kam, blieb es still im Zimmer. Etwa jede dritte Frau hat in ihrem Leben eine Fehlgeburt. Das geht aus Schätzungen des Berufsverbands der Frauenärzte hervor.

Etwa jede dritte Frau hat in ihrem Leben eine Fehlgeburt

In der Vergangenheit mussten viele von ihnen kurz danach schon wieder in den Job zurückkehren. Auch Laura ging drei Wochen nach ihrer bereits zweiten Fehlgeburt wieder arbeiten. „Auf Station waren wir total unterbesetzt“, erinnert sich die Krankenschwester. „Da konnte ich nicht länger zuhause bleiben.“ Anspruch auf eine längere Krankschreibung oder Regenerationszeit hatte sie nicht.

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Das wird sich in Zukunft ändern. Der Bundestag hat ein neues Gesetz verabschiedet, das es Frauen nach einer früheren Fehlgeburt ermöglicht, in den Mutterschutz zu gehen. Dabei gibt es nun gestaffelte Schutzfristen ab der 13. Schwangerschaftswoche. Bislang galten die besonderen Schutzrechte erst, wenn die Frau ihr Kind ab der 24. Schwangerschaftswoche verliert oder es mehr als 500 Gramm wiegt.

Späte Fehlgeburt: „Man lernt sein Kind kennen und verabschiedet sich im selben Moment“

Dezember 2019. Laura und ihr Mann saßen aufgeregt bei ihrem Gynäkologen. Das Paar aus Herdecke hoffte, das Geschlecht seines dritten Kindes zu erfahren. „Aber der Arzt hat schon so komisch auf den Ultraschall geguckt“, erinnert sich Laura. „Dann hat er uns gesagt, dass das Baby keinen Herzschlag mehr hat. Das hat uns den Boden unter den Füßen weggerissen.“

Vier Tage später wurde die Geburt eingeleitet und Laura brachte ihr totes Kind, einen Sohn, auf die Welt. „Ich hielt Levi im Arm. Er war so winzig. Es war ein sehr schöner, aber auch sehr trauriger Moment. Man lernt sein Kind kennen und verabschiedet sich im selben Moment von ihm.“

Eine Woche nach der Fehlgeburt zurück im Job

Eine Woche später kümmerte sich die Krankenschwester wieder um ihre Patientinnen und Patienten. Länger hatte sie der Arzt nicht krankgeschrieben. „Ich dachte erst, das ist ja gar nicht so schlecht, weil Alltag und Routine bestimmt guttun. Aber ich habe ganz schnell gemerkt, dass es viel zu früh war. Vor allem dann, wenn ein Patient verstarb.“

Ein norwegisches Forschungsteam untersuchte 2021 die psychischen Folgen von Fehl- und Totgeburten. Demnach entwickeln Betroffene vermehrt eine Angststörung, Depression oder eine Posttraumatische Belastungsstörung. Meist geht es den Eltern im Laufe der Zeit besser, manche leiden aber auch bis in die nächste Schwangerschaft oder darüber hinaus unter psychischen Beschwerden.

Sternenkinder.
Laura aus NRW hat ihre Sternenkinder Levi und Leah auf ihrer Haut verewigt. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Laura saß wenige Monate nach ihrer ersten Fehlgeburt wieder beim Frauenarzt. Wieder schwanger. Wieder kein Herzschlag. Wieder Abschied nehmen. Die Familie begrub Leah neben ihrem großen Bruder Levi. Laura blieb danach drei Wochen zuhause. Für sie war die Zeit viel zu kurz, für ihre Kolleginnen und Vorgesetzten viel zu lang.

„Es tut uns so leid. Aber wann kommst du denn wieder?“ oder „Mein Beileid. Sind Sie denn jetzt krank? Oder können Sie wieder arbeiten?“: Durch Fragen wie diese fühlte Laura sich unter Druck gesetzt. „Wir waren mitten in der Pandemie. Auf Station waren wir auf jeden angewiesen. Ich wusste, dass ich eigentlich noch nicht wieder bereit war. Aber hatte das Gefühl, dass ich es sein müsste.“

„Ich wusste, dass ich noch nicht wieder bereit war. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich es sein müsste. “

Laura

Dass Frauen nach einer Fehlgeburt in den Mutterschutz gehen können, ist eine längst überfällige Entscheidung, findet sie. Damit andere Betroffene sich nicht mehr auf der Arbeit rechtfertigen, nicht beim Arzt wieder und wieder um eine längere Krankschreibung bitten und nicht das Gefühl haben müssen, längst wieder funktionieren zu müssen.

Fehlgeburt: „Man denkt: Es passiert, aber es passiert nicht mir“

Aber auch, damit Fehlgeburten nicht länger ein Tabu-Thema bleiben. „Bevor man das selbst durchmachen muss, denkt man: Es passiert, aber es passiert nicht mir“, sagt Laura. Weil generell so wenig darüber gesprochen wird, haben viele Frauen Angst, sich anderen anzuvertrauen. Und aus Sorge, etwas Falsches zu sagen, sagen Freunde und Familie oft lieber gar nichts. Und so wird es still im Leben der Betroffenen. „Dabei hilft es schon, wenn einfach jemand da ist, der zuhört“, sagt Laura.

Sie wurde nach den beiden Fehlgeburten wieder schwanger – mit Zwillingen. „Viele Freunde haben gesagt: ,Wow. Zwei sind gegangen, zwei kommen wieder.‘“ Die beiden Mädchen sind heute drei Jahre alt. „Für mich ist klar, dass ich sechs Kinder habe“, sagt Laura. „Nur zwei sind eben nicht hier bei mir.“

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