Essen. Im Streit um die neuen Personalvorgaben für Kitas stellt das Familienministerium die Grenzen der Einbeziehung von Nicht-Profis klar.
In der Diskussion über die neuen Personalvorschriften für Kindertagesstätten in Nordrhein-Westfalen hat Familienministerin Josefine Paul (Grüne) auf die Chancen und Grenzen bei der Einbeziehung von engagierten Eltern hingewiesen.
Die neue Personalverordnung mit Mindestwerten für den Einsatz von Fach- und Ergänzungskräften in Kindertagesseinrichtungen sei landesweit bindend, erklärte eine Ministeriumssprecherin auf Anfrage. „Der Einsatz von weiteren Personen – beispielweise Eltern – zur Erfüllung der Vorgaben zur Mindestbesetzung ist somit nicht zulässig. Über den Einsatz von weiteren Personen über den Mindestpersonalwert hinaus entscheidet der Träger im Rahmen seiner Gesamtverantwortung“, so das Ministerium weiter.
Besonders hohe Zahl an Kita-Schließungen in diesem Jahr
Als einer der größten Kita-Träger in NRW, beabsichtige die Arbeiterwohlfahrt zum Beispiel nicht, freiwillige Eltern in den Kita-Alltag einzubinden, erklärt Sprecher Andreas Wiemers auf Anfrage. Und Lina Strafer, Sprecherin des Kita-Zweckverbands, sagt: „Das ehrenamtliche Engagement von Familien, etwa als Elternbeiräte, in Fördervereinen oder als zusätzliche Begleitung bei Ausflügen, begrüßen wir sehr.“ Eine kontinuierliche Einbindung in die pädagogische Arbeit entspreche allerdings nicht dem Anspruch an die Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsarbeit in einer Kita. Der Kitaverband des Bistums Essen ist ebenfalls einer der größten in der Region.
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Wegen der in diesem Jahr besonders hohen Zahl an Kita-Schließungen und Einschränkungen beim Betreuungsangebot sucht die Politik aktuell nach Wegen aus der Krise. Dabei war in einigen Städten auch die Frage aufgetaucht, ob es nicht besser wäre, engagierte Eltern stundenweise um Hilfe in den Einrichtungen zu bitten, anstatt die Türen für alle zu schließen. Auch in Phasen der sogenannten „Notbetreuung“, während der Öffnungszeiten oder Gruppengrößen oft nach für Eltern schwer nachvollziehbaren Kriterien reduziert werden, wird immer mal wieder die Beteiligung von Familien diskutiert.
Kita-Hilfe: Mutter kommt einmal in der Woche zum vorlesen und spielen
„In der Essener Kita „Am Berliner Platz“ funktioniere die Einbindung von Eltern in den Kita-Alltag gut, sagt Leiterin Julia Schönig. „Das liegt vor allem daran, dass wir sehr engagierte Eltern und einen gut funktionierenden Elternbeirat haben. Es steht und fällt mit den Kapazitäten der Familien.“
So hat sich in der Kita kürzlich eine Gruppe engagierter Eltern zusammengetan und an fünf Vormittagen mit den Kindern gebastelt. Die gezogenen Kerzen, bemalten Weihnachtskarten und selbst gebackenen Plätzchen, wurden anschließend auf einem von den Eltern organisierten Weihnachtsbasar angeboten. „Diese Stunden haben viel ausgemacht und die größeren Gruppen entzerrt. In den kleineren Gruppen konnten die Kollegen dann nochmal anders mit den Kindern arbeiten“, sagt Schönig.
Einmal in der Woche unterstützt eine Mutter die Gruppe zudem in der Freispielzeit. Sie liest den Kindern Bücher vor oder spielt Spiele mit ihnen – immer im Beisein einer pädagogischen Fachkraft. „Für die Kinder ist das eine schöne Abwechslung und die Kollegen können sich in kleinere Gruppen zurückziehen“, erklärt Julia Schönig. Aber natürlich seien Eltern kein Ersatz für eine Fachkraft. Dennoch sei es sinnvoll, wenn Eltern und Einrichtungen sich auf einen gemeinsamen Weg begeben. „Wir fühlen uns dadurch von den Eltern unterstützt und wertgeschätzt.“
Rechtlich ist der Einsatz von Müttern und Vätern, die mithelfen möchten, die zum Teil kurzfristigen Personalengpässe zu beheben, aber nur als Zusatz möglich, um die vorgeschriebenen Fach- und Ergänzungskräfte zu entlasten. Ministerin Paul hat bereits ein zwiespältiges Echo mit der neuen Personalverordnung des Landes hervorgerufen, die kürzlich in Kraft getreten ist.
Experten warnen vor „schleichender Herabsetzung der Bildungsstandards“
Demnach kann das Landesjugendamt einem Träger erlauben, dass bei akuter Personalnot in einer Kita mit bis zu 60 Kindern nur noch eine sozialpädagogische Fachkraft vor Ort sein muss. Die übrigen Mitarbeiter können Ergänzungskräfte wie Kinderpflegerinnen oder Sozialassistenten sein. In Gruppen mit Kindern unter drei Jahren „soll“ eine weitere Fachkraft anwesend sein. Eine Erlaubnis für diesen Notbetrieb kann „in der Regel“ einmal pro Kindergartenjahr und Einrichtung erteilt werden.
Bei Elternverbänden und Kommunen wurde Pauls Änderung des Personalschlüssels angesichts des Fachkräftemangels als „pragmatische Lösung“ gelobt. Die Bildungsgewerkschaften warnten dagegen vor einer schleichenden Herabsetzung von frühkindlichen Bildungsstandards. Das Ministerium trat Sorgen entgegen, künftig könnten 60 Kinder von nur noch einem Erwachsenen betreut werden: „Zu jedem Zeitpunkt wird jede Gruppe von mindestens zwei pädagogischen Kräften betreut.“ Bei einigen Trägern wurde derweil darauf hingewiesen, dass auch der Markt der Ergänzungskräfte wie etwa den zweijährig ausgebildeten Kinderpflegern leergefegt sei und der Effekt der neuen Personalverordnung deshalb begrenzt bleibe.
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