Essen/Ruhrgebiet. Vier Strände entstehen an der Emscher, dem alten Abwasserkanal des Ruhrgebiets – aber die Emschergenossenschaft hat viel mehr Pläne.
Die Emscher ist sauber – und bald wird sie auch zum Urlaubsort. Oder jedenfalls zu einem Ort, der sich anfühlt wie Urlaub. Über die neuen Emscherstrände, steigende Abwassergebühren und eine neue Energiequelle haben wir mit Uli Paetzel gesprochen, dem Chef der Emschergenossenschaft, die in diesen Wochen ihren 125. Gründungstag feiert.
Wann können wir uns an den Emscherstrand legen?
Wir planen aktuell vier Strände, die sich wie Perlen entlang der Emscher reihen. Im Sommer 2025 wollen wir den ersten Emscher-Strand am Wasserkreuz in Castrop-Rauxel eröffnen, direkt am Natur- und Wasser-Erlebnis-Park: Das ist eine sehr idyllische Stelle, mit einem tollen Blick auf den Suderwicher Bach. Den nächsten Strand wollen wir spätestens zur Internationalen Gartenausstellung 2027 (IGA) fertigstellen. Er entsteht neben dem Gelsenkirchener Nordsternpark, in dem während der IGA ein Zukunftsgarten entsteht. Mit der Stadt Bottrop entwickeln wir in der Welheimer Mark ebenfalls einen Emscher-Strand. Und ein vierter entsteht in Oberhausen-Holten – das muss aber nicht der letzte sein: Jede Stadt kann einen Strand erhalten.
Wie dürfen wir uns einen Emscherstrand vorstellen?
Es wird viel Sand geben und je nach Standort Platz für 50 bis 100 Menschen. Im Sommer laden Liegestühle und Gastronomie ein, sodass man den Sonnenuntergang an der neuen Emscher genießen kann – vielleicht sogar bei einem Glas Emscher-Wein von unseren eigenen Weinbergen. Der Eintritt zum Emscher-Strand wird gratis sein, die Bewirtung soll gemeinnützig sein.
Darf man ins Wasser?
Nein, leider nicht. Die Emscher ist tief eingeschnitten und stark begradigt. Dadurch hat sie eine starke Strömung. Sie hat zudem noch keine Badegewässerqualität. Die Strände schütten wir auf der Deichkrone auf, wo es hochwassertechnisch sicher ist.
Emscherwein für alle?
Bislang war der Emscherwein den Mitgliedern der Winzergenossenschaft vorbehalten.
Unsere ersten zwei Weinberge in Dortmund haben nicht so viel Ertrag. Doch mit der ersten Ernte an unserem neuen Hang in Castrop-Rauxel werden wir wohl rund 10.000 Flaschen abfüllen können. Das soll künftig auch in der Region geschehen, denn aktuell bringen wir die Trauben noch zur Weiterverarbeitung in die Pfalz. So können wir den Wein breiter in Umlauf bringen – erwerben können ihn aber nur Mitglieder der neuen Genossenschaft Allmende Emscher-Lippe. Die gute Nachricht ist: Jeder kann Mitglied werden.
Seit 2021 ist die Emscher abwasserfrei. Nun kehren tatsächlich viele Arten zurück, sogar der Flussbarsch ist aus dem Rhein zurückgekehrt. Was hat Sie besonders erstaunt?
Mittlerweile sind es über 700 Arten, die wir bereits zählen konnten – darunter 32 Fischarten. Mich hat die Rückkehr des Bibers überrascht, denn er ist anspruchsvoll. An einem Emscher-Nebenlauf in Dortmund ist er mittlerweile heimisch. Aber wir müssen natürlich immer wachsam sein, dass das von ihm hinterlassene Totholz nicht zu Aufstauungen und Überschwemmungen führt.
Wie ein Kind, das seine Legosteine liegenlässt. Wie haben sich Teuerung und Inflation auf den Emscherumbau ausgewirkt?
In die Befreiung der Emscher von Schmutzwasser haben wir etwas mehr als 5,5 Milliarden Euro investiert. Aktuell arbeiten wir an den Zuläufen und der Gestaltung des Mündungsdeltas. Dabei erleben wir derzeit den größten Anstieg der Baukosten in den vergangenen 50 Jahren. Vereinfacht gesagt: Für das gleiche Geld bekommen wir plötzlich nur noch 80 bis 85 Prozent an Gegenleistung. Um wie viel die letzte Phase dadurch teurer wird, lässt sich heute noch nicht abschätzen. Vermutlich wird es ein zweistelliger Millionenbetrag sein.
Die Emschergenossenschaft betreibt bereits Kanalnetze, baut Radwege und Radbrücken und engagiert sich im klimagerechten Stadtumbau. Was kommt als Nächstes?
An Emscher und Lippe werden wir in der nächsten Dekade jährlich rund 600 Millionen Euro investieren. Das entspricht praktisch den Investitionen während des Emscher-Umbaus. Zum Beispiel wollen wir unsere Kläranlagen so ausbauen, dass sie auch Medikamentenrückstände und Spurenstoffe aus Bioziden, Waschmitteln und mehr filtern. Bleiben diese Stoffe im Wasser, mindert das zum Beispiel die Fruchtbarkeit der Fische.
Das sind die Kostentreiber
Dadurch werden sicher die Abwassergebühren steigen.
Die Finanzierung ist nun glücklicherweise durch Brüssel geklärt. 80 Prozent der Investitions- und Betriebskosten soll die Pharma- und Kosmetikindustrie tragen. Die vierte Klärstufe wird daher wahrscheinlich nur zu einer Steigerung der Abwassergebühren von vielleicht einem Prozent führen. Aber ein weiterer Kostenfaktor ist der Hochwasserschutz. In den kommenden 20 Jahren werden wir allein an der Emscher einen hohen dreistelligen Millionenbetrag investieren müssen, an der Lippe noch einmal so viel. Die Klimaanpassung in den Städten kommt ebenfalls auf uns zu. Auf dem Weg von der Bochumer Innenstadt zum VfL-Stadion zum Beispiel bekommen die Bäume unterirdische Gefäße, Rigolen genannt, die das Regenwasser auffangen und länger zur Verfügung stellen. Das hilft den Bäumen und schützt die Bürger vor nassen Kellern durch Starkregen. Und wir müssen reinvestieren, um unsere Anlagen instand zu halten, auch das wird mindestens 100 Millionen Euro im Jahr erfordern.
Sie kritisieren den Infrastrukturstau. Was würde helfen, außer mehr Geld natürlich?
Genehmigungen dauern in Deutschland viel zu lange. Wir haben es versäumt, digitale Prozesse zu etablieren. Ich schlage eine Infrastrukturinitiative vor, die mit konkreten Fristen arbeitet: Wenn die Unterlagen vollständig vorliegen, muss ein Projekt innerhalb von drei Monaten geprüft und genehmigt werden – andernfalls gilt es als genehmigt. Wir werden die Herausforderungen nicht stemmen können, wenn wir uns in bürokratischen Verfahren verlieren.
Gibt es Beispiele aus anderen Ländern?
Blicken wir in die Niederlande: Dort haben die Wasserverbände eine Genehmigungsabteilung im eigenen Haus. Das bedeutet: Die Planungsabteilung arbeitet nach den gleichen Regeln wie in Deutschland. Jedoch beginnt die Zusammenarbeit mit den Prüfern viel früher und funktioniert Hand in Hand. Wir in Deutschland könnten unsere Prozesse deutlich effizienter gestalten, wenn wir das in einem Modellprojekt ausprobieren könnten.
Energie aus Abwasser
Sie wollen Abwasser als Energiequelle erschließen. Über welches Potenzial reden wir?
Im Ruhrgebiet könnten es bis zu 15 Prozent der Wärmeversorgung sein. Es gibt Projekte mit Preisen von acht bis zwölf Cent pro Kilowattstunde. Energie aus Abwasser ist grundsätzlich wettbewerbsfähig. Die „Kommunale Wärmeplanung“ muss bis 2045 umgesetzt sein, doch die Entscheidungen stehen jetzt an.
Welche Investitionen sind nötig?
In Modellprojekten an Seniorenheimen und Schwimmbädern haben wir gezeigt, dass die Technik gut funktioniert. Die Wärmetauscher in den Abwasserkanälen sind der einfache Teil, die größere Investition ist die Wärmepumpe im Keller. Allerdings müssen in den kommenden 20 Jahren wahrscheinlich 70 Prozent aller Heizungen ohnehin ausgetauscht werden. Das Potenzial der „Aquathermie“ muss unbedingt mitgedacht werden.
Gehört die Energie im Abwasser nicht eigentlich den Haushalten, in denen es erhitzt wird?
Gerichtsurteile zu dem Thema gibt es noch nicht. Aber Eigentümer des Abwassers ist klar der Kanalnetzbetreiber. Für den einzelnen Privathaushalt ist das eigene Abwasser auch nicht wirtschaftlich nutzbar, da nur zu geringe Mengen anfallen.