Bochum. Der 29-Jährige will Arzt werden - auch ohne Spitzen-Abi. Eine Quote bietet ihm die Chance - dafür wird seine Zukunft fest verplant.

Sich länger verpflichten als bei der Bundeswehr für das Wunschstudium? Benedikt Dassler muss lächeln. Für 21 Jahre seiner Zukunft hat sich der junge Mann aus Aachen festgelegt - damit er Medizin studieren kann. Dassler gehörte zu den ersten Studierenden, die 2019 über die damals vom Land NRW neu eingeführte Landarztquote an die Uni gekommen sind. Damit erklärt er sich bereit, nach elf Jahren Studium und Weiterbildung zehn Jahre als Allgemeinmediziner in einer Region mit Arztmangel zu arbeiten. Abgeschreckt habe ihn diese lange Zeit der Festlegung nicht, sagt Dassler. Nein, das störe ihn nicht. „Als Hausarzt zu arbeiten, das passt zu mir.“

In Deutschland arbeiten über 400.000 Medizinerinnen und Mediziner und trotzdem herrscht Mangel. Das gilt insbesondere für den Beruf des Hausarztes, der unter enormen Nachwuchssorgen leidet. 44 Prozent der Hausärztinnen und Hausärzte in NRW sind über 60 Jahre. Problematisch ist da, dass die aufwendige Praxisbürokratie jüngere Menschen vielfach von der Niederlassung abschreckt und die Teilzeitquote unter den Ärztinnen und Ärzten steigt. Schon jetzt sind die Folgen spürbar: In NRW sind fast 1100 Hausarztsitze unbesetzt.

Nach fünf Jahren Landarztquote: Über 4800 Bewerber für rund 1000 Studienplätze

NRW reagierte 2019 mit der sogenannten Landarztquote, die auch Menschen ohne Spitzen-Abi die Chance auf ein Studium ermöglicht. 7,8 Prozent der Studienplätze für Humanmedizin gehen seitdem an Menschen, die nach der Ausbildung verpflichtend in unterversorgten Gebieten arbeiten. Statt eines starren Blicks auf die Abi-Note zählen Berufserfahrung und ein speziell entwickeltes Auswahlverfahren, das über das Landeszentrum Gesundheit NRW mit Sitz in Bochum geführt wird. 1043 junge Menschen sind so in den ersten fünf Jahren in NRW ins Medizinstudium gekommen, fast fünfmal so viele (4825) haben sich beworben.

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) ist von der Quote überzeugt. „Wir brauchen diese Quote, weil wir in NRW sicherstellen wollen, dass wir in Stadt und Land eine gute, erreichbare medizinische Versorgung für die Menschen haben“, sagte der Minister bei der Vorstellung der Fünfjahresbilanz am Donnerstag in Bochum. Der Hausarzt sei die Basisversorgung, die man in allen Stadtteilen und in jedem Dorf brauche.

Karl-Josef Laumann, NRW-Gesundheitsminister

„Wir wollen in NRW sicherstellen, dass wir in Stadt und Land eine gute, erreichbare medizinische Versorgung für die Menschen haben.“

Karl-Josef Laumann (CDU)
NRW-Gesundheitsminister

NRW gewinnt junge Menschen, die sich nicht von ihrem Weg haben abbringen lassen: Denn dass er in die Medizin wollte, das wusste Dassler schon als Jugendlicher. 13 oder 14 Jahre alt sei er gewesen, als er sich für den Schulsanitätsdienst ausbilden ließ. Wenn sich ein Lehrer mit heißem Kaffee verbrühte oder ein Mitschüler sich verletzte, wurde Dassler aus dem Unterricht gerufen, um Erste Hilfe zu leisten. Das Unmittelbare, das habe ihm gefallen. Als Sanitätshelfer lief er fortan mit einem Notfallrucksack an Wochenenden über Straßen- und Stadtfeste.

Mit der Abi-Note 2,4 würde es schwer mit dem Studium, das war Dassler klar. Auch ein sehr guter Medizinertest, den manche Unis verlangen, half da wenig. Dassler ließ sich nicht aufhalten. Er bildete sich 2014 zum Rettungssanitäter weiter, machte eine Ausbildung zum Notfallsanitäter. Er versorgte Verletzte, half Schwerkranken - aber auch diese handfeste Berufserfahrung reichte für die Zulassung zum Studium nicht. Von den Unis gab es Absagen. Klar, das sei frustrierend gewesen, sagt Dassler. „Aber ich wusste ja, dass es schwer wird.“

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Überzeugungstäter gesucht: Spezielles Auswahlverfahren berücksichtigt Berufserfahrung

„Überzeugungstäter“, nennt Simone Gurlit, Direktorin des Landeszentrums Gesundheit NRW, diese Studierenden. „Genau darauf ist unser Auswahlverfahren ausgerichtet, diese Überzeugungstäter zu finden.“ Deshalb blicke man stärker auf die Berufserfahrung, in speziellen Tests werde zudem die Empathiefähigkeit, die Arzt-Patienten-Kommunikation durch 90 geschulte Ärzte und Psychologen geprüft. Beides zählt in der Zulassung. Die Studierenden hätten im Schnitt drei Jahre Berufserfahrung, meistens in der Pflege. Zwei Drittel sind Frauen, im Schnitt bei Studienbeginn 23 Jahre alt und im Laufe des Studiums genauso stark wie ihre Kommilitonen. Auch die Abbrecherquote sei mit vier Prozent etwa so hoch wie bei regulär Studierenden.

Aufs Land beschränkt sein muss die Landarztquote nicht. Das machte NRW-Gesundheitsminister Laumann deutlich. Die Studierenden verpflichteten sich, in unterversorgte Gebiete zu gehen - tun sie das nicht, drohen Vertragsstrafen von 250.000 Euro. Derzeit sei der Mangel vor allem ein Problem des ländlichen Raums. „Aber wenn es in der Stadt brennt, dann brennt es dort.“ Studien zufolge wird das Ruhrgebiet zunächst nicht zu den unterversorgten Regionen gehören.

Nach dem Studium aufs Land? „Moderne Praxen gibt es dort auch“

Benedikt Dassler hat 2019 in Aachen über die Quote angefangen zu studieren. Er merkt, dass er Kommilitonen praktische Erfahrung voraus hat, engagiert sich unter anderem als Mentor. Dass er sich auf Allgemeinmedizin festlegt, ist ihm sogar recht, bereut habe er das bislang nicht. „Im Rettungsdienst bekommt man selten mit, wie es einem Patienten nach der Behandlungen ergangen ist. In der Allgemeinmedizin ist man über viele Jahre an der Seite von ganzen Familien. Das finde ich gut.“

Auch das Wort „Land“ in der Quote schrecke nicht ab. Auch dort könne er eine moderne Praxis führen, wolle auf Telemedizin und andere digitalen Hilfen setzen. Er hoffe auf eine gute Work-Life-Balance und darauf, ein guter Arzt zu werden. Was das bedeute? „Empathisch zu sein und auch dann Verständnis zu haben, wenn etwas nicht direkt klappt. Jemand, der über Umwege zum Ziel gekommen ist, hat das vielleicht eher.“