Essen. Die AOK befragte 5000 Familien zum Thema „Kindergesundheit“. Die Erkenntnisse, etwa zu ADHS oder Adipositas, seien teils „erschreckend“.
Die AOK Rheinland/Hamburg sorgt sich um die Gesundheit der Jüngsten: Denn jedes zweite Kind unter 18 leidet nach Angaben seiner Eltern an einer chronischen Erkrankung – an mindestens einer, oft an mehreren. Das ergab eine repräsentative Umfrage der Krankenkasse von Vätern und Müttern aus 5000 Familien. Auf Basis der ausgewerteten Interviews entstand ein 250 Seiten starker „Kindergesundheitsatlas“, der heute (18.9.) in Düsseldorf vorgestellt wurde.
Die beiden wichtigsten Erkenntnisse der Studie: 1. Die Dunkelziffer bei der Diagnose bestimmter chronischer Erkrankungen ist vermutlich höher als erwartet. 2. Der Informationsbedarf betroffener Familien ist riesig.
„Ist mein zappliges Kind ein ADHS-Kind?“
Durchgeführt wurde die Befragung vom Institut für angewandte Marketing- und Kommunikationsforschung IMK im Februar und März dieses Jahres. Der IHM-Geschäftsführer Sören Schiller betonte, dass es eine Untersuchung „in dieser Tiefe“ deutschlandweit nie zuvor gegeben habe. Die Eltern wurden gezielt nach den 20 häufigsten chronischen Erkrankungen im Kindesalter gefragt, von ADHS über Migräne bis zur Sehschwäche. Dabei zeigte sich, dass zwar 50 Prozent der Eltern vermuten, dass ihr Kind chronisch krank ist, dass aber nur bei 32 Prozent der Kinder eine entsprechende Diagnose auch vorlag.
Beispiel ADHS: Sechs Prozent der befragten Eltern erklärten, sie vermuten ernsthaft, dass Sohn oder Tochter an der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung leide, bei weiteren vier Prozent der Kinder war die Krankheit bereits offiziell festgestellt worden. „Viele Eltern fragen sich, ist mein zappeliges Kind ein ADHS-Kind? Aber sie wissen zu wenig über die Symptome, und sie wissen nicht, an wen sie sich wenden können, um ihren Verdacht abzuklären“, erläuterte Dr. Anne Neuhausen, AOK-Kinderärztin, persönlich „erschreckt“ von den Studienergebnissen.
„Scham, Angst vor Stigmatisierung“
Dabei, ergänzte Sabine Deutscher, Vorstandsmitglieder der AOK Rheinland/Hamburg, gebe es Informationen in – Hülle und Fülle. „Wir müssen sie nur in die Familien bringen, sie bündeln und verständlich aufbereiten.“ Für die beiden Themen ADHS und Adipositas habe man sich bereits an die Arbeit gemacht, im kommenden Frühjahr will die AOK die Ergebnisse vorstellen.
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Beim Thema „Adipositas“ sei man zudem in der „glücklichen Lage“ gewesen, anhand der Angaben der Eltern zu Gewicht und Größe der Kinder selbst deren „BMI“ zu berechnen, den entscheidenden Indikator für krankhaftes Übergewicht, erläuterte Schiller. Sieben Prozent der Kinder waren danach betroffen, aber nur bei zwei Prozent von ihnen lag die entsprechende Diagnose auch vor. „Womöglich überhören Eltern die Diagnose, wenn sie der Kinderarzt informiert“, erläutert Anne Neuhausen, die Ärztin. „Oder sie verdrängen sie – aus Scham, aus Angst vor Stigmatisierung. Und das bringt sie in die Opferrolle, lähmt sie.“ Aus dieser Ecke müsse man die Familien herausholen, ihnen klarmachen, dass Adipositas keine Bagatelle ist und dass man dagegen wirklich etwas tun kann. „Denn wer als Kind adipös ist, wird es auch als Erwachsener sein. Und das kann gravierende körperliche und psychische Folgen haben.“
Der Kinderatlas zeige darüber hinaus, „wie groß die Belastung betroffener Familien“ sei, ergänzte Anne Neuhausen, die Ärztin. Die Eltern fühlten sich überfordert mit der Suche nach den richtigen Ärzten und Therapeuten, geeigneten Behandlungsoptionen. Sie sorgten sich um die Zukunft ihrer Kinder, fürchteten eine dauerhafte Beeinträchtigung von Sohn oder Tochter durch die chronische Erkrankung oder soziale Benachteiligung. „Und sie geben sich oft die Mitschuld an der Erkrankung!“
„Deswegen gehen wir ja mit unseren Präventivprogrammen in die Kitas und Schulen“
Eltern seien heute nicht „dümmer“ als früher. Im Gegenteil: „Je mehr Informationen aber auf dem Markt sind“, so Schiller, „desto schwerer fällt es, sich zurecht zu finden. Und das führt dazu, dass man sich weniger mündig fühlt.“ Sabine Deutscher ergänzte, dass die Gesellschaft sich auch verändert habe, sie sei heute „bunter“ als früher. Es gebe sprachliche Barrieren und religiöse Anschauungen, die ebenfalls eine neue Aufbereitung der Informationen notwendig machten – und einen niedrigschwelligen Zugang dazu. „Deswegen gehen wir ja mit unseren Präventivprogramm in die Kitas und Schulen!“
Eklatante regionale Unterschiede konnten die Forscher Schiller zufolge im Übrigen nicht feststellen. Auch wenn auffiel, dass im Ruhrgebiet die wenigsten Eltern (5,9 Prozent) vermuteten, ihr Kind sei an ADHS erkrankt – und in Düsseldorf die meisten: 8,5.