Essen. Vorurteile gegen Minderheiten nicht befeuern und trotzdem Probleme transparent machen: So kann die Gratwanderung gelingen.

Zu den, wie ich finde, schwierigsten medienethischen Themen überhaupt gehört die Frage, ob bei der Berichterstattung über Straftaten die Nationalität von (mutmaßlichen) Tätern genannt werden sollte. Lange war es Usus, dieses in der Regel nicht zu tun, um bereits vorhandene Vorurteile gegen Minderheiten in unserer Gesellschaft nicht zusätzlich zu schüren. Spätestens nach der Silvesternacht 2015 auf 2016 fand jedoch ein Umdenken statt. Denn als auf der Kölner Domplatte hunderte sexuelle Übergriffe auf Frauen stattfanden, die ganz überwiegend von aus Nordafrika stammenden Tatverdächtigen begangen wurden, hatten die meisten Medien in Deutschland diesen Hintergrund verschwiegen oder nur sehr verschämt darüber berichtet. Die WAZ machte da zunächst keine Ausnahme. Die Wirkung indes war fatal. Wir professionellen Journalisten bekamen ein Glaubwürdigkeitsproblem, und ausgerechnet jene Populisten, die bewusst rassistische Ressentiments schüren, erhielten enormen Auftrieb.

Wenn es um Kriminalität geht, sind die ermittelnden Behörden die wichtigste und seriöseste Quelle für uns Journalisten. Dass die NRW-Behörden selbst bis heute die Nationalität von Tatverdächtigen nicht grundsätzlich öffentlich machen, ist für unsere Arbeit ein Manko, das NRW-Innenminister Herbert Reul gegen einige Widerstände nun endlich beseitigen will. Er gibt damit die Verantwortung für die Frage, wann die Nennung von Nationalitäten relevant ist und wann nicht, in die Hand der Medienschaffenden.

Herbert Reul hat das erkannt

Genau da gehört sie hin. Denn konkurrierend zu unserem Angebot florieren in den Sozialen Medien die Spekulationen und Fake News. Wer seriöse Informationsvermittlung stärken und Hetze eindämmen will, muss für Transparenz sorgen und den Agitatoren so das Wasser abgraben. Wie gut, dass Reul das erkannt hat! Und wie gut, dass nun die Redaktionen in jedem Einzelfall frei abwägen und entscheiden können, was im Spannungsverhältnis zwischen dem Eindämmen von Diskriminierung und dem Veröffentlichen relevanter Informationen zu tun ist. Die Grundlage dafür ist der Pressekodex, dem sich auch die WAZ verpflichtet fühlt.

Dort heißt es unter anderem, dass in der Berichterstattung über Straftaten darauf zu achten sei, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führe. Ferner heißt es:

„Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse.“

Pressekodex, Richtlinie 12.1, Satz 2

Die Gretchenfrage ist nun freilich, was das eigentlich sei, ein „begründetes öffentliches Interesse“? Warum kann die Nennung der Nationalität etwa im Einzelfall relevant sein, also nicht nur bloße Neugier befriedigen, sondern einen Beitrag leisten zu einer ernsthaften gesellschaftspolitischen Debatte, zum Beispiel im Hinblick auf den Erfolg oder Misserfolg von Integration – oder im Hinblick auf die Frage, welche Zuwanderung wir in welchem Maße wollen und welche nicht. Es liegt ja auf der Hand, dass dies die Menschen derzeit sehr bewegt und zum Teil zu einem Wahlverhalten führt, das mit der Stärkung von Extremisten unsere Demokratie unmittelbar gefährdet.

Kriminalität und Herkunft

Vor allem aus den Reihen von SPD, Grünen und Linken kommt ja immer wieder der apodiktisch anmutende Hinweis, dass es keinen Zusammenhang gebe zwischen Kriminalität und Herkunft. Ähnlich äußert sich der Landesintegrationsrat. Und in der Tat sind es ja oft die berühmten „Drittvariablen“, die kriminelles Verhalten wahrscheinlicher machen. Wenn also Menschen mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich oft kriminell werden (34 Prozent aller Tatverdächtigen in Deutschland sind Nichtdeutsche, die wiederum nur 15 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen), dann liegt das vor allem daran, dass sie überdurchschnittlich ärmer und weniger gebildet sind. Manche Straftaten können überhaupt nur von Nichtdeutschen begangen werden, Stichwort: unerlaubte Einreise. Das verfälscht die Statistik.

NRW Innenminister Herbert Reul bei der Kriminalinspektion
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) will für mehr Transparenz in der Kriminalitätsberichterstattung seiner Behörden sorgen. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Andererseits ist evident, dass die kulturelle Prägung und Sozialisation innerhalb bestimmter ethnischer Gruppen ein individuelles Verhalten an den Tag legen kann, das mit unseren Werten und Gesetzen zum Teil kollidiert. Recht hat der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle, wenn er konstatiert, dass es bei „bestimmten Gruppen junger Männer mit Migrationshintergrund eine Gewaltgeneigtheit“ gebe, über die wir sprechen müssen. Kennzeichen der gerade im Ruhrgebiet besonders ausgeprägten Clankriminalität ist die gemeinsame familiäre Herkunft und Abstammung. Wer solche unliebsamen Zusammenhänge leugnet, der macht sich die Welt, wie sie ihm gefällt.

Messerattacken in NRW

Und wenn die Messerattacken in NRW dramatisch zunehmen und der Anteil der Tatverdächtigen mit Migrationshintergrund überproportional groß ist (fast jeder Zweite mutmaßliche Täter hat keinen deutschen Pass), dann deckt sich die nackte Statistik mit subjektiver Alltagserfahrung. Mag ja sein, dass man in den meisten Ländern dieser Erde besser durchs Leben mit einer Waffe in der Tasche kommt. In Deutschland gehört das schlicht verboten – am liebsten flächendeckend.

Darüber müssen wir berichten. Die Aufgabe von Journalisten ist im Zweifel das Veröffentlichen, nicht das Verschweigen. Wir gehen dabei vom Bild des mündigen Lesers aus, der sich nach Vorliegen aller Informationen selbstbestimmt und selbstverantwortlich eine eigene Meinung bildet. Unser Anspruch ist es grundsätzlich nicht, erzieherisch auf die Leser einzuwirken, indem wir als Oberlehrer der Nation gezielt bestimmte Informationen steuern oder weglassen, weil dies einem vermeintlich höheren Ziel dient oder wir meinen, die Leser könnten mit der Wahrheit nicht „umgehen“. In dem Wort Journalismus steckt das französische „le jour“, übersetzt: der Tag. Es möge also heller werden mit und durch uns, nicht dunkler.

Der biodeutsche Heinz

Finster wird es, wenn wir durch die Tabuisierung von Problemen ein Vakuum hinterlassen würden, in das die rechtsradikalen Populisten stoßen. Diese sprechen dann unterschiedslos von „Messermännern“. Jede Statistik wird in ihrem Sinne ausgeschlachtet, statt sachlich eingeordnet. Und weil ihnen die Angabe, jemand sei deutscher Staatsbürger, nicht reicht, stellen sie in den Parlamenten, auch in Düsseldorf, Anfragen zu den Vornamen von Tatverdächtigen, weil nach ihrer Lesart nur der biodeutsche Heinz ein echter Deutscher sein kann, der in Deutschland geborene Amir aber aufgrund des Blutes in seinen Adern immer ein potenziell krimineller Ausländer bleibt, obwohl er vielleicht gesetzestreuer ist und ein besseres Deutsch spricht und schreibt als manch ein AfD-Wähler.

Halten wir also Maß und Mitte. Die WAZ wird weiter im Einzelfall entscheiden. Ist ein Fehlverhalten nur individuell begründet, ist es unerheblich, ob derjenige gegebenenfalls zu einer bestimmten Minderheit gehört. Der Presserat nennt einige Fälle, in denen wir aufgrund des öffentlichen Informationsinteresses aber anders entscheiden würden: etwa bei besonders schweren Straftaten wie Terroranschlägen oder wenn die besondere Biografie eines Tatverdächtigen für die Tat von Bedeutung ist. Dass die NRW-Behörden künftig Nationalitäten immer benennen, macht unsere nachfolgende Arbeit einfacher und sorgt so für mehr Klarheit und Wahrheit.

Auf bald.

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