Der Pressekodex gibt zwar Richtlinien vor, wann man die Herkunft von Verdächtigen nennt. Doch entscheiden müssen Journalisten im Einzelfall.

Gegen den Vorwurf der „Geheimniskrämerei“ wehrte sich die Polizei in Iserlohn am Donnerstag. Sie hatte die Nationalität des Tatverdächtigen, der am Samstag am Stadtbahnhof zwei Menschen mit einem Messer erstochen hatte, erst am Sonntag und unter dem Druck sozialer Medien veröffentlicht. Die Polizei gab an, sich am Pressekodex zu orientieren, der auch für die WAZ gilt.

Wann nennt die WAZ als Zeitung und Nachrichtenportal die Nationalität eines Tatverdächtigen? Die einfache Antwort ist: Wenn die Nationalität etwas mit der Art der Tat zu tun hat. Dies ist zum Beispiel im Einzelfall bei „Ehrenmorden“ durch Verwandte der Fall oder wenn sich Muster ergeben, etwa im Bereich der organisierten Kriminalität oder bei den sexuellen Übergriffen in der Kölner Silvesternacht. In allen anderen Fällen, in der Regel also, erwähnen wir die Nationalität nicht, um kein verzerrtes Bild zu erzeugen.

Die komplexe Antwort lautet: Wir Journalisten müssen in jedem Einzelfall entscheiden, wie die Richtlinie 12.1 des Deutschen Presserats umzusetzen sind. Dort heißt es: In der Berichterstattung sei darauf zu achten, „dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“

„Außergewöhnliche Straftat“

Wichtig ist zudem, ob „ein überragendes öffentliches Interesse“ besteht und eine „in ihrer Art oder Dimension außergewöhnliche Straftat“ gegeben ist.

Ein Beispiel: „Überfallartige Vergewaltigungen und sexuelle Nötigungen durch Einzeltäter“ erfasste die Kriminalstatistik im Jahr 2017 genau 946-mal. Nie war Deutschland so sicher, die Zahl ist zuvor etwa 15 Jahren kontinuierlich gesunken. Im Jahr 2004 waren es zweieinhalbmal so viele Taten und auch zuvor stets mehr (1987: 1549). Nichts deutet darauf hin, dass etwa der Zuzug von Flüchtlingen im Jahr 2015 in diesem Deliktbereich eine Rolle spielt. Weswegen die Tatsache einer Vergewaltigung alleine die Nennung der Nationalität nicht rechtfertigt. Weitere Beispiele finden Sie in den Praxis-Leitsätzen des Pressekodex.

Die Bluttat von Iserlohn scheint nach jetzigem Ermittlungsstand eine Eifersuchtstat zu sein. Beziehungstaten gibt es gleichfalls in allen Kulturen, unter allen Nationalitäten und nirgendwo gehäuft. Allerdings hat die Tat sehr öffentlich am Bahnhof stattgefunden und eine breite Debatte und Spekulationswelle ausgelöst. Nach Diskussion in der Redaktion haben wir uns dafür entschieden, die Nationalitäten einmal zu nennen.