Essen. Es geht um Rehas, Rentenansprüche und Entschädigungen: Richter rechnen mit mehr Corona-Klagen. 2023 stand ein anderes Thema im Fokus.

Die Pandemie mag vorbei sein, an den Sozialgerichten des Landes NRW wirkt sie nach: Richterinnen und Richter rechnen in den kommenden Monaten mit vermehrten Corona-Verfahren. Das könnten Klagen von Menschen sein, die nach Impfschäden auf Entschädigungen vom Staat hoffen. Genauso würden mehr Klagen von Patientinnen und Patienten erwartet, die nach einer Covid-19-Infektion unter schweren Folgeschäden litten und nun Rehas, Rentenansprüche oder auch die Anerkennung einer Berufsunfähigkeit gegen Renten- und Unfallversicherung erstreiten wollen.

Der genaue Umfang sei noch nicht abzuschätzen, sagte Jens Blüggel, Präsident des Landessozialgerichts, bei der Vorstellung des Jahresberichts am Mittwoch. Doch weil bei den Rentenversicherungen beispielsweise die Zahl der Reha-Anträge wegen einer Post-Covid-Erkrankung zunehmen, sei auch damit zu rechnen, dass Betroffene nach einer Ablehnung vermehrt die Sozialgerichte anrufen.

Blüggel machte deutlich, dass auf die Richterinnen und Richter viel Arbeit zu kommt: „Das sind komplizierte Fälle, in denen schon die Frage nach medizinischen Gutachtern komplex ist.“ Auch Klagen etwa von Pflegekräften, die sich mutmaßlich in einer Klinik infiziert haben und nun unter den Folgen litten, seien vermehrt zu erwarten. Das Landessozialgericht sitzt in Essen, zusammen mit den acht Sozialgerichten verhandelt es jede vierte sozialgerichtliche Klage in Deutschland.

Viele Streitfragen zur Grundsicherung

2023 haben sich die Richterinnen und Richter vor allem mit Verfahren rund um die Grundsicherung beschäftigt. Mehr als jede vierte Klage haben sich mit Streitfragen etwa um Sanktionen der Jobcenter oder die Angemessenheit einer Wohnung eines Bürgergeldempfängers beschäftigt. In der Corona-Pandemie galt eine Sonderregelung, damit Menschen ohne Job einfacher an staatliche Hilfen kommen konnten - nachdem diese 2023 ausgelaufen sind, mehrten sich die Streitfälle wieder an den Gerichten, hieß es am Mittwoch.

Jens Blüggel ist seit 2023 Präsident des Landessozialgerichts mit Sitz in Essen.
Jens Blüggel ist seit 2023 Präsident des Landessozialgerichts mit Sitz in Essen. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Aber auch Streitigkeiten zur Pflegeversicherung landen immer häufiger vor Gericht. An den acht Sozialgerichten in NRW gab es 2023 über 4000 Fälle, in denen Menschen beispielsweise auf die Anerkennung eines Pflegegrads und damit Gelder der Pflegeversicherung geklagt haben.

Abgearbeitet sei indes die Welle von Krankenhausklagen, die die Sozialgerichte bundesweit 2018 überrollt hatte. Weil die Verjährungsfrist überraschend verkürzt worden war, hatten Krankenkassen nahezu über Nacht die Gerichte mit Klagen mutmaßlich falscher Krankenhausabrechnungen geflutet und damit einen regelrechten Verfahrensstau verursacht. „Diese Welle ist abgeebbt und abgearbeitet“, so Brüggel.

Verfahren dauerten im Schnitt eineinhalb Jahre

Insgesamt sei die Zahl der neuen Klagen 2023 wie auch im bundesweiten Trend rückläufig. An den Sozialgerichten sind 66104 neue Verfahren eingegangen (2022: 67.193), am Landessozialgericht waren es mit 5832 ungefähr so viele wie im Vorjahr (5671). Bestände seien abgearbeitet, zudem die Digitalisierung der Sozialgerichte abgeschlossen worden.

Um zu ihrem Recht zu kommen, mussten Klägerinnen und Kläger dennoch Geduld haben: Verfahren an den Sozialgerichten haben 2023 durchschnittlich etwas über 16 Monate gedauert, am Landessozialgericht war es etwa ein Monat länger. Eilverfahren waren in eineinhalb bzw. zweieinhalb Monaten geklärt.