Bochum. Bei Holger Klenner wurde ein Melanom diagnostiziert. Es hatte bereits gestreut. Wie eine neue Therapie und ein 3-D-Scanner helfen

Holger Klenner ist kein Typ, der zu Panik neigt. „Ich lass‘ mir nicht so leicht bange machen“, sagt der 45-jährige Mann aus Haltern. „Aber der Befund, er hat mich getroffen wie ein Schlag.“ Er fühlte sich doch gesund, keine Schmerzen, keine anderen Beschwerden, nichts. Nicht einmal seiner Frau war das kleine Muttermal unten an seinem Rücken aufgefallen. „Es sah für sie genauso aus wie alle meine Muttermale.“ Und schließlich sei er doch alle zwei Jahre bei der Hautärztin gewesen, zur Kontrolle. Aber dann, im April 2023, stellte sich heraus, dass dieses eine Muttermal ein böses war: ein malignes Melanom, schwarzer Hautkrebs.

„Ich bin in den 80er-Jahren aufgewachsen“, erzählt Klenner. „Da war Sonnenschutz kein großes Thema. Und es war chic, braun zu sein.“ Heute weiß er, dass heftige Sonnenbrände in der Kindheit Hauptrisikofaktor für seine Erkrankung sind.

„Sentinel-Lymphknoten-Biopsie“

Die Hautärztin hatte das Muttermal sofort entfernt. Sie überwies den Vater zweier kleiner Kinder dann aber an die Bochumer Universitätshautklinik am St. Josef Hospital. Weitere Untersuchungen seien erforderlich, sagte sie ihm, der Tumor messe 1,5 Millimeter... Ab einem Millimeter, erklärt Prof. Falk Bechara, Leiter der „Dermatochirurgie“, schlage man dem Patienten eine „Sentinel-Lymphknoten-Biopsie“ vor – um zu schauen, ob der Krebs schon gestreut hat. Denn das Risiko dafür ist groß: Schwarzer Hautkrebs metastasiert schnell.

Klenner wurde in der Hautklinik eine radioaktive Substanz injiziert, genau an der Stelle, an der sich das Muttermal befunden hatte. Dann verfolgten die Ärzte in immer neuen Aufnahmen, welchen Weg die „leuchtende“ Flüssigkeit nahm. „Wie ein Spinnennetz breitet sie sich im Körper aus, genau so, wie ein Tumor metastasieren würde“, erläutert Bechara. Der erste Lymphknoten, den die Substanz erreicht, der sogenannte Wächterlymphknoten, werde entfernt – und genau angeschaut. Finden sich in ihm keine Krebszellen, darf der Patient erst einmal aufatmen.

Holger Klenner durfte nicht.

Viel gelesen, „um zu sehen, wo ich stehe“

Zwar hatten die Ärzte bei einem erneuten Schnitt mit größerem „Sicherheitsabstand“ um das bereits entfernte Muttermal herum glücklicherweise keine weiteren Krebszellen entdeckt. Die Untersuchung seines Wächterlymphknotens (gefunden in der linken Achselhöhle) zeigte aber: Dort war schon etwas passiert – es fand sich eine 1,8 Millimeter dicke Metastase darin. Klenners Prognose hatte sich damit drastisch verschlechtert. Eine vorbeugende Immuntherapie sei nötig, klärten ihn die Ärzte auf.

„Bis dahin war das alles keine große Sache“, erinnert sich Klenner. „Nur den Schock hatte ich zu verarbeiten.“ Der Bankkaufmann stimmte der Immuntherapie sofort zu - „zu dem Zeitpunkt hatte ich mich bereits gut eingelesen“. Ihm ist das wichtig: so viel über seine Erkrankung zu erfahren, wie möglich. Um mit den Ärzten auf Augenhöhe reden zu können, „um herauszufinden, wo ich stehe. Nur so kann ich damit umgehen.“ Noch bis Ende Juli wird er alle drei Wochen die Infusionen erhalten.

„Immuntherapie ist kein Kindergeburtstag“

600 Muttermale in einer virtuellen Petrischale: Die Beschaffenheit eines jeden lässt sich auf einen Klick genau anschauen. Bei Folgeuntersuchungen werden Veränderungen deutlich.
600 Muttermale in einer virtuellen Petrischale: Die Beschaffenheit eines jeden lässt sich auf einen Klick genau anschauen. Bei Folgeuntersuchungen werden Veränderungen deutlich. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Der Familienvater ist zuversichtlich, dass danach „alles gut sein wird“. Seine Blutwerte, die Tumormarker, seien ja unauffällig, „und ich bin Optimist“. Wenn er nur nicht oft so müde, so erschöpft wäre... „Diese Immuntherapie ist kein Kindergeburtstag. Es gibt Tage, da komme ich überhaupt nicht hoch.“

Das Fatigue-Syndrom sei eine mögliche Nebenwirkung der Therapie, erklärt Prof. Eggert Stockfleth, Direktor der Bochumer Hautklinik. Und nicht die einzige: „Durch die Therapie wird das Immunsystem so scharf gemacht, dass es die Tumorzellen zerstören kann. Wird es zu scharf gemacht, zerstört es aber auch gesundes Körpergewebe.“ Das könne etwa Darmerkrankungen oder Diabetes verursachen.

Therapien sind heute viel schonender als früher – und effektiver

Zielgerichtete Therapien, wie die, die Klenner erhält, seien dennoch sehr viel schonender als frühere – und sie hätten die Behandlung des Melanoms „revolutioniert“, sagt Experte Bechara. Noch vor zehn Jahren sei die Diagnose „Metastasierter Hautkrebs“ einem Todesurteil gleichgekommen. Inzwischen sei auch der schwarze Hautkrebs gut zu therapieren, er gleiche beinahe schon einer chronischen Erkrankung, sagt Stockfleth. Davon zeugten auch „tonnenweise Postkarten“, die ihm ehemalige, dankbare Patienten geschickt hätten.

Klenners Prognose sei „exzellent“, bestätigt Bechara. „Nicht so gut, wie die eines Gesunden, aber nahe dran.“ Wichtig sei für Patienten wie ihn vor allem die Nachsorge: Nicht nur, weil das bereits entdeckte Melanom neuen Ärger machen könnte. Statistisch gesehen haben Menschen, die bereits einmal ein Melanom hatten, auch ein höheres Risiko, weitere zu entwickeln, an anderer Stelle.

Innovation auch bei der Hautkrebs-Nachsorge

Prof. Falk Bechara verspricht seinem Patienten Holger Klenner: Die Prognose sei exzellent.
Prof. Falk Bechara verspricht seinem Patienten Holger Klenner: Die Prognose sei exzellent. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Klenner setzt in der Nachsorge nicht nur auf seine Ärzte in der Bochumer Uniklinik, sondern auch auf deren neuen 3-D-Ganzkörper-Scanner „Vectra WB360“, er hat ihn bereits ausprobiert: Der Patient stellt sich – nackt bis auf die Unterhose – in das futuristisch anmutende Gerät. 120 Kameras lichten nahezu seine Hautoberfläche ab. Das dauert 0,9 Sekunden. Ein Hochleistungsrechner verarbeitet und analysiert die Daten. Wenige Minuten später hat er einen Avatar kreiert– auf dem jedes einzelne Muttermal für eine Bewertung angeklickt werden kann. Bei Folgeuntersuchungen werden alte Aufnahmen – KI-gestützt – übereinander gelegt und mit der neuen verglichen. Selbst kleinste Veränderungen eines Muttermals können so erfasst werden.

Seit einem Dreivierteljahr steht das 500.000 Euro teure Gerät im Bochumer Josef-Hospital, bundesweit gebe es nur vier weitere Kliniken, die einen solchen Scanner hätten, wirbt das Haus. Das Huyssensstift der Evangelischen Kliniken Essen-Mitte gehört seit kurzem ebenfalls dazu. Dermatochirurg Bechara ist begeistert von der neuen Technik, die „soviel mehr erfasse als das menschliche Auge“, und so sinnvoll sei, „vor allem für Menschen mit vielen Muttermalen und Hochrisikopatienten“. Allerdings zahlen bislang nur private Krankenversicherung dafür. Gesetzlich Versicherte wie Holger Klenner kostet eine Aufnahme (gestaffelt nach Anzahl der Muttermale) zwischen 320 und 390 Euro.

„Es war mir das Geld wert“, sagt der Mann aus Haltern.

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