Ruhrgebiet. Weichmacher-Verdacht: Ist Sonnenschutz gefährlicher als Sonne? Gerade Eltern sind in Sorge: Am Samstag soll es „Sommer“ werden im Revier.
Am Wochenende soll es supersonnig werden, am Samstag könnten auch im Revier Temperaturen von 28 Grad erreicht werden, versprechen die Meteorologen. „Endlich“, sagen mache. Andere denken: „Oh Gott“. Nicht nur Eltern treibt angesichts der aktuellen Diskussion um den Weichmacher DnHexP die Sorge um, ob Sonnenschutzmittel überhaupt noch sicher sind, ob sie womöglich mehr schaden, als nutzen. Die WAZ sprach mit Prof. Joachim Dissemond, Oberarzt der Klinik für Dermatologie der Essener Universitätsmedizin, über das Thema.
Prof. Dissemond, sind die ersten Sonnentage die schlimmsten für unsere Haut?
Grundsätzlich: Ja. Unsere Haut hat zu Beginn der Saison noch wenig endogenen Schutz, sie ist noch nicht gebräunt. Das kommt erst langsam im Laufe des Jahres. Deshalb sind wir jetzt besonders für Sonnenbrände gefährdet.
Wie lange darf ich ohne Sonnencreme in der Sonne bleiben, beim ersten Mal?
Schwierig pauschal zu sagen, bei uns sind die Menschen ja eher hellhäutig. Ich rate daher: Halten Sie sich an die Empfehlungen der Weltgesundheitsbehörde WHO – und die finden Sie in Ihrem Handy, was nur Wenige wissen. Viele Wetter-Apps basieren darauf. Meine zeigt mir für kommenden Samstag beispielsweise einen UV-Index von 4 an und den Hinweis: „Sonnenschutz von 12 bis 17 Uhr empfohlen“. Die WHO empfiehlt in dieser Zeit das Tragen von Sonnenbrillen, Sonnencreme, Kopfbedeckungen und schützender Kleidung.
Viele setzen vor den ersten Sonnentagen oder dem Urlaub im Süden auf eine rechtzeitige „Gewöhnung“ im Sonnenstudio...
Das ist ein Spiel mit dem Feuer, das ich nicht empfehlen kann. Auch Solarien sind gefährlich und können Langzeitschäden verursachen. Als Dermatologe habe ich mehr Angst vor Hautkrebs als vor akutem Sonnenbrand. Die Rechnung zahlen Sie dann in 30 Jahren.
Kann ich meiner bewährten Sonnencreme überhaupt noch vertrauen? Sollte ich sicherheitshalber nicht darauf verzichten? In Urinproben wurde jüngst gesundheitsschädigendes Mono-n-hexylphthalat gefunden, ein Abbauprodukt des verbotenen Weichmachers DnHexP. Der Stoff könnte aus Sonnenschutzmitteln stammen, heißt es. Der UV-Filter DHHB steht unter Verdacht, die Verunreinigung verursacht zu haben – und er steckt angeblich in jedem zweiten Sonnenschutzprodukt...
Wir haben es hier mit einer noch offenen Diskussion zu tun. Da ist noch nichts endgültig bewiesen. Ich werde weiter Sonnencreme und Sonnenmilch verwenden und empfehlen – zumindest, wenn diese in Deutschland gekauft wurden. Denn die Produkte in unseren Apotheken und Drogerien sind überprüfte Präparate entsprechend aktueller Qualitätsvorgaben. Gar keine Sonnenschutzmittel mehr zu verwenden, kann keine Alternative sein. Denn die Konsequenz, die dann droht, ist Hautkrebs. Das ist im Gegensatz bereits ein wissenschaftlich bewiesenes Problem.
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Gilt diese Einschätzung auch für Kinder? Die gilt es ja besonders zu schützen, aber schadet ihnen die Sonnenmilch womöglich nicht mehr als die Sonne?
Natürlich wollen Sie ihren Kindern nichts geben, was schadet – aber kein UV-Schutz schadet auf jeden Fall. So korreliert beispielsweise die Anzahl der Sonnenbrände im Kindesalter mit schwarzem Hautkrebs. Es ist aber auch textiler Schutz sowie ein umsichtiger Umgang mit UV_Exposition empfehlenswert. Das ist zwar kein hundertprozentiger Schutz, aber eine sehr gute Ergänzung. Sie können und sollen dem UV-Licht natürlich nicht komplett aus dem Weg gehen. Ich würde niemals dazu raten, Kinder bei Sonne im Keller zu verstecken – das ist Blödsinn. Sonnige Tage sollten wir für Outdoor-Aktivitäten nutzen. Wir brauchen UV-Licht, um Vitamin D zu produzieren.
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Dem Kind ein weißes, dünnes, nasses T-Shirt überzustreifen, bringt wenig. Aber es gibt gute Studien zu diesem Thema aus dem Sportbereich. Dabei wurde zu Zeiten von Jan Ullrich das Radsport-Team der Telekom untersucht. Die Trikots der Radfahrer sind zwar sehr dünn, aber man sah, was sie bewirkten: darunter war die Haut schneeweiß, der Rest dunkelbraun.
Kann ich meine im vergangenen Sommer angebrochene, aber nicht aufgebrauchte Sonnencreme eigentlich weiter verwenden?
Kontrollieren Sie diesbezüglich die Herstellerangaben. Sonnenschutzmittel können oxidieren und an Wirkung verlieren – das habe ich schon am eigenen Körper erlebt...
Sind teure Sonnenschutzmittel die besseren?
Guter Sonnenschutz war früher tatsächlich teuer. Heute gilt das so nicht mehr. Auch in Drogeriemärkten bekommt man inzwischen gute Produkte. Ein Problem ist oft, dass man die teuren Produkte zu dünn aufträgt, dann nützen diese kaum. Aus Sicht des Dermatologen würde ich einen Lichtschutzfaktor von mindestens 30 in unseren Breiten empfehlen, gerade jetzt zu Beginn der Saison.
Was tun, wenn es doch zu einem Sonnenbrand kommt?
After-Sun-Produkte bringen wenig, da muss etwas Antientzündliches aufgetragen werden. Bei stärkerem Sonnenbrand ist das ein kortisonhaltiges Präparat. Hier gilt: Je eher, desto sinnvoller. Leichte Präparate gibt es rezeptfrei in der Apotheke, die sollten aber nur kurzzeitig, für maximal zwei bis drei Tage auftragen werden. Bei richtig knackigen Sonnenbränden mit Blasen sollte man zum Haus- oder besser Hautarzt gehen. Tote Zellen kann aber auch der nicht mehr reanimieren.