Essen. In Essen haben sich zwei Selbsthilfegruppen für ICD-Träger gegründet. Nico Dombrowski rettete das Defi schon einmal das Leben. Er leidet dennoch.

Nico Dombrowski wäre jetzt vermutlich tot. Hätte der Defibrillator des vierfachen Vaters im Februar, als sein Herz eines Nachts plötzlich still stand, nicht sofort reagiert. Das kleine Gerät, das der Essener seit 2018 in seinem Körper, unter dem linken Schulterblatt, trägt, rettete durch einen Elektroschock sein Leben. Es macht ihm dennoch Angst. Denn es löste auch schon grundlos aus. Ein technischer Defekt – eine furchtbare, schmerzhafte Erfahrung, die Nico Dombrowski gleich neunmal durchstehen musste. In einer neu gegründeten Selbsthilfegruppe sucht der 36-Jährige jetzt den Austausch mit anderen „ICD-Trägern“.

Nico Dombrowski in einem der Räume des Margot-von-Bonin-Hauses, in denen sich die Selbsthilfegruppen treffen: Er trägt ein ICD und wartet auf ein Spenderherz.
Nico Dombrowski in einem der Räume des Margot-von-Bonin-Hauses, in denen sich die Selbsthilfegruppen treffen: Er trägt ein ICD und wartet auf ein Spenderherz. © FUNKE Foto Services | Jakob Studnar

Rund 26.000 Menschen in Deutschland leben wie der gelernte Koch und Kaufmann mit einem „Implantierbaren Cardioverter Defibrillator“ (ICD) – nicht zu verwechseln mit einem Herzschrittmacher. Diese lösen keine Schocks aus, kommen vorwiegend bei zu langsamem Herzschlag zum Einsatz, Defibrillatoren bei zu schnellem. 40 Prozent der ICD-Träger leiden laut Bundesministerium für Bildung und Forschung unter Ängsten oder depressiven Verstimmungen.

Von seinem Herzfehler ahnte er nichts

Dass Dombrowski einen Herzfehler hat, ahnte er nicht, obwohl er schon mit Anfang 20 oft müde und schnell außer Puste war. Erst als er den Wehrdienst antreten wollte, wurde seine „Aortenklappeninsuffizienz“ entdeckt. 2010 wurde er deswegen operiert. „Danach war Ruhe, bis 2018“, erzählt er.

Acht Jahre nach der OP kehrte die Schlappheit zurück. Der Kardiologe stellte fest: die Pumpleistung seines Herzens lag nur noch bei 35 Prozent. Eine verschleppte Herzmuskelentzündung war die Ursache dafür. Sein Risiko für ein lebensbedrohliches „Kammerflimmern“ oder plötzlichen Herztod sei nun sehr deutlich erhöht, sagten die Ärzte – und legten Dombrowski einen Defibrillator unter die Haut. Damit er noch eine Zukunft habe, sagten sie. Dann schickten sie Dombrowski ins Uniklinikum – zur „Listung“ für ein Spenderherz. Seit 2019 steht der 36-Jährige nun auf der Warteliste.

„Es fühlt sich an, als ob man direkt in eine Steckdose packt“

Bis ein passendes Organ gefunden ist, muss er mit „Defi“ leben. Anfangs kein Problem, sagt Dombrowski. „Im Gegenteil“. Seine Mutter sei eines Abends eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht – für damals „ein traumatisches Erlebnis“. Den eigenen Kindern wolle er darum ersparen, „eines Morgens, wenn sie zum Kuscheln ins Bett kommen, den kalten Papa dort vorzufinden“. Dass sein Defibrillator im Februar neunmal auslöste, obwohl es nicht nötig war, macht ihm indes auch heute noch zu schaffen, obwohl das defekte Gerät längst gegen eine neues ausgetauscht ist.

Es traf ihn ja bei vollem Bewusstsein, er saß ruhig daheim, als es das erste Mal passierte. „Es hat mich fast aus dem Sessel gehauen. Das tut weh, fühlt sich an, als ob man direkt in eine Steckdose packt.“ Selbst seine Frau habe „noch einen gewischt gekriegt“, als sie ihm zu Hilfe eilte. Ein Krankenwagen brachte ihn ins Uniklinikum – wo weitere acht Schocks folgten. Ohne, dass Dombrowskis Herz der Grund gewesen sein konnte, wie die Daten-Auslese ergab. Am Ende, sagt der 36-Jährige, „habe ich nur noch jeden angefleht, dass er dem ein Ende setzt, ich konnte nicht mehr.“

„Viele Betroffenme leiden nicht nur somatisch, sondern auch psychisch“

Er hat sich erholt, aber die Angst ist geblieben. Entspannt in seinem Sessel zu sitzen, fällt ihm noch schwer; genau wie allein vor die Tür zu gehen. Bei seinem Arzt fand er ein offenes Ohr für seine Nöte.

Denn Dr. Muhammed Kurt, Herzchirurg und Kardiologe, kennt die Ängste seiner Patienten. „Das beste Gerät tadellos zu implantieren – reicht nicht“, sagt der Bereichsleiter der „Schrittmacher- und Devicetherapie“ der Uniklinik Essen. „Viele Betroffene leiden nicht nur somatisch, sondern auch psychisch.“ „Technisch gesehen“ dürften Patienten mit Defi keine Sorgen haben. Das Streichholzschachtel-große Gerät, je nach Modell 60 bis 250 Gramm schwer, schütze zuverlässig vor einem plötzlichen Herztod. Aber es bliebe, meint Kurt, „ein Fremdkörper“. „Was tun, wenn der Defi auslöst und ich bin wach“, sei eine typische Frage, die nicht nur Nico Dombrowski umtreibe.

„Man kann aber nicht alle Sorgen bei der Familie abladen“

Frauen hätten zuweil „ästhetische Probleme“ („man sieht das Ding ja“), Männer fürchten eine Beeinträchtigung ihrer Sexualität; viele fragten: „Habe ich nun eine verkürzte Lebenszeit?“ Natürlich gebe es Ansprechpartner in den Ambulanzen, aber nicht alle trauten sich nicht, einem Arzt all ihre Fragen zu stellen. „Doch wenn wir wirklich helfen wollen, müssen wir unseren Patienten die Möglichkeit geben, sich zu artikulieren. Und das geht auch gut ohne Arzt.“

Er machte sich für seine Patienten auf die Suche nach einer Selbsthilfegruppe, fand aber keine in der Nähe. Also regte er die Gründung einer neuen in Essen an. Organisatorisch betreut wird sie von Stella Meijerink von der Stiftung „PatientenErleben“ der Uniklinik. Die ersten Interessierten haben sich bereits um Nico Dombrowski gefunden, ihn freut das ungemein. „Man kann doch nicht alles bei der Familie abladen, will die Panik der Frau doch nicht noch weiter schüren...“ Seine Ärzte will er auch nicht immer „belästigen“, „die stehen ständig unter Druck, haben wenig Zeit“ – und die wichtigen Fragen kämen ihm sowieso stets erst nach dem Arztgespräch in den Sinn.

Purer Zufall: In Essen gründeten sich beinahe zeitgleich zwei Selbsthilfegruppen

Die Auftaktveranstaltung im Mai besuchte auch eine 27-Jährige mit Defi. Zusammen mit zwei anderen hatte sie im April am Essener Krupp Krankenhaus ebenfalls eine Selbsthilfegruppe für junge Betroffene (bis 45) gegründet: „DEFInitiv Leben“ heißt sie. Purer Zufall, die eine Gruppe wusste zunächst nichts von der anderen. Es zeige, sagt Dombrowski, wie groß der Bedarf sei.

Stella Meijerink koordiniert für die „Stiftung PatientenErleben“ der Uniklinik Essen verschiedenste Selbsthilfegruppen. „Sie leisten tolle Arbeit, verdienen Unterstützung“ sagt sie.
Stella Meijerink koordiniert für die „Stiftung PatientenErleben“ der Uniklinik Essen verschiedenste Selbsthilfegruppen. „Sie leisten tolle Arbeit, verdienen Unterstützung“ sagt sie. © FUNKE Foto Services | Jakob Studnar

Der Austausch über persönliche Erfahrungen mit Defi, Kliniken, Ärzten und Therapien soll im Fokus seiner Selbsthilfegruppe stehen; er will aber auch Mediziner und Produkt-Vertreter zu Info-Veranstaltungen einladen. „Dass man alle seine Fragen stellen darf, alle seine Sorgen los wird, neue Freunde findet, sich weniger alleine fühlt, das stärkt. Das macht solche Gruppen aus“, sagt Stella Meijerink, die an die 20 verschiedene Selbsthilfegruppen koordiniert. Sie nennt das „Betroffenenkompetenz“.

Dr. Kurt betont, es gehe darum, zu vermitteln: „Defi heißt nicht: Ich bin am Ende meines Lebens angekommen.“ Wenn er, der Arzt, das sage, bedeute es Patienten nicht soviel, wie wenn die andere Betroffene kennenlerne, „Menschen, die mit Defi Hochleistungssport treiben, drei Kinder bekommen haben oder Oberstudienrat geworden sind“.

>>>Info: Gruppentreffen

Die offene Selbsthilfegruppe am Essener Uniklinikum trifft sich jeden 2. und 4. Donnerstag im Monat, 18 Uhr, im Margot-von-Bonin-Haus. Info und Ansprechpartner: Nico Dombrowski, 01575/8284000. Auch Angehörige sind willkommen.

Die Selbsthilfegruppe für junge ICD-Träger am Rüttenscheider Krupp Krankenhaus trifft sich samstags in unregelmäßigen Abständen im Berthold-Beitz-Saal, das nächste Mal am 23. Juli. Anmeldung und Kontakt über Instagram (@definitiv_leben) oder E-Mail (definitivleben@gmail.com). Ansprechpartner: Isa, Martin und Nick.

Weitere Gruppen sind u.a. zu finden auf der Website der Patientenorganisation ICD Deutschland