Gelsenkirchen/Essen. Misael Buzuk (46) war nie krank, bricht vor einem Essener Baumarkt dennoch plötzlich zusammen. Herzstillstand. Dass er überlebte: „Riesenglück“.

Dieses Bild, sagt Irena Buzuk, bekommt sie nicht mehr aus dem Kopf: Wie ihr Mann Misael da liegt, neben seinem Auto, auf diesem Baumarkt-Parkplatz in Essen-Frillendorf, den Kopf in ihrem Schoß. „Ich sehe, wie er um Luft ringt, wie er krampft, wie er stirbt. Und ich kann nichts dagegen tun.“ Misael Buzuks Herz hört an jenem sonnigen Nachmittag des 9. Oktober nach einem plötzlichen schweren Infarkt und Kammerflimmern auf zu schlagen.

Sechs Wochen später sitzt der 46-jährige Gelsenkirchener strahlend an seinem Wohnzimmertisch und sagt: „Mir geht es gut. Ich hatte ein Riesenglück.“

Hatte er tatsächlich, findet auch sein Arzt. Wäre da nicht der junge Mitarbeiter des Baumarktes gewesen, ausgebildet als Ersthelfer, der – alarmiert durch Irena Buzuks Schreie – sofort auf den Parkplatz rannte und zwei Minuten nach dem Herzstillstand mit der Reanimation begann; wäre der Notarzt mit seinem Defibrillator nicht schon weitere zwei Minuten später vor Ort gewesen; wäre es nur ein bisschen ungünstiger gelaufen – Misael Buzuk wäre jetzt tot, glaubt Dr. Johannes Siebermair, Oberarzt der Kardiologie im Universitätsklinikum Essen. In seine Notaufnahme brachte man den Patienten, als sich dessen Zustand einigermaßen stabilisiert hatte.

Alle drei Herzkranzgefäße waren verengt, eines sogar komplett verschlossen

Misael Buzuk fühlt sich schon wieder fit und ist sehr dankbar für das „Riesenglück“, das ihm widerfuhr. Er wartet auf die Reha, ist zuversichtlich, dass er danach wieder als Berufskraftfahrer arbeiten können wird.
Misael Buzuk fühlt sich schon wieder fit und ist sehr dankbar für das „Riesenglück“, das ihm widerfuhr. Er wartet auf die Reha, ist zuversichtlich, dass er danach wieder als Berufskraftfahrer arbeiten können wird. © Fabian Strauch / FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Alle drei Herzkranzgefäße Buzuks, zeigte die Diagnostik, waren verengt, eines davon sogar komplett verschlossen. „Es brauchte zwei Stents, um es wieder aufzumachen“, berichtet Siebermair. Nach der Operation versetzten die Ärzte den Berufskraftfahrer in ein künstliches Koma, kühlten seine Körpertemperatur auf 33 Grad herunter, „um die Hirnfunktionen zu schützen“, so der Kardiologe. Erst nach drei Tagen weckte man den Patienten wieder auf. Es folgte „ein schwieriger Verlauf“, denn bei der Wiederbelebung seien Speisereste in Buzuks Lunge gelangt, was zu einer „Aspirationspneumonie“, einer schweren Lungenentzündung führte. Doch auch davon erholte er sich.

Misael Buzuk musste man diese Geschichte erzählen, „immer und immer wieder“, sagt seine Frau. Seine eigene Erinnerung setzt am Tag vor dem Unglück aus – und erst eine knappe Woche später wieder ein. Als ein Arzt an seinem Bett auf der Intensivstation steht und fragt, ob er wisse, was passiert sei? Ein Herzinfarkt? Der zweifache Vater will es zunächst gar nicht glauben. „Ich war immer fit wie ein Turnschuh“, beteuert er.

„Heute weiß ich, wie ungesund ich gelebt habe“

Buzuk wusste nichts von den „Plaques“, den Ablagerungen, die die Verengungen in seinen Herzgefäßen verursachten. Es komme vor, erklärt Siebermair, dass diese urplötzlich aufplatzen, ohne Vorboten, ohne dass es zuvor Probleme gab. Es gebe indes auch typische Risikofaktoren: schlechte Blutfettwerte, hoher Blutdruck, Übergewicht, Rauchen und Diabetes. „Heute“, sagt Buzuk, „weiß ich, wie ungesund ich gelebt habe.“

30 Zigaretten am Tag, zehn Tassen Kaffee, wenig Bewegung, viel Fleisch und Wurst – „umso fetter, umso lieber“, erzählt der 46-Jährige. Man sieht ihm das nicht an, und er fühlte sich ja fit. Vorsorge-Untersuchungen? Nicht sein Ding. Heute bereut er „seine Fehler“. Obwohl er sich wieder „ganz normal“ fühle, nur die Arme schmerzten noch, hat Misael Buzuk seinen Lebensstil dennoch radikal geändert. Er raucht nicht mehr, geht täglich spazieren und plant, das Fitnessstudio, in dem er seit drei Jahren angemeldet ist, bald auch wirklich zu nutzen. Check-ups beim Hausarzt will er künftig regelmäßig wahrnehmen und statt Cola trinkt er nun Wasser, Alkohol „ist völlig tabu“. Dreimal in der Woche kommt bei Buzuks jetzt statt Currywurst, Schnitzel oder Pizza Fisch auf den Tisch, zusammen mit viel Gemüse. „Und wenn’s Fleisch gibt, ist das mager und abgekocht“, erzählt Ehefrau Irena. „Mein Mann“, lacht sie, „isst jetzt sogar Obst“.

Risikofaktoren minimieren, Warnzeichen ernstnehmen

Misael Busuk ist sich sicher, dass er seinen neuen, gesunden Lebensstil beibehalten wird. „Mein Jüngster“, erklärt er, „ist ja erst drei.“ Auf dessen Hochzeit will er noch tanzen. Seine Frau wird ihn unterstützen nach Kräften. Sie erzählt, sie habe auf der Intensivstation ein Foto von Misael gemacht, als er noch im Koma lag, an ungezählte Apparate angeschlossen, völlig hilflos: „Ein furchtbares Bild. Aber wenn er je wieder zu einer Zigarette greift, zeige ich es ihm!“

Buzuks Arzt wird sich freuen. Die Genetik, sagt Johannes Siebermair, lasse sich nicht ändern. Beeinflussbare Risikofaktoren aber gelte es zu minimieren. Auch Warnzeichen des Körpers sollte man stets ernst nehmen, rät er. Vor seinem Infarkt plagten Buzuk nämlich tatsächlich Schmerzen in Brust und Rücken, räumt er heute ein. Damals ignorierte er sie: „Ich hatte gerade 20 Pakete Laminat in unserem Keller verlegt, und dachte, das sei der Grund...“

Der erste Weg nach er Klinik-Entlassung führte wieder in den Baumarkt

Bauhaus-Mitarbeiter Luca Felter begann unmittelbar nachdem Buzuk auf dem Parkplatz zusammen gebrochen war, mit der Herzmassage – und hörte erst auf, als der Notarzt mit seinem Defibrillator eintraf.
Bauhaus-Mitarbeiter Luca Felter begann unmittelbar nachdem Buzuk auf dem Parkplatz zusammen gebrochen war, mit der Herzmassage – und hörte erst auf, als der Notarzt mit seinem Defibrillator eintraf. © Fabian Strauch / FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Gleich nach seiner Entlassung fuhr Misael Buzuk übrigens erneut zu dem Baumarkt in Frillendorf, wo sein Herz plötzlich stillstand. Nicht um seine Erinnerung wiederzubeleben. Er kam mit Geschenken und voller Dankbarkeit zu Luca Felter – dem Mann, der ihn reanimierte und den er „meinen Lebensretter“ nennt. Buzuks Frau wäre gerne mit ihm zusammen hingefahren, auch um sie hätte sich das Baumarkt-Team rührend gekümmert, erzählt sie leise: „Aber ich schaffe das noch nicht.“ Sie kriegt die Bilder nicht aus dem Kopf: Wie ihr Mann dort liegt und stirbt.

>>>>INFO: Zahlen, Fakten, Herzwochen

65.000 Menschen werden nach Schätzungen der Deutschen Herzstiftung Jahr für Jahr Opfer eines „Sekundentodes“, wie ihn Misael Buzuk „erlebte“; mit 639.230 Fällen ist eine koronare Herzerkrankung, wie sie unerkannt bei ihm vorlag, der häufigste Grund für eine Krankenhaus-Aufnahme in Deutschland.

Im Rahmen der aktuellen „Herzwochen“ wird derzeit überall im Land über das Thema aufgeklärt. Das Essener Universitätsklinikum lädt am Donnerstag (25.11) zu einer interaktiven Online-Veranstaltung für Patienten ein (14-17 Uhr). Das Webinar mit virtueller Klinikführung wird moderiert von Dr. Johannes Siebermair und Prof. Tienush Rassaf, dem Direktor der Klinik für Kardiologie. Fragen können bereits vorab gestellt werden.

Weitere Info: Deutsche Herzstiftung