Essen. Keine andere Stadt bundesweit testet so gezielt auf Covid-19 wie Essen. Jörg Spors besucht Verdachtsfälle zu Hause – und nimmt ihnen die Ängste.
Die rasche Ausbreitung von Covid-19 war für Jörg Spors keine große Überraschung. „Mir war immer klar, dass eine solche Pandemie kommt. Dass ich sie noch in meinem Berufsleben mitbekomme, hätte ich allerdings nicht gedacht“, sagt der Hygienebeauftragte der Essener Feuerwehr.
Schon seit 20 Jahren befasst sich Spors mit Pandemieplänen und Erregern – bis Ende Februar allerdings nur auf dem Papier oder in Übungen. 2016 baute der 51-Jährige in Essen die analytische Task Force Biologie des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe mit auf: Sie ist einzigartig in Deutschland.
Seit sich Covid-19 auch in Deutschland ausbreitet, sieht Spors seine Frau kaum noch, schläft meist direkt neben dem Lagezentrum an der Hauptfeuerwache und ist im Kampf gegen Corona im Dauereinsatz. Drei Tage frei hatte er seit dem 27. Februar, was ihm nichts ausmacht: Der Kampf gegen das Virus geht schließlich vor. Die jetzt beschlossenen Lockerungen machen dem Experten allerdings Sorgen: „Mein größter Wunsch ist gerade, dass die Menschen weiterhin Abstand halten“, sagt Spors, „denn wir sind auf einem guten Weg.“
Feuerwehrmann arbeitete schon 2009 an Essener Pandemieplan mit
Schon als das neuartige Coronavirus Ende vergangenen Jahres in China vermehrt auftauchte, wurden Spors und seine Kollegen von Feuerwehr und dem Gesundheitsamt aufmerksam: „Wir schauen uns immer weltweit die Ausbreitung von Krankheiten an und beraten uns mit Fachleuten wie Mikrobiologen. Da das Virus aber noch zu unbekannt war, hätten sich die genaue Ausbreitung und Folgen kaum vorhersehen lassen“, sagt Spors, der bereits 2009 an dem Pandemieplan für Essen mitschrieb.
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Von dieser guten Vorbereitung profitieren die Menschen in der Ruhrgebiets-Metropole nun: Auch Virologe Christian Drosten lobte die Stadt Essen für ihre gezielten Testungen. Denn anders als die meisten Städte testet Essen dezentral – und besucht potenzielle Verdachtsfälle zu Hause mit speziell geschultem Personal: einem sogenannten Desinfektor und einem Rettungssanitäter. Das sei sehr personalintensiv und könne daher nicht einfach auf jede Stadt und Kommune ausgerollt werden, weiß Spors.
Wie Spors und seine Teams die Corona-Verdachtsfälle erleben
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Er koordiniert die Zweier-Teams und fährt auch selbst mit raus, um die Proben zu nehmen. Das wirke in vielerlei Hinsicht zunächst etwas beängstigend auf die meisten Menschen: „Neben einer FFP3-Schutzmaske, Schutzbrille und Haube tragen wir Handschuhe und Kittel, wenn wir die Wohnungen betreten. Dann entnehmen wir eine Rachenprobe über die Nase, das ist nicht besonders angenehm, da müssen wir die Leute immer behutsam drauf vorbereiten“, berichtet Spors, der im Essener System viele Vorteile sieht: „Wir können die Menschen direkt beruhigen und ihr Umfeld analysieren. Mit wem hatten sie Kontakt? Welche Symptome zeigen sie? Diese Fragen lassen sich direkt im Gespräch klären.“
Analytische Task Force Biologie hat Sitz in Essen
Um bei biologischen Gefahrenlagen – insbesondere bei biologischen Waffen – schnell einsatzfähig zu sein, hat das Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BBK) mit dem Aufbau einer Analytischen Task Force begonnen. Seit 2016 sind bei den Feuerwehren in Essen und München sowie beim LKA in Berlin drei Standorte für biologische Einsatzlagen eingerichtet.
Aufgabenschwerpunkte sind die Probenahme und die Gefährdungsbewertung vor Ort. Ein Einsatz im „natürlichen Seuchengeschehen“, wie wir es gerade bei dem Coronaausbruch erleben, gehört zwar nicht zu den Aufgaben der Task Force. „Sie kann aber in Amtshilfe unterstützend tätig werden“, heißt es dazu beim BBK.
Die Menschen, die Spors und seine Teams erleben, gehen unterschiedlich mit der Infektion um, erzählt er: „Manche haben große Angst, andere sind fast froh, weil sie ihr Leben zurück bekommen, sobald sie Covid-19 hinter sich haben.“ Ebenso unterschiedlich seien die Symptome. „Uns begegnen oft trockener Reizhusten, Schmerzen in der Brust, Durchfall sowie Geschmacks- und Riechverlust. Diese Symptome können gemeinsam oder einzeln auftreten“, sagt Spors. Bislang hätten die Teams in Essen kaum positive Befunde bei Kindern und Jugendlichen festgestellt. „Und Gott sei Dank haben wir auch bei ganz Alten nicht so viele Befunde“, schiebt Spors hinterher.
Feuerwehr-Teams haben fast 7000 Proben zur Analyse in die Uniklinik gebracht
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Bis zu 150 Proben am Tag haben Spors und seine Kollegen in den vergangenen Wochen zur Virologie der Essener Uniklinik gebracht, fast 7000 waren es seit Anfang März insgesamt. Dabei machen Spors und seine Kollegen weit mehr, als den Erkrankten ein Stäbchen in die Nase zu schieben. „Wir hatten schon Fälle, in denen ein Ehepartner stationär ins Krankenhaus musste, der andere sich zu Hause aber nicht allein versorgen konnte. Dann suchen wir im Lagezentrum gemeinsam mit dem Gesundheitsamt nach Lösungen“, erklärt Spors.
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Die persönlichen Schicksale sind es auch, die den Vater von vier erwachsenen Söhnen bei aller beruflichen Professionalität betroffen machen: „Ich habe kein Verständnis für Menschen, die Covid-19 als Gefahr nur für alte Menschen abtun und schnelle Lockerungen fordern. Auch im Alter ist jeder Mensch ein wertvoller Teil der Gesellschaft.“ Vor allem die Besuche in den Pflegeheimen seien herausfordernd, „die Menschen dort haben große Angst“, weiß Spors. Diese Ängste zu nehmen und aufzuklären sei ebenso wichtig wie die Probe selbst.
Ob er sich selbst vor einer Ansteckung fürchte? „Nein“, sagt Jörg Spors, „bislang ist zum Glück auch niemand der Kollegen im Dienst erkrankt. Die gute Zusammenarbeit zwischen Feuerwehr und Gesundheitsamt hier im Lagezentrum motiviert uns alle, jeden Tag weiterzumachen.“