Dinslaken. Würden Sie Tomaten essen, die mit Abwasser gezogen wurden? Natürlich wird es aufwendig gereinigt. Die Kläranlage der Zukunft soll das können.
Würden Sie Tomaten von der Kläranlage essen? Einen knackigen Kopfsalat, der zum größten Teil aus Abwasser besteht – das zuvor natürlich mit modernsten Mitteln gereinigt worden ist. Könnte das Klärwerk der Zukunft gar einen Hofladen bekommen, zum Schaugarten werden, wo gezeigt wird, wie aus Abfällen, die einst Lebensmittel waren, wieder Gemüse wird? Dass dies zumindest technisch machbar ist, will ein Modellprojekt an der Kläranlage Emscher-Mündung in Dinslaken zeigen.
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Anfang April sollen vier Container kommen, vollgepackt mit Technik, „um aus der Entsorgungs- eine Versorgungsanlage“ zu machen. So erklärt Dr. Dennis Blöhse, Projektleiter der Emschergenossenschaft, die Vision. Und tatsächlich ist es erstmal genau das: „eine Vision, die wir prüfen“. Ein Gemüseanbau mit Wärme, Wasser und Nährstoffen aus Abwasser ist grundsätzlich machbar, das haben die Laborversuche bewiesen. Aber wirtschaftlich wird es erst mal nicht sein. „Leute aus der Praxis schütteln schon mit dem Kopf“, sagt Blöhse. „Aber es ist spannend.“
Viele Partner haben Interesse
Das Fraunhofer-Institut Umsicht in Oberhausen und das Helmholtz-Institut für Umweltforschung in Leipzig steuern Technik und Know-how bei, ebenso wie die Hochschulen in Osnabrück, Kaiserslautern und Gießen sowie das Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung in Dortmund. Auch Metro und Rewe sind unter den Partnern zu finden. Abwasser wird natürlich ohnehin gereinigt an Kläranlagen, aber „es ist dann noch kein Trinkwasser“, erklärt Blöhse. Es ist so sauber, dass man es bedenkenlos in Gewässer einleiten kann. Aber für die direkte Verwendung müssen nicht nur biologische und chemische Schadstoffe, darunter Medikamentenrückstände, aus dem Abwasser heraus gefiltert werden, zugleich werden Nährstoffe wie Kalium, Phosphor und Stickstoff zu Flüssigdünger aufbereitet.
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Die werden dann genau dosiert den Pflanzen zugegeben, die „hydroponisch“ in einem Substrat wachsen, ganz ohne Erde. Die notwendige Aufbereitungstechnik wird bereits in verschiedenen Industriezweigen eingesetzt, aber sie muss für das „Suskult“-Projekt in Dinslaken angepasst und neu verschaltet werden. Tomaten, Wasserlinsen und sogar Süßkartoffeln sollen dann unter Kunstlicht im Container wachsen.
Wilde Tomaten wachsen sowieso im Klärschlamm
„Tomaten auf der Kläranlage sind nichts neues“, verrät Blöhse. Ausgeschiedene Samen landen ständig im Klärschlamm und gedeihen von ganz allein. „In meiner Ausbildung wurden diese Tomaten scherzhaft als Mutprobe bezeichnet. Ich kenne aber keinen, der sie gegessen hätte.“ Den ersten Salat von der Emscher hofft Blöhse jedoch noch in diesem Jahr mit den 15 Partnern verköstigen zu können. Persönlich hat er keine Bedenken. „Wir stellen sicher, dass das verwendete Wasser höchsten Ansprüchen genügt.“
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Womöglich lassen sich die Erkenntnisse aus Dinslaken eines Tages anwenden auf Stadtquartiere und größere Wohnkomplexe, die heute schon gelegentlich eigene Abwasseraufbereitungen haben. Dachgärten und begrünte Fassaden sind ebenfalls im Trend – aber das wäre „auf die Vision noch eins draufgesetzt“, sagt Blöhse. Es gebe ja entsprechende Projekte in Nachbarländern. Das Neue an der Emscher ist: „Hier wird die Kläranlage neu gedacht.“ Und wenn eines Tages Besucher kommen sollten, um Gemüse zu kaufen oder sich den Garten anzuschauen – dann wäre das eine wirklich neue Recycling-Erfahrung, an der sie auch ganz persönlich teilhaben. „Für viele endet das Thema ja bislang mit der Betätigung der Spülung.“
>> Aquaponik vereint die Zucht von Fisch und Gemüse
Dortmund. Aquaponik ist in China eine uralte Kulturtechnik. Und nun auch in Dortmund populär, dem Verein „Die Urbanisten“ sei Dank. Die Idee: Man stapelt ein Substratbeet auf ein Fischbecken. Was Fische ausscheiden, brauchen Pflanzen. Die Fische bekommen sauberes Wasser zurück, filtriert vom Gemüse. In der Praxis ist alles etwas komplizierter. Man muss ab und an das Wasser austauschen, Pflanzfolgen beachten, gezielt Nährstoffe hinzugeben und die Filter warten.
Die Urbanisten machen das jedoch schon seit zehn Jahren in ihrem Gewächshaus auf dem Union-Gewerbehof-Gelände. Mit dem Lauf der Jahreszeiten wachsen dort abwechselnd Tulpen, Kräuter, Chillies nebst Auberginen und im Winter Grünkohl. Die Fische leben mit den Pflanzen unter einem Dach. Dort soll es ab April Audio-Führungen geben, die jeder Besucher per QR-Code auf sein Handy holen kann. Empfohlen ab 14 Jahren, Dauer etwa 20 Minuten, bitte mit Kopfhörer. Auch an mehreren Schulen haben „Die Urbanisten“ bereits Indoor-Aquaponiksysteme aufgebaut, zuletzt in einem Workshop mit Schülerinnen und Schülern der Anne-Frank-Gesamtschule.
>> Ein Zuchtschrank im Unterricht
Einer dieser überdimensionierten Kühlschränke könnte das sein, nur das drinnen Grünes wächst. Einen Pflanzenzuchtschrank für Schulen haben Studenten der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen entworfen. Petersilie und Salat, kein Problem. Aber der Schrank soll eher Unterrichtsmaterial sein – in allen Mint-Fächern. „Schüler und Schülerinnen können alle Wachstumsfaktoren selbst beeinflussen und so lernen, wie sich Licht, Luft, Kohlendioxid, Wasser und Nährstoffe auf den Pflanzenertrag auswirken,“ erklärt Matthias Rheinlaender, Wirtschaftsingenieur und Mitentwickler des Pflanzenschranks. Das Ergebnis ihrer Arbeit können die Schüler am Ende ernten und essen. Der Schrankbausatz soll bald in Serie produziert werden.
>> Salat wächst auf dem Jobcenter
„Gebäudeintegrierte Landwirtschaft“ lautet das Stichwort beim Altmarktgarten auf dem Dach des Oberhausener Jobcenters. Kräuter, Salate und Erdbeeren wachsen hier auf 1.100 Quadratmetern. Das Fraunhofer Umsicht-Institut forscht unter anderem, wie man das Dach mit einer Kombi aus Folie und Glas leichter machen kann. Führungen gibt’s ab Ende März: altmarktgarten-oberhausen.de.