Essen. / Gelsenkirchen. Das Essener Schwurgericht ist sicher: Michael S. hat die Gelsenkirchenerin Anna Smaczny ermordet und ihre Leiche verschwinden lassen.

Ohne sichtbare Regung nimmt der Krefelder Michael S., Angeklagter im Prozess um einen Mord ohne Leiche, am Dienstag das Urteil des Essener Schwurgerichtes entgegen. Weil der 47-Jährige nach Überzeugung der fünf Richter "aus niedrigen Beweggründen" die 35 Jahre alte Gelsenkirchenerin Anna Smaczny ermordet hatte und ihre Leiche verschwinden ließ, verhängte die Kammer lebenslange Haft und stellte die besondere Schwere seiner Schuld fest. Außerdem ordnete sie zusätzlich die Sicherungsverwahrung des Mannes an, der bereits 1998 eine Ex-Freundin getötet hatte.

Richter Martin Hahnemann sprach am Schluss seiner gut 90-minütigen Urteilsbegründung von der "höchsten Strafe, die nach deutschem Recht möglich ist". Tatsächlich: Mehr geht nicht, und die Chancen für Michael S., das Gefängnis noch einmal lebend zu verlassen, stehen schlecht.

Vermisst seit dem 23. Juni 2019

Am 23. Juni 2019 ist Anna Smaczny, die im Gelsenkirchener Ortsteil Bismarck lebte, zum letzten Mal lebend gesehen worden. Sie hatte eineinhalb Jahre zuvor über das Internet eine Beziehung mit Michael S. begonnen, sie aber nach wenigen Monaten beendet. Allerdings blieb sie ihm verbunden, regelmäßig hatten die beiden auch Sex.

"Außerdem machte sie von ihrem Recht Gebrauch, auch andere Kontakte zu pflegen", beschrieb Richter Hahnemann, was für den Angeklagten eine Katastrophe war. Denn dass es für ihn eine Zumutung ist, wenn eine Frau sich von ihm trennt, das hatte die psychiatrische Gutachterin Maren Losch deutlich gemacht. Wie schon in der Vergangenheit bei anderen Frauen versuchte Michael S. auch jetzt, Anna Smaczny von sich abhängig zu machen.

Reiche Tante in der Schweiz erfunden

Zunächst zündete er ihre Wohnung an, in die er vermutlich mit einem Nachschlüssel gekommen war, sagt das Gericht. Damit solle sie in finanzielle Not geraten und ihn um Hilfe bitten. Als das nicht gelang, habe der Angeklagte eine reiche Tante in der Schweiz erfunden, die Anna und ihn reichlich beschenken wollte. 740.000 Euro hatte sie in Aussicht gestellt.

Anna Smaczny reagierte irgendwann misstrauisch, drängte auf ein Treffen mit der Tante. Michael S. griff zu Ausreden, erfand jetzt sogar den Tod seiner Eltern. Diese Lüge flog schnell auf, veranlasste Anna Smaczny zum endgültigen Abbruch der Beziehung. Damit, so sinngemäß das Gericht, hatte sie ihr Todesurteil unterschrieben.

Schon elf Jahre im Gefängnis wegen Totschlags gesessen

Wegen der ersten Tötung einer Freundin, die ihn verließ, hatte Michael S. elf Jahre Haft wegen Totschlags bekommen. Diese Zeit habe er keineswegs dazu genutzt, Reue zu empfinden und an sich zu arbeiten, hieß es im Urteil. Richter Hahnemann: "Seine Lehre aus der Haftzeit war, dass er sich nicht erwischen lassen durfte."

Am 23. Juni 2019 holte er sie in seine Krefelder Wohnung. Was dann passierte, das zeigen ein Foto und ein Video, die der Angeklagte im Abstand von zweieinhalb Stunden von Anna Smaczny fertigte. Sie zeigen die nackte, am Boden liegende Frau, deren Kopf mit einer am Hals verschnürten Plastiktüte bedeckt ist. Und das Video offenbart zudem, wie der "Kameramann" sich am Leichnam vergeht und dabei ruft: "Bist du geil." Dass es sich bei dem Mann, der das Video dreht, um Michael S. handelt, leitet das Gericht sicher aus dessen Socken in rot-orange ab, die auf den Bildern zu sehen sind.

Ein Akt der Demütigung und Bestrafung

Für Psychiaterin Maren Losch hat die Szene nichts mit einer sexuellen Befriedigung, sondern mit einem Akt der Demütigung und Bestrafung zu tun. Dem schloss das Gericht sich an. Dass Michael S. schuldig ist, belegt laut Urteil auch seine rekonstruierte Internetrecherche. Da suchte er nach "Tod durch Ersticken", nach "Vermeiden von Leichengeruch", aber auch nach "Schlag auf den Kopf".

Woran genau Anna Smaczny starb und wo ihre Leiche ist, zu all dem trifft das Gericht keine Feststellungen. Das könne nur der Angeklagte sagen, und der mache von seinem Schweigerecht Gebrauch, sagte Richter Hahnemann.

Besondere Schwere der Schuld und Sicherungsverwahrung

Die besondere Schwere der Schuld machte das Gericht vor allem am strafrechtlichen Vorleben des Angeklagten fest. Hahnemann erinnerte an die Tötung der Freundin 1998, aber auch an die Misshandlung einer weiteren Freundin im Jahre 2014. Die 32-Jährige aus Essen hatte er getreten, geschlagen und gefesselt, weil er eifersüchtig war. Dafür bekam er zwei Jahre und acht Monate Haft.

"Dass er für die Allgemeinheit gefährlich ist, brauche ich nicht weiter auszuführen", sagte Hahnemann. Er erinnerte daran, dass der eigentlich psychiatrisch gesunde  Angeklagte "überhaupt keine Empathie, überhaupt kein Schuldbewusstsein hat".

Beweislage ohne Foto und Video schwach

Wie riskant manchmal die Gratwanderung für Polizei und Justiz ist, machte der Richter mit Blick auf die Beweislage deutlich: "Hätte er die Bilder nicht gemacht, hätte man viel vermuten, aber wenig nachweisen können."

Zum Schluss sorgten offenbar Angehörige der Ermordeten im Saal für unwürdige Szenen. Lautstark und vulgär beschimpften sie den Angeklagten. Justizwachtmeister und Gericht gingen nicht dazwischen. Aber der Angeklagte nahm auch das unbewegt hin.