Ruhrgebiet. Das Bedürfnis, groß zu feiern, nimmt zu. Eine Stadt kontrolliert gar Feten in Privatwohnungen. In Bochum sind 132 Anfragen eingegangen.
- Obwohl die Corona-Zahlen in NRW aktuell sprunghaft steigen, scheint das Feier-Bedürfnis groß: Die ohnehin schon belasteten Ordnungsämter werden durch Anfragen für Privatfeiern zusätzlich in Anspruch genommen.
- In Dortmund wurden die Gäste einer Großhochzeit mit 300 Menschen renitent, als die Polizei die Veranstaltung auflöste.
- Kein Einzelfall: Szenekenner berichten von zahlreichen als Privatparty getarnten Veranstaltungen.
Die Unvernunft nimmt offenbar zu: Die Ordnungsämter in der Region mussten in den vergangenen Tagen einige private Feiern auflösen, die gegen Corona-Richtlinien verstießen. In Dortmund feierten 300 Leute eine Hochzeit, doppelt so viele wie erlaubt. Die Gäste wurden renitent, als die Polizei einschritt. In Bochum hatte ein Veranstalter eine kommerzielle Party als Geburtstagsfeier getarnt und sich anschließend damit gebrüstet. Keine Einzelfälle. Auch andernorts werden Clubabende als „geschlossenene Gesellschaften“ getarnt oder eskalieren Großfeten in Kleingartenanlagen - ebenfalls am Wochenende in Dortmund.
Auch die offiziellen Anmeldungen belegen, dass das Bedürfnis nach Großfeiern zunimmt. Aus „herausragendem Anlass“ - dazu zählen Hochzeiten und runde Geburtstage – können die Ordnungsämter weiterhin Partys über 50 und mit bis zu 150 Personen erlauben, so wie in Dortmund. Allein in Bochum sind bis zum 7. Oktober 132 Anzeigen zu privaten Feiern eingegangen. Nur etwa zehn Prozent der Veranstaltungen seien ohne Nachfragen plausibel und nachvollziehbar zu klären gewesen, hieß es von der Stadt.
Düsseldorf hat acht Mitarbeiter nur für Anfragen eingestellt
Das Bild ist uneinheitlich: Selbst in einer halb so großen Stadt wie Hamm (etwa 180.000 Einwohner) waren innerhalb einer Woche 68 Feiern mit mehr als 50 Gästen angezeigt worden. Hamm hatte schon zuvor seine Regeln verschärft, weil sich bei Großfeiern Dutzende Bürger mit dem Coronavirus infiziert hatten. Dagegen berichtet die Stadt Gelsenkirchen von nur etwa zehn angemeldeten größeren Feiern über das Wochenende, im viel kleineren Solingen waren es dreimal so viele (31). In Duisburg sollen etwa 100 Anfragen vorliegen, fast so viele wie im doppelt so großen Köln (110).
Der Beratungsbedarf ist jedenfalls hoch: Düsseldorf hat acht Mitarbeiter abgestellt, um bei einer Hotline Fragen zur Anzeigepflicht von Privatfeiern zu beantworten. Knapp 50 Feiern wurden bislang angemeldet, über 150 Anfragen beantwortet.„Die Menschen sind verunsichert und haben ein Bedürfnis nach Planungssicherheit“, sagte ein Sprecher der Stadt Bielefeld. Hier befasse sich gerade eine Fachkraft mit Anfragen allein zu Privatfeiern. Bislang genehmigte die Kommune etwa 40 Feiern mit mehr als 50 Gästen.
Hier sind die wichtigsten Antworten:
Muss man Feiern in Privatwohnungen nun auch anmelden?
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Nein. Sie werden auch nicht kontrolliert – außer in Hamm (siehe unten). Allerdings gibt es eine „dringende Empfehlung“ des NRW-Gesundheitsministeriums, die Teilnehmer stufenweise zu begrenzen: Wird der Inzidenzwert von 35 (Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner im Sieben-Tages-Schnitt) in einer Region überschritten, sollen bitte nur noch 25 Gäste kommen, ab einem Inzidenzwert von 50 nur noch zehn. Auch SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach appelliert im WDR: „So wenig feiern, wie geht.“
In welchen Fällen muss ich eine Feier anmelden?
Zunächst kommt es darauf an, ob die Feier „außerhalb des privaten Bereichs“ stattfindet, also in einem gemieteten Raum. Denn Feiern in Privatwohnungen werden nicht kontrolliert. Und tatsächlich gibt es keine offizielle Obergrenze der Gästezahl. Allerdings appellieren alle offiziellen Stellen, sich auch im Privaten an die Vorgaben zu halten. Und die sehen so aus:
Ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 35 sind Feiern im öffentlichen Raum (dazu zählen auch gemietete Gaststätten, Säle und Scheunen) ohne Anmeldung nur bis 50 Teilnehmer gestattet. Bei einer Inzidenz von 50 nur bis zu 25 Teilnehmer. Das Ordnungsamt kann aber „aus herausragendem Anlass“ weiterhin auch Feiern bis zu 150 Teilnehmern erlauben. Sie sind mindestens drei Werktage vorher bei Stadt oder Kreis anzumelden.
Oft findet sich auf den Internetseiten der Kommune ein Anmeldeformular. Auch Mails sind meist möglich. Dabei müssen die Örtlichkeit, das Datum, der Veranstalter inklusive Kontaktdaten und die möglichst genaue Teilnehmerzahl genannt werden.
Was ist ein herausragender Anlass?
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Jubiläum, Hochzeit, Taufe, Geburtstage und Abschlussfeiern werden in der aktuellen Corona-Schutzverordnung genannt. Jedoch legen die meisten Ordnungsämter es so aus, dass mindestens ein runder Geburtstag vorliegen muss. Dies steht im Einklang mit einem Urteil des Verwaltungsgerichts Münster, das Mitte August eine Party zum 26. Geburtstag mit 70 Teilnehmern untersagte (Az. 5 L 684/20). Im Zweifel besser bei der Stadt nachfragen.
Auch große Beerdigungen müssen gegebenenfalls angemeldet werden. Vor Ort gelten jedoch weniger strenge Regeln. Hier sieht die Verordnung vor, dass das Abstandsgebot und die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung ausgesetzt ist, wenn „geeignete Vorkehrungen zur Hygiene und in geschlossenen Räumen (z.B. Trauerhalle) zur einfachen Rückverfolgbarkeit“ sichergestellt sind.
Was ist noch zu beachten?
Für die Feier ist zwingend eine Gästeliste mit Kontaktdaten zu führen und vier Wochen aufzuheben. im falle einer infektion können so Ansteckungsketten nachvollzogen werden. Falsche Angaben sind mit 250 Euro Bußgeld bedroht. Werden gar keine Angaben gemacht, liegt das Bußgeld bei 500 Euro. Ansonsten gelten die mittlerweile bekannten AHAL-Regeln: Abstand, Hygiene, Alltagsmaske, Lüften.
Wer trägt die Kosten, wenn eine Feier kleiner als geplant ausfallen muss?
Die Regel ist recht einfach: Kann die Hochzeit prinzipiell stattfinden, nur eben kleiner, dann ist das Brautpaar im Risiko. Es muss aufkommen, wenn das Buffet sich nicht mehr abbestellen lässt. Wird die Gaststätte geschlossen, ist der Wirt im Risiko.
Droht eine Verschärfung der Regeln für Privatwohnungen?
Das ist zumindest nicht ausgeschlossen. Die Stadt Hamm als Corona-Hotspot geht hier voraus. Sie hat am 1. Oktober per Allgemeinverfügung das Feiern in den eigenen vier Wänden unter die gleichen Regeln gestellt wie in gemieteten Räumen. Sie müssen auch angemeldet werden, wegen der hohen 7-Tage-Inzidenz ab 25 Personen. Überdies hat die Stadt das vom Land genannte Bußgeld bei Verstößen vervierfacht die auf 2500 Euro.
Dabei hatte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) kurz zuvor betont: „Für Feiern in den eigenen vier Wänden gilt der hohe Grundrechtsschutz der Privatsphäre.“ Und Ministerpräsident Armin Laschet ergänzte, im Privaten setze man auf „Eigenverantwortlichkeit“. Doch die Empfehlungen des Landes zu Beschränkungen von Feiern galten nicht nur den Bürgern, sondern vor allem den lokalen Gesundheitsbehörden. Die müssen sie in konkrete Verordnungen gießen, und „sie haben die Kompetenz, zu sagen: Wir machen das jetzt“, erklärt der Düsseldorfer Rechtsanwalt Siegfried Bratke. Maßnahmen, die so tief in die Privatsphäre eingreifen, mögen unpopulär sein, aber jede Stadt kann bei entsprechendem Infektionsgeschehen für sich entscheiden, dem Hammer Beispiel zu folgen.
Wie geht das Ordnungsamt dann in der Praxis vor?
Hamm kontrolliert seine Sonderregelung „auf Beschwerden hin“, sagt Stadtsprecher Tobias Köbberling. Dann werde im ersten Schritt der Ordnungsdienst klingeln. Sollte diesem dann nicht geöffnet werden, „würden wir auch die Polizei hinzubitten.“ Regelungen für den privaten Bereich „sind nicht unumstritten“, sagt Köbberling. „Wir gehen aber davon aus, dass unsere Maßnahme durch den Infektionsschutz gedeckt ist.“
Anderswo müsste schon ein Nachbar melden, wenn sich in einer Kellerbar 80 Gästen treffen. Sonst bekommt das ordnungsamt es auch gar nicht mit.
„Wir gehen Beschwerden natürlich nach und würden sicher vorbeischauen, um die Situation aufzuklären“, sagt Ordnungsamtschef Olbering. Dabei komme man wohl an die rechtlichen Grenzen der Eingriffsmöglichkeiten. „Ich gehe aber davon aus, dass es eine Eigenverantwortlichkeit gibt, an die wir appellieren würden. Unsere Erfahrung ist auch: Keiner will bewusst seine Gäste einem Infektionsrisiko aussetzen“ – vor allem nicht gegen eine offiziell vorgebrachte Empfehlung. Im Zweifel würde man eine zu große Feier wohl auch wegen des Lärmschutzes auflösen können.
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Auf Hinweise sind Ordnungsämter in jedem Fall angewiesen. Selbst bei angemeldeten Feiern in gewerblichen Räumen können sie nur stichprobenartig kontrollieren. „Grundsätzlich wäre es mit dem vorhandenen Personal nicht möglich, alle Veranstaltungen im gesamten Stadtgebiet zu kontrollieren“, heißt es aus Duisburg. (mit kpo, C.K.)
>> Info: Was ist der rechtliche Hintergrund
Der Schutz der Wohnung ist ein hohes Gut, verankert in Artikel 13 des Grundgesetzes: „Die Wohnung ist unverletzlich.“ Doch das gilt natürlich nicht absolut. „Sie sind ja auch in ihrer Wohnung nicht in einem rechtsfreien Raum“, erklärt der Düsseldorfer Rechtsanwalt Siegfried Bratke. „Das Grundrecht wird immer ausgehebelt, wenn ein anderes Schutzrecht zum Tragen kommt.“
Wenn jemand seine Kinder prügele, so Bratke, könne die Polizei natürlich eingreifen. „Und wenn eine Gefahr für die Gesundheit durch Corona besteht, ist das prinzipiell nichts anderes. Es muss allerdings einen konkreten Anlass geben, dass eine Gefahr für ein höheres Gut besteht.“ Ohne darf die Polizei auch kein Auto kontrollieren. Im Zweifel genügt aber ein dreckiges Nummernschild.
Rechtliche Grundlage ist vor allem das Infektionsschutzgesetz, das die Unverletzlichkeit der Wohnung in Paragraf 16 explizit einschränkt, wenn auch nur anzunehmen ist, dass Tatsachen vorliegen, „die zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit führen können“. Dies gilt auch für Mitglieder von Ordnungs- und Gesundheitsamt. Das Polizeigesetz sieht überdies vor, dass die Beamten eine Wohnung gegen den Willen des Inhabers betreten dürfen, „wenn dies zum Schutz eines Einzelnen oder des Gemeinwesens gegen dringende Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung erforderlich ist“.
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