Ruhrgebiet. Long Covid hört auch wieder auf: Ärzte können mit den Corona-Folgen inzwischen besser umgehen. Auch, weil sie die Symptome wiedererkennen.

Es gibt sie immer noch nicht, eine einfache Medizin auf Rezept gegen Corona. Und auch nicht die gegen Long Covid, wenn das Virus einfach nicht weichen will. Doch machen Ärzte Hoffnung: „Long Covid ist long, aber nicht unendlich“, sagt der Neurologe Prof. Dr. Christoph Redecker. Bei einer Sprechstunde der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) in Dortmund wurde zudem deutlich: Der Patient ist Teil seiner eigenen Genesung. Die Krankheit anzunehmen und geduldig mit sich selbst zu sein, sei der erste Schritt zur Besserung.

Die „eigentümlichen Rückenschmerzen“ kamen am Tag seines 45. Geburtstags. Sie gesellten sich zu einer starken Erkältung, es war der Jahreswechsel 2020/2021, Jens Bartnitzky weiß noch genau: Er hatte kein Fieber, keine Luftnot, aber einen positiven PCR-Test. „Etwas schlapp und matschig im Kopf“ sei er gewesen, sagt der Wittener, bloß: „Dieser Zustand blieb.“ Eine halbe Stunde Spaziergang brachte ihn an seine Grenzen, 20 Minuten nur konnte er sich konzentrieren; wie er sich fühlte, beschreibt der heute 46-Jährige als „eine Light-Version von manisch-depressiv“: „Ich stand entweder total unter Strom oder war total erschöpft, dazwischen gab es nichts.“

Long Covid: Nach acht Wochen kam der Zusammenbruch

Jens Bartnitzky aus Witten.
Jens Bartnitzky aus Witten. © Privat | Unbekannt

Acht Wochen arbeitete Bartnitzky gegen seinen „Zustand“ an, dann brach er zusammen. Krankschreibung im März, Reha im Juni, Wiedereingliederung angefangen mit einer Stunde pro Tag – bis kürzlich, 18 Monate jetzt. Die ersten Sporteinheiten bezahlte er mit Viertelstunden, in denen er am Boden lag und sich nicht mehr rühren konnte. Anfangs schlief er viel, konnte nicht einmal lesen, schaute Serien aus seiner Jugend, Night-Rider oder das A-Team. Jede Stunde, die er in der staatlichen Lehrerfortbildung mehr arbeitete, war eine Herausforderung: „Ich dachte jedes Mal, dass ich es nicht schaffe.“

Besser wurde es erst, sagt Jens Bartnitzky heute, als er Long Covid akzeptierte: „Die liebevolle Geduld mit mir, bewusste Auszeiten zu nehmen, diese Haltung führte zur Genesung.“

Und tatsächlich ist das auch, was Ärzte beobachten. „Patienten, die sich auch mal zurücknehmen können“, sagt Neurologe Redecker, „haben bessere Prognosen.“ Bei denen, die unter Dauerdruck stünden, die immer funktionieren müssten, sehe man diesen Effekt eher nicht. Bartnitzky berichtet ähnliches aus seiner Wittener Selbsthilfegruppe: Da seien vor allem solche Long-Covid-Erkrankte erschienen, „die gewohnt sind weiterzuarbeiten, wenn sie krank sind“. Auch der Soester Allgemeinmediziner Dr. Heinz Ebbinghaus empfiehlt seinen Patienten „Achtsamkeit und Gelassenheit“.

Atemübungen für Long Covid-Erkrankte: hier in einer Reha-Klinik.
Atemübungen für Long Covid-Erkrankte: hier in einer Reha-Klinik. © dpa | Unbekannt

85 Prozent der Betroffenen klagen über „Hirnnebel“

Nun ist das leicht gesagt für all’ die Menschen, die mit diesem „bunten Strauß an Beschwerden“ zu ihm kommen. Die so schwer zu beschreiben sind. „Nicht gut drauf“, sagen sie dann oder „zu gut zum Sterben, zu schlecht zum Leben“. Trockener Husten, Schwindel, Müdigkeit, Schmerzen im Brustbereich, Herz- und Lungenprobleme, Konzentrationsstörungen, Herzstolpern, „beängstigend“, diese Symptome, „nervig“ auch, das weiß der Hausarzt. Ohrgeräusche, Schluckstörungen, Ängste, Depressionen, ergänzt Redecker. Und dann, was Bartnitzky „matschig im Kopf“ nennt: dieser Nebel, der den Neurologen tatsächlich als „brain fog“, Hirnnebel, bekannt ist. 85 Prozent der Long- oder Post Covid-Betroffenen klagen darüber. In der Mehrheit übrigens Frauen und meist Menschen nach einem milden Corona-Verlauf.

Prof. Dr. Christoph Redecker.
Prof. Dr. Christoph Redecker. © KVWL | Unbekannt

Man weiß inzwischen, dass die kognitiven Einschränkungen von Störungen im Hirnstoffwechsel kommen, dass das Virus ins Nervensystem eindringt. Dadurch aber auch: Dass „die entzündlichen Veränderungen vorübergehend“ sind, wie Redecker sagt. Und für Mediziner ja keineswegs neu: „Solche Folgen haben wir nach Virusinfektionen schon immer gesehen.“ Nur gab es nie so viele Fälle, so viele Patienten, dass Studien ihre Beschwerden hätten erfassen und erforschen können.

Betroffene erfahren wenig Verständnis

Das ist es, was Hoffnung macht, und auch, dass Ärzte also immer mehr wissen und dadurch die Akzeptanz wächst. Jens Bartnitzky, der Patient aus Witten, hat ja noch erlebt, dass die Betroffenen „nicht ernstgenommen“ wurden, dass man ihnen unterstellte, „nur krankfeiern zu wollen“. Fehlendes Verständnis beklagt er und Leute, die rieten: „Hintern hoch, reiß dich zusammen!“ In der Selbsthilfegruppe fand er Menschen, denen es ging wie ihm. Die nach dem Ausräumen der Spülmaschine eine Stunde Pause brauchten. Die „unglaublich stolz“ waren, nachdem sie allein einen Einkauf gestemmt hatten, einschließlich Rückfahrt. Die sagten: „Das kenne ich auch“ und Tränen der Dankbarkeit weinten, weil sie nicht alleine sind.

Bartnitzky geht inzwischen nicht mehr hin, er arbeitet jetzt wieder voll; es fehlt ihm die Zeit. Gerade ist er ein zweites Mal infiziert, aber es macht ihm keine Angst mehr. Auch weil er endlich bestätigen kann, was Dr. Ebbinghaus sagt: Es dauert, „aber es wird deutlich besser werden“.