Essen. Seit 2002 können sich unentschlossene Wähler mithilfe des “Wahl-O-Mat“ darüber informieren, welche Partei zu ihnen passt. Doch zur anstehenden Bundestagwahl gehen mit “Kandidatenwatch“, “Bundeswahlkompass“ und “Netz-Radar“ in diesem Jahre erstmals mehrere “Wahl-O-Mat“-Konkurrenten ins Rennen.
Obwohl erst elf Jahre alt, ist der "Wahl-O-Mat" längst eine feste Institution im Bundestagswahlkampf. Allein bei der Bundestagswahl 2009 wurde das Tool von etwa 6,7 Millionen Wählern genutzt. Es soll vor allem Erst - und Jungwählern einen Überblick über die Positionen der Parteien verschaffen. Dazu werden werden mehrere Thesen aufgestellt, zu denen der potentielle Wähler Stellung beziehen muss. Die Position des Wählers wird dann mit denen der Parteien verglichen. In einer Auswertung sehen Nutzer dann, welchen Parteien sie am nächsten stehen. Entwickelt wurde der "Wahl-O-Mat" von der Bundeszentrale für politische Bildung.
In diesem Jahr buhlen neben dem "Wahl-O-Mat" weitere Wahlhilfen um die Gunst der Wähler. Vor allem der "Bundeswahlkompass", der von mehreren deutschen Universitäten entwickelt wurde, steht in direkter Konkurrenz zum etablierten "Wahl-O-Mat". Daneben gibt es aber auch spezialisierte Angebote wie "Kandidaten-Check", ein Angebot der Internetplattform "Abgeordnetenwatch".
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Es ermöglicht Wählern, sich einen Überblick über die Positionen der Direktkandidaten im heimischen Wahlkreis zu verschaffen. Beim "Netz-Radar" dreht sich alles um netzpolitische Themen, wie die Privatsphäre im Internet. Er wurde von "Collaboratory", einer von Amerikas Internet-Gigant Google ins Leben gerufenen Denkfabrik, entwickelt.
Doch können die neuen Tools dem Platzhirsch wirklich gefährlich werden? Wir testen den "Wahl-O-Mat", den "Bundeswahlkompass", den "Netz-Radar" und "Kandidaten-Check" auf Verständlichkeit, Dauer und den Nutzen für die Wähler.
Der Wahlhilfen-Check: Verständlichkeit
Mit maximaler Verständlichkeit punktet der "Wahl-O-Mat". Jede der 38 Thesen ist klar formuliert, selbst Begriffe wie "doppelte Staatsbürgerschaft" werden so gut umschrieben, dass selbst Menschen, die nicht wissen, was genau sich hinter dem Wort verbirgt, zur These Stellung beziehen können. Manche Thesen sind hingegen sehr zugespitzt formuliert. Eine Aussage lautet etwa "Rüstungsexporte sollen verboten werden". Wer sich nur eine strengere Kontrolle wünscht, ist leider gezwungen die These mit "neutral" zu beantworten. Gelungen ist hingegen die Präsentation der Ergebnisse. Klar und verständlich wird aufgelistet, wie hoch die Übereinstimmung mit einzelnen Parteien ist.
Beim Bundeswahlkompass werden auch Kandidaten bewertet
Der "Bundeswahlkompass" kann ebenfalls mit klaren Thesen wie "Das Adoptionsrecht soll heterosexuellen Paaren vorbehalten sein" punkten. Keine der insgesamt 30 Aussagen ist schwer verständlich oder setzt viel Hintergrundwissen zu aktuellen politischen Debatten voraus. Ein paar Grundbegriffe wie "Betreuungsgeld" sollten Nutzer allerdings schon kennen. Außerdem ist es möglich, im Gegensatz zum "Wahl-O-Mat", seine Position zu den aufgestellten Thesen besser abzustufen. Anstatt "Stimme zu" gibt es etwa die Möglichkeit, die eigene Position mit "Stimme zu" oder "Stimmen vollkommen zu" etwas genauer festzulegen.
Anschließend müssen Nutzer Kompetenz und Sympathie der Spitzenkandidaten bewerten. Auch das ist einfach und verständlich. Etwas schwieriger wird es bei der Auswertung der Ergebnisse. Anstatt die Übereinstimmung von Wähler und Parteien zu überprüfen, verortet der "Bundeswahlkompass" den Wähler in einem Koordinatensystem. Dort kann der Nutzer dann lediglich sehen, wie nah die eigenen Positionen denen der verschiedenen Parteien kommt.
Netz-Radar ist zu kompliziert
Der "Netz-Radar" hingegen ist nur etwas für Menschen, die sich wirklich für Netzpolitik interessieren. Um den "Netz-Radar" zu nutzen, müssen Wähler sich in den vergangenen Jahren gut über Themen wie Urheberrecht, die Bedeutung von Netzneutralität oder Datenschutz informiert haben. Denn anstatt einer These die bewertet wird, bekommen Nutzer verschiedene Aussagen zu einem Thema präsentiert. Dabei handelt es sich um Auszüge aus den Wahlprogrammen der Parteien. So wollen die Macher des "Netz-Radars" aufzeigen, wie ähnlich sich manche Aussagen sind.
Eine nette Idee, aber bei Sätzen wie "Ein Interessensausgleich zwischen UrheberInnen und NutzerInnen muss die kulturellen und ökonomischen Rahmenbedingungen der Kultur- und Kreativwirtschaft gewährleisten." vergeht einem doch schnell die Lust am "Netz-Radar".
Kandidaten-Check für Direktkandidaten
Klar verständlich ist "Kandidaten-Check", ein Projekt der Internetplattform "Abgeordnetenwatch". Dort haben Wähler die Möglichkeit, ihre Positionen mit denen der Direktkandidaten im eigenen Wahlkreis abzugleichen. Auch hier sind die Thesen verständlich formuliert, politisches Hintergrundwissen ist nicht nötig. Direkt nach Beantwortung der einzelnen Thesen wird dem Nutzer außerdem angezeigt, welche Position die Direktkandidaten zu dieser Aussage bezogen haben.
Der Wahlhilfen-Check: Dauer
In nur wenigen Minuten können Nutzer den "Wahl-O-Mat" absolvieren. Lediglich für die Gewichtung der Positionen, am Ende der Befragung, sollten Wähler sich ein wenig Zeit nehmen. Wer sich beeilt, bekommt sein "Wahl-O-Mat"-Ergebnis aber schon nach fünf Minuten.
Auch der "Bundeswahlkompass" nimmt nur wenig Zeit in Anspruch. Die 30 Thesen sind schnell abgearbeitet, allerdings wollen anschließend auch noch die Spitzenkandidaten der Parteien bewertet werden. Zu guter letzt sollen die Nutzer sogar angeben, wie wahrscheinlich es ist, dass sie jemals Partei X oder Y wählen. Etwas mehr Zeit als für den "Wahl-O-Mat" sollte deshalb schon eingeplant werden.
Für den Netz-Radar sollten Nutzer Zeit einplanen
Ein wahrer Zeitfresser ist der "Netz-Radar". Die komplexen Thesen sind nur schwer zu verstehen. Oft muss man eine Aussage mehrmals lesen, bevor sie restlos verstanden ist. Dabei steigt auch die Lust, den "Netz-Radar" zu beenden, bevor das Ergebnis präsentiert wird. Wer den "Netz-Radar" benutzen will, sollte einiges an Zeit einplanen.
Schneller zu absolvieren ist der "Kandidaten-Check". Nach nur wenigen Minuten können Nutzer einsehen, welcher Direktkandidat ihren Positionen am ehesten entspricht.
Der Wahlhilfen-Check: Nutzen
Eines vorweg: Keines der aktuellen Tools nimmt für sich in Anspruch, eine klare "Wahlempfehlung" auszusprechen. Eine große Hilfe für viele Wähler dürfte der "Wahl-O-Mat" aber trotzdem sein. Er erfasst die Positionen von insgesamt 28 Parteien, mehr als jede andere Wahlhilfe. Mit 38 Thesen deckt er auch das größte Themenspektrum ab. Anschließend können Nutzer schnell und einfach einsehen, mit welcher Partei sie die höchste Übereinstimmung haben.
Der größte Vorteil des "Bundeswahlkompass" im Vergleich zum "Wahl-O-Mat" ist, dass er die Personalisierung des Wahlkampfs berücksichtigt. Neben den Positionen der Parteien müssen Nutzer auch Sympathiepunkte für Politiker vergeben. Allerdings gibt das Ergebnis weniger klar Aufschluss über die Nähe zu politischen Parteien, als beim "Wahl-O-Mat". Anstatt in Prozent die Überschneidung zwischen Wähler und Partei anzugeben, wird die Position des Nutzers in einem Koordinatensystem verortet. Leider umfasst der "Bundeswahlkompass" nur sieben Parteien. Kleine Parteien, wie "Die Violetten" bleiben außen vor.
Dem Kandidaten-Check fehlt es an lokalen Themen
Der Nutzen des "Netz-Radar" ist für Durchschnittswähler eher gering. Wer sich wenig für Netzpolitik interessiert, sollte am besten direkt die Finger vom "Netz-Radar" lassen. Aber auch Wähler, die sich für Netzthemen interessieren, werden Probleme haben sich durch die unverständlich formulierten Thesen des Tools zu ackern. Der "Netz-Radar" ist schon fast praxisuntauglich. Besonders seltsam: Obwohl es um Netzpolitik geht, wurden offensichtlich nur die Wahlprogramme der im Bundestag vertretenen Parteien ausgewertet. Ausgerechnet die Piratenpartei wird gar nicht berücksichtigt.
Viel besser ist "Kandidaten-Check". Als einziges Tool gibt es Aufschluss über die Position der, nicht immer besonders prominenten, Direktkandidaten im heimischen Wahlkreis. Die Übereinstimmung zwischen Wähler und Kandidat wird gut und klar aufgearbeitet. In der Auswertung der 24 Thesen können Nutzer einsehen, mit welchem Kandidaten sie am stärksten übereinstimmen. Das große Problem von "Kandidaten-Check" ist aber, dass nur bundespolitisch relevante Themen abgefragt werden. Lokale Themen, wie etwa die Position der Kandidaten zu neuen Bauprojekten in der Region, werden nicht abgearbeitet.
Der Wahlhilfen-Check: Das Fazit
Der "Wahl-O-Mat" bleibt die erste Anlaufstelle für alle unentschlossenen Wähler. Er umfasst die meisten Parteien und liefert das umfangreichste Angebot an Thesen, die zudem für jedermann verständlich formuliert sind. Allerdings hatten auch die Entwickler des "Bundeswahlkompass" gute Ideen, wie etwa die gesonderte Bewertung der Spitzenkandidaten. "Kandidaten-Check" ist eine gute Anlaufstelle für Wähler, die sich über ihre Direktkandidaten informieren wollen. Die fehlenden Thesen zu lokalen oder regionalen Themen stören jedoch. Nicht zu empfehlen ist dagegen der "Netz-Radar", der für einen Großteil der Wähler wohl viel zu praxisfern ist.
Allerdings sollen alle Wahlhilfen nur eine erste Anlaufstelle sein. Das betont auch Professor Harald Schoen von der Universität Bamberg, der den "Bundeswahlkompass" mitentwickelt hat: "Wir wollen den Menschen einen Anstoß geben, sich mit Politik zu beschäftigen."