Essen. Die SPD könnte nach der Bundestagswahl über zwei denkbare Szenarien an die Macht kommen: In einer großen Koalition oder mit Grünen und Linken. Für die SPD wäre das wie die Wahl zwischen Pest und Cholera. Doch wer sich in NRW umhört, bekommt einige Stimmen für das Links-Bündnis.
Mancher hat den Eindruck, die Bundestagswahl sei schon entschieden. Die Union liegt in allen Umfragen vorn, die Kanzlerin genießt mehr Popularität als ihr Herausforderer. Tatsächlich aber ist das Rennen völlig offen. Das bürgerlich-konservative Lager (CDU/CSU, FDP) ist nicht stärker als das linke (SPD, Grüne, Linkspartei). Und so ist es denkbar, dass die SPD nach der Wahl mitregieren könnte.
Stellen wir uns vor: Es gibt keine Mehrheit für Rot-Grün und Schwarz-Gelb. Dann hätte die SPD womöglich zwei weitere Optionen: eine Große Koalition oder Rot-Grün mit Tolerierung durch die Linke. Gleich nach der Wahl will die SPD auf einem kleinen Parteitag die Stimmung an der Basis abfragen. Heute schon lässt sich sagen: Für die Mitglieder wäre eine Große Koalition die Pest, und ein wie auch immer gestricktes Bündnis mit der Linkspartei die Cholera. Noch mal vier Jahre Große Koalition mit Merkel – das ist überhaupt nicht zu ertragen, sagen viele Sozialdemokraten.
Linken-Chefin wirft SPD "kindische Abgrenzungsrituale" vor
Die Linke – sie lockt. Die SPD „könnte mit uns, den Gewerkschaften und den sozialen Bewegungen die grundlegenden Sozialreformen anstreben“ schreibt Linken-Chefin Katja Kipping im „Cicero“. Sie wirft der SPD „kindische Abgrenzungsrituale“ vor. SPD-Chef Sigmar Gabriel nannte Rot-Rot-Grün noch am Wochenende „Science Fiction“. Eine verlässliche Regierung wäre mit der Linken nicht möglich, insbesondere nicht mit den „Sektierern“ der Linken im Westen.
Mit dieser Einschätzung ist Gabriel nahe an seiner Parteibasis im Ruhrgebiet. „Im Osten hat die Linke ja fast SPD-nahe Züge, aber hier im Westen ist das anders. Und egal, was wir hier denken, die Parteiführung in Berlin ist nicht mit der Linken kompatibel“, sagt Norbert Schilff, stellvertretender Chef der SPD-Ratsfraktion in Dortmund. Bei der Frage, „Wie halten wir es mit der Linken?“ sei die Dortmunder SPD gespalten. „Wenn es ums Regieren geht, würden auch einige sagen: Dann lassen wir uns eben von den Linken tolerieren“, erklärt Schilff. Und er fügt einen Satz hinzu, der immer wieder zu hören ist: „Für mich wäre eine Große Koalition die schlechteste Lösung. In der können wir nämlich nur verlieren.“
In Dortmunds Norden funktioniert Zusammenarbeit "ohne Stress"
Volkan Baran ist SPD-Ratsvertreter aus dem Dortmunder Norden. Hier gibt es, auf Bezirksvertretungs-Ebene, eine Zusammenarbeit mit der Linken. „Das funktioniert ohne Stress“, sagt Baran. Er fürchtet aber, dass der Stress in einer solchen Partnerschaft im Bund riesig würde. Besonders dann, wenn die als kompromisslos geltende NRW-Linke großen Einfluss haben sollte. Eine Große Koalition sei aber, so Baran, „gar keine Option“.
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Im Duisburger Rat arbeiten Sozialdemokraten, Grüne und Linke zusammen. „Das geht, weil wir uns persönlich verstehen“, sagt SPD-Fraktionschef Herbert Mettler. Aber solche örtlichen Bündnisse seien natürlich nicht 1:1 auf den Bund übertragbar. Rot-Rot-Grün in Berlin gelte in der Duisburger SPD als „schwer vorstellbar“, den NRW-Linken eile der Ruf als unberechenbare politische Kraft voraus. Allerdings: „Auch die Frage nach der Großen Koalition würde die SPD nach der Wahl vor die Zerreißprobe stellen“, analysiert Mettler.
Lüdenscheider Genossen haben "Bauchschmerzen" bei Koalition im Bund
Im Sauerland gehen die Uhren der SPD anders als im Revier, könnte man mutmaßen. Aber zumindest wenn es um Koalitions-Optionen geht, ist das nicht so. Der Gedanke an Rot-Rot-Grün beschert Ingo Diller, Chef der SPD im Lüdenscheider Rat, „Bauchschmerzen“. „Mir graut vor manchen Aussagen der Linken im Bund. Sie sagen: ,Sofort Schluss mit dem Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan’. Aber man muss solche Dinge in Ruhe auslaufen lassen“, so Diller.
Und die Große Koalition? Vor der graut es Diller noch ein bisschen mehr: „Die wäre schlimm, gerade im Hinblick auf die Kommunalwahl 2014 in NRW. Wenn die Große Koalition Entscheidungen gegen die Kommunen träfe, dann würden wir abgestraft. Erinnern wir uns an die Mehrwertsteuererhöhung in der Großen Koalition.“
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NRW-Jusos halten nichts von Großer Koalition
Veith Lemmen hat die wilden NRW-Linken live erlebt. 2010 in den Sondierungsverhandlungen der SPD für eine NRW-Regierung. „Diese Erfahrung war grausig“, sagt der Landes-Chef der Jungsozialisten (Jusos). Andererseits sei die Minderheitsregierung in NRW stabiler gewesen, als viele es für möglich gehalten hätten. Und, so Lemmen: „Die SPD muss für tragfähige Demokratieprojekte offen sein.“ Wunsch-Partner sind die Grünen. Aber auf die Linken könnten sich Sozialdemokraten einlassen – wenn die Linkspartei zur Verlässlichkeit fände.
Um zu wissen, was die NRW-Jusos von einer Großen Koalition halten, genügt ein Blick auf eine Postkarte, die die Parteijugend in diesen Tagen verteilt: Sie zeigt die verstorbene SPD-Politikerin Regine Hildebrandt. Die wortgewaltige Brandenburgerin genoss in der SPD hohes Ansehen. Einen Satz, den sie gesagt haben soll, finden die Jusos noch immer besonders nett: „Mit den Arschlöchern von der CDU koaliere ich nicht!“