Ruhrgebiet.. Das Ruhrgebiet möchte nach dem Desaster der Deutschland-Studie verschwinden aus den Rankings des ZDF. Regionen würden gegeneinander ausgespielt.
„Auf Veränderungen zu hoffen, ohne selbst etwas dafür zu tun, ist wie anne Köttelbecke zu stehen und auf die Queen Mary 2 zu warten.“
Mit Sätzen wie diesem begann der Protest gegen das ZDF in Gelsenkirchen, der letzten Stadt der Republik – wenn es nach der Lebensqualitätliste der „Deutschlandstudie“ geht. Olivier Kruschinski, blau-weiß getaufter Gästeführer, Buchautor und Schalke-Meinungsmacher, hat ihn im Juli 2018 geschrieben auf Facebook, versehen mit der Marke „#401“. So viele Städte und Kreise gibt es in Deutschland, und in vierhundert von ihnen soll es sich besser leben als in Gelsenkirchen, hatte das ZDF zuvor gesendet. „Seitdem haben wir einen Platz zu verteidigen“, schrieb Kruschinski, den „exklusive Platz an der Mondfinsternis“.
Und tatsächlich bäumte die Stadt sich medial auf, die Gelsenkirchener posteten unter ihrer ironischen Negativ-Nummer nebelverwunschene Fotos der Emscheraue, ein Landtagsabgeordneter empfing die NRW-Heimatministerin mit #401GE-Shirt und Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD) schlug vor, das Sendezentrum des ZDF von Mainz nach Gelsenkirchen zu verlegen. „Das wäre doch ein Beitrag zum Strukturwandel!“
Wird das Ruhrgebiet zum Schwarzen Loch?
Doch nun ist Schluss mit Schlusslicht. Das Ruhrgebiet als Ganzes möchte verschwinden von den Landkarten des ZDF, und ganz wörtlich zum Schwarzen Loch werden, als das sich Gelsenkirchen bislang nur ironisch bezeichnete. Die Oberbürgermeister und Landräte des Ruhrgebiets wollen sich nicht mehr an zwei neuen ZDF-Formaten beteiligen, „deren negatives Ergebnis für die Region und ihre Städte und Kreise absehbar und teilweise systemisch begründet ist“, heißt es in dem Entwurf eines gemeinsamen Briefes, der der Redaktion vorliegt. Auch Frank Baranowski hat unterschrieben. Das ZDF wollte sich am Freitag nicht zu dem Schreiben äußern, das offiziell noch nicht eingegangen ist.
Der Sprecher der Stadt Bottrop, Andreas Pläsken, hält es für möglich, dass er derjenige war, der die Sache ins Rollen gebracht hat. Er gehört dem Vorstand der Pressesprecher im Deutschen Städtetag an und hat die neue Anfrage im Auftrag des ZDF als eine von jenen eingestuft, „die inzwischen immer häufiger auftauchen und inhaltlich so angelegt sind, dass bestimmte Absichten erkennbar werden“. Zunehmend würden Regionen von einigen Journalisten gegeneinander ausgespielt. „Mal ist man der Gewinner, mal der Verlierer.“ Pläsken wandte sich an den Städtetag um eine Einschätzung der ZDF-Befragung, „was durchaus zur jetzigen Antwort geführt haben kann, die auch der Bottroper Oberbürgermeister unterschrieben hat“.
Formalistische Fragen
Der Sender hatte für zwei neue Vergleiche, den „Familienatlas“ und den „Seniorenatlas“, angefragt durch das Meinungsforschungsinstitut Prognos. Der Bogen, der der Redaktion vorliegt, ist formalistisch gehalten: Gibt es Rabatte für Senioren? Ja oder nein. Wie schätzen Sie den Handlungsbedarf bei Angeboten für Jugendliche ein. Vier Kreuzchenfelder. „Unsere Stadt verfügt über ein konkretes familienpolitisches Leitbild und /oder eine familienpolitische Gesamtstrategie“. „Stimmt oder „stimmt nicht“. Der Inhalt wird nicht direkt erfragt, nur abschließend gibt es ein Feld, um per Text „kurz und prägnant darzustellen, warum Ihre Stadt ein guter Wohnort für Familien ist“.
Die Zahlen der Deutschlandstudie waren, ja, ein Armutszeugnis für eine arme Region. Oberhausen: 398. Duisburg: 399. Herne: 400. Keine Stadt des Ruhrgebiets erhebt sich über die Marke von 350, lediglich der Ennepe-Ruhr-Kreis lag leicht darüber.
Der Stachel sitzt so tief in der Region, so lange wurde debattiert, dass der Oberhausener Oberbürgermeister Daniel Schranz (CDU) noch nach einem halben Jahr in seiner Neujahrsansprache wetterte: „Da liegt Oberhausen mit dem größten Urban Entertainment Center Europas, mit Gasometer, Theater und vielem mehr in der Kategorie Freizeit und Natur deutlich hinter dem Kreis Lüchow-Dannenberg, dem am dünnsten besiedelten Landkreis Westdeutschlands. Im Vergleich dazu soll die Lebensqualität bei uns allen Ernstes schlechter sein?“
Aber was hat Größe mit Lebensqualität zu tun? Das hat Schranz nicht weiter ausgeführt, so wie das ZDF sich schwer tun dürfte mit der Frage, was Zahl der Pflegebedürftigen über die Lebensqualität in einer Region aussagt – außer, dass hier überproportional viele alte Menschen leben. und wäre das nicht Altersdiskriminierung?
Ein konstruktives Angebot
Im Entwurf ihres Boykottbrief an die ZDF-Chefredaktion heben die Stadt- und Kreisspitzen die Vorzüge der Region hervor: die Bildungslandschaft, die Industriekultur, die Digitalwirtschaft und Kulturlandschaft. Sie beschreiben auch die Herausforderungen: das Armutsrisiko für Kinder, die „punktuell kritische Luftqualität“, die hohen Schulden. Und kommen zu dem Schluss: „Ihre Studie vermag bedauerlicher Weise nicht abzubilden, was die Menschen in unseren Städten und Kreisen vor Ort aus den oben skizzierten Rahmenbedingungen machen und wie sie ihr Lebensumfeld und dessen Qualität positiv - und oftmals ehrenamtlich - gestalten.“
Die Stadtoberhäupter schließen konstruktiv: „Gerne beteiligen wir uns an einem Projekt, das den Fokus darauf richtet, wie die Menschen in der Metropole Ruhr die Lebensqualität ihrer Heimat selbst einschätzen. Das deutlich werden lässt, wo die Stärken liegen und wo die Menschen hier vor Ort Nachholbedarfe und Herausforderungen sehen.“ Sie wollen „ein aktuelles Bild des Ruhrgebietes“ mit seinen Stärken und Schwächen zeichnen, „mit dem wir mit unseren Namen gerne verbunden würden“.
Dabei hatte schon Olivier Kruschinski versucht, das ZDF einzuladen, freilich etwas schmissiger: „Ich werde Georg Kreislers ,Gelsenkirchen’ spielen, mit ungenießbarem Kanalwasser gemälztes GE Bräu ausschenken, in die degoutanteste Frittenschmiede einladen. Wir werden den erfolglosesten Club der Welt kennenlernen und das herzhafte Odeur der bald komplett verschwundenen Köttelbecke inhalieren. All das nur um Platz 401 zu zementieren."