Nordirlands Küstenstraßen sind so atemberaubend wie spektakulär: Die Causeway Coastal Route zählt sogar zu den aufregendsten Autostraßen der Welt. In der idyllischen Landschaft lassen sich zahlreiche historische Orte und Bauten entdecken. Was es sonst noch zu entdecken gibt, erfahren Sie hier.
Die Hühner kommen immer zuerst. Kaum steht das Auto auf dem Hof und die Tür zum Ferienhaus offen, rücken sie gackernd an und stecken die Schnäbel neugierig ins Zimmer – fünf rotbraune Prachtstücke, die liebend gern ein paar Leckerbissen abstauben würden. Tut man ihnen diesen Gefallen nicht, lassen sie aus Gnatz mal was fallen, das garantiert nicht zum Frühstück taugt. Dann ziehen sie sich wieder auf ihre Wiese zurück, wo sie den ganzen Tag nach Herzenslust scharren und picken können – wie ausgesprochen glückliche Hühner halt.
Aber auch glückliche Menschen gibt es hier überproportional viele. Denn die Nordküste Nordirlands ist so atemberaubend spektakulär und hinreißend schön wie nur wenige andere vergleichbare Regionen der Welt. Kein Wunder also, dass die 193 Kilometer lange Causeway Coastal Route zwischen Belfast und Londonderry zu den aufregendsten Autostraßen der Welt zählt. Ein epischer Weg geradezu, auf dem Urgewalt und Gestaltungskraft der Natur auf praktisch jedem Meter spür- und erlebbar ist.
Sommerbibliothek am Rand der Klippen
Eine Woche wollen wir uns geben, um dieses Wunder in aller Ruhe und in alle Richtungen zu erkunden. Unser Cottage – das mit den verfressenen Hühnern und ihrem umwerfend netten Herrchen Maurice McCurdy – liegt dafür strategisch hervorragend in der Nähe des kleinen Städtchens Bushmills. Ein legendärer Name zumindest für die Fans von exquisitem Whiskey. „Old Bushmills“ nämlich ist Irlands älteste lizensierte Brennerei, in der seit 1608 aus Malz, Hefe und Wasser goldene Tropfen wie Bushmills Original, Blackbush oder Single Malt gezaubert werden – allesamt übrigens ohne den rauchigen Torfgeschmack der schottischen Konkurrenz.
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Gleich hinter Bushmills Richtung Westen taucht unvermittelt hinter einer Kurve die vielleicht schönste Ruine ganz Irlands auf: Dunluce Castle, das im Nachmittags-Gegenlicht wie ein verkohltes Fabrikgerippe auf steilem Felsen hockt. Einst eine der wichtigsten Burgen im Land, wurde sie Mitte des 17. Jahrhunderts aufgegeben, nachdem ein heftiger Sturm Teile der Klippe zum Einsturz brachte und den Küchentrakt samt Personal und Abendessen in die Tiefe riss.
Ähnlich spektakulär ist die wohl skurrilste Attraktion der Nordküste – der Mussenden Temple von Downhill Castle. Die Idee eines exzentrischen Bischofs von Derry, der sich für sein inzwischen bis auf die Außenmauern ausgehöhltes Schloss eine Sommerbibliothek gefährlich nah an die Klippe bauen ließ – ein zierlicher Rundbau nach dem Vorbild des Vesta-Tempels von Tivoli. Mit fantastischer Aussicht auf Irlands längsten Strand, der fast bis zum Horizont reicht.
Fabelhaftes Klippen- und Küstenpanorama
Auch Richtung Osten sind es von Bushmills nur wenige Meilen bis zu einem Paukenschlag – der Seilbrücke von Carrick-a-Rede. Eine steile und karge Felseninsel, die etwa 20 Meter vom Festland entfernt liegt. Da jenseits der Insel aber die Lachse vorbei ziehen, bauten Fischer schon vor 300 Jahren eine Hängebrücke über die schmale Meerenge, um schneller und besser an ihr täglich Brot zu kommen.
Vermieter Maurice zeigt uns alte Familienfotos, auf denen ein McCurdy in den 1930er Jahren allerlei artistische Kunststücke auf der wackligen Seilkonstruktion vollführt. „Dabei ging ihm bei einem Handstand mal die Brieftasche flöten“, lacht Maurice. „Und obwohl das Wasser unten nur anderthalb Meter tief ist, hatte er bei der Strömung keine Chance. Die Kohle war weg.“
Heute schaukelt eine modernisierte und gut gesicherte Hängebrücke 25 Meter über dem zuweilen brausenden und brüllenden Atlantik. Wenn dazu der Wind bläst, zittern vielen die Knie und pocht manch’ einem schon das Herz. Zur Belohnung gibt’s auf der anderen Seite fabelhafte Klippen- und Küstenpanoramen und manchmal sogar Papageientaucher.
Fast einen Steinwurf sogar nur ist es von Bushmills zu Nordirlands größtem touristischen Kronjuwel – dem Giant’s Causeway. Eine durch und durch verrückte Laune der Natur aus einer Zeit, da die Dinosaurier gerade mal von der Erde verschwunden waren. Vor 60 Millionen Jahren nämlich katapultierten vulkanische Eruptionen große Mengen flüssiger Lava durch Spalten und Schlote an die Oberfläche. Dort kühlte sie rasch aus und brach zu 37.000 symmetrisch polygonalen Basaltsäulen auf, die als stufenartige Strukturen aus dem Meer herauszuwachsen scheinen. Eine komplett surreale Felsformation vor einem Ensemble sechs Kilometer langer und bis zu 90 Meter hoher Klippen, das seit 1986 zum Unesco-Welterbe gehört.
Ein Hasenfuß-Gatte in Baykleidern
Viel schöner freilich als die nüchternen naturwissenschaftlichen Fakten sind die Legenden zur Geburt dieses Achten Weltwunders, denn natürlich kann so ein Gebilde nur von Riesenhand erschaffen worden sein. Die populärste dieser Sagen erzählt von Finn MacCool, der sich mit dem schottischen Riesen Benandonner anlegen wollte. Um über das Meer zu ihm zu gelangen, baute er einen Damm und marschierte mit seinen Siebenmeilenstiefeln über die irische See. Als er dort sah, wie gewaltig der Konkurrent war, rutschte ihm das Herz in die Hose und er gab Fersengeld.
Verfolgt vom Schotten, kam Finns kluger Frau die pfiffige Idee, ihren Hasenfuß-Gatten in Babykleider zu stecken, ihm einen Schnuller zu verpassen und in ein überdimensionales Kinderbett zu stecken. Als der Koloss aus Schottland nun dieses Riesenbaby sah und sich vorstellte, wie groß und stark da erst der Vater sein müsse, ergriff er seinerseits die Flucht und schlug mit seiner Keule den Weg hinter sich kurz und klein, damit ihm ja keiner folgen konnte.
„Diese Geschichte beweist glasklar, dass Riesen ganz sicher nicht die hellsten Lichter auf der Torte sind“, schmunzelt Maurice, „aber hübsch ist sie trotz alledem, und die Touristen lieben sie sehr“.
Sehen kann man sie auch – im ultramodernen und superstylischen Besucherzentrum. Und natürlich auf einem Riesenbildschirm. Wie es sich am Giant’s Causeway eben gehört.