Essen. Weite, unverbaute Landschaften mit rauen Klippen, wenigen Menschen und vielen Schafen - das ist Irland pur. Wer gerne seine Ruhe genießt und die Natur erleben möchte, ist hier genau richtig. Aber Irland hat nicht nur für Naturfreunde einiges zu bieten, in den traditionellen Pubs tobt das Leben.

Mitten auf der Fahrbahn blöken zwei Dutzend Schafe vor sich hin und blockieren den Verkehr. „Das ist die irische Art von Stau“, kommentiert Aiden, der Busfahrer, gelassen. Ob man ein paar Minuten früher oder später ankommt, ist egal. Es regnet sowieso gerade. Aiden nennt den Niederschlag übrigens „liquide sunshine“, also Sonnenschein in flüssiger Form – es kommt eben auf die Sicht der Dinge an.

Wir sind auf dem Weg in die Blue Stack Mountains in Donegal. Die Grafschaft befindet sich ganz oben im Nordwesten der Insel ist. Auf der einen Seite liegt der Atlantik, auf der anderen Nordirland. Die Randlage hat bewirkt, dass Donegal viel von seiner Ursprünglichkeit bewahren konnte: eine weite, unverbaute Landschaft, raue Klippen, wenige Menschen, viele Schafe – angeblich dreimal so viel wie Einwohner.

Wandern wie auf Luftkissen

Der Bluestack Weg ist einer der rund 30 markierten Wanderrouten in Irland. Die 67 Kilometer von Donegal Town bis Ardara verlaufen zum großen Teil querfeldein, über Hochmoore in unzähligen Farb-Schattierungen. Das Tückische: je rötlicher das Kraut, umso feuchter der Untergrund – schön fürs Auge, schlecht für die ehemals trockenen Socken. Der Wanderer läuft wie auf Luftkissen, sinkt immer wieder in den dicken Polstern des Heidekrauts ein. Je höher man kommt, umso weiter wird der Blick über die unendlich vielen Hügel in der Umgebung. In Österreich wären diese längst als Skipisten genutzt, doch in Irland fällt kaum Schnee. Kalt kann’s trotzdem werden. Der beständige, teils kräftige Wind veranlasst Nicht-Iren, die Mütze noch ein bisschen tiefer über die Ohren zu ziehen.

Auf der Insel Aaranmore bläst es am nächsten Tag so heftig, dass einige der Wanderer auf dem Weg zum Leuchtturm am anderen Ende der Insel über die Weideflächen taumeln, als hätten sie eine lange Nacht im Pub hinter sich. Die Wanderführerin warnt angesichts der heftigen Böen immer wieder davor, zu nahe an den Rand der Klippen zu gehen. Auf den Pfaden hat man ohnehin das Gefühl, dem Meer ganz nah zu sein. Während sich am Himmel dramatische Wolkenformationen zusammenbrauen, tost unten der Ozean. Dazu die klare, salzhaltige Luft – Natur pur, weder Autos, noch Flugzeuge, nicht einmal andere Wanderer, allenfalls Schafe. Die stehen nicht nur mitten auf Straßen, manche von ihnen führen sich wie Gämsen auf und kraxeln todesmutig auf schroffen Felsklippen herum, zum Beispiel am Silberstrand von Malinmor.

Die Steilküste zeigt sich von ihrer schönsten Seite

Lediglich bei den Slieve League wird’s streckenweise etwas voller, die hundert Meter vom Parkplatz bis zur Aussichtsterrasse. Die imposanten Steilklippen sind in jedem Reiseführer erwähnt. Mancher Autor bezeichnet sie als die höchsten Europas, andere weisen ihnen Platz zwei zu, nach dem Cabo Girao auf Madeira. Wen schert schon das Ranking. Auf dem Weg zum „Eagles Nest“ zeigt sich die Steilküste von ihrer schönsten Seite, mit Höhlen und Felsvorsprüngen aus buntem Quarzitgestein, einer Landschaft ohne Strommasten oder Asphaltstraßen. Die moderne Zivilisation ist nicht bis hierher vorgedrungen.

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In Donegal bewahrt man die Tradition. In keiner anderen Grafschaft Irlands wird so viel Gälisch, die Sprache der irischen Ureinwohner, gesprochen wie hier. In Glencolmcille, einem kleinen Ort in der sogenannten Gaeltacht-Region, bietet der Kulturverein jeden Sommer Sprachkurse an. Im letzten Jahr sind drei Koreaner dabei gewesen. „Die konnten kein Wort Englisch, aber nach drei Wochen immerhin ein paar Sätze Gälisch“, erzählt Ian, bis zur Rente als Trucker unterwegs und heute ehrenamtlicher Sprachlehrer.

Keinesfalls den Besuch im Pub versäumen

Glencolmcille stand in den 60er Jahren nicht nur geografisch am Abgrund, sondern auch wirtschaftlich. Vom Fischfang, bis dahin Haupteinnahmequelle, konnte niemand mehr leben. Gott sei Dank kam Father MacDyer, der örtliche Pastor, auf die geniale Idee, das alte Kunsthandwerk wiederzubeleben. Sechs reetgedeckte Cottages wurden zum sehenswerten Freilichtmuseum ausgebaut, Touristen können nicht nur Gälisch, sondern auch Spinnen und Trommeln auf der Bodhran, der gälischen Rahmentrommel, lernen. Und beim Gathering schlüpfen irische Auswanderer, die für ein paar Tage in ihre alte Heimat kommen, in die Trachten ihrer Vorfahren und vollziehen deren Leben nach.

Als Kontrastprogramm zu einsamen Klippenwanderungen sollte man auf keinen Fall einen Besuch im Pub versäumen. Im Rell Pub in Donegal Town, dem Hauptort der Gegend mit 2500 Einwohnern, steht der Punker mit roter Irokesenfrisur neben der Omi im altmodischen Tweed-Kostüm. Beide hören der Frau aus dem Publikum zu, die ganz entfernt an Enya erinnert – diese Sängerin stammt übrigens aus Donegal. Danach ist Zeit fürs Schäfchen zählen.