Lalibela. Bis 2020 soll Äthiopien zu einem der fünf Top-Reiseziele in Afrika werden. So ist zumindest der Plan der äthiopischen Tourismusindustrie. Dabei konzentriert sich das Land hauptsächlich auf kulturinteressierte Urlauber und will so eine Alternative zu Ländern wie Marokko oder Südafrika bieten.

Vorsichtig setzt Simon einen Fuß vor den anderen und bahnt sich einen Weg durch das Geröll den Berg hinauf. Simon, das Maultier, muss sich konzentrieren. Aber Gashaw Assefa plaudert munter drauf los. Er deutet mit ausgestrecktem Finger hinunter nach Lalibela. „Da unten ist meine Schule“, sagt er und gibt Simon einen Klaps aufs Hinterteil. „Noch ein Jahr, dann fange ich an zu studieren.“

Schulkinder stehen in hellblauen Uniformen lachend an Kicker-Tischen. Vor den strohgedeckten Rundhütten trocknen Chilis und Getreide in der Sonne. Männer pflügen mit Ochsengespannen die weiten Felder, die in wenigen Monaten von üppigem Grün bedeckt sein werden. Es ist ein Bild, das so gar nicht zu Äthiopien passen will. Doch seit der letzten Hungersnot Mitte der achtziger Jahre hat sich das Land verändert. Und es wächst eine Generation heran, die optimistisch in die Zukunft blickt.

Äthiopien will hoch hinaus

Gashaw ist 17, seine Jeans schlackert um die schlaksigen Beine. Seine Eltern gehören zu den 80 Prozent der äthiopischen Bevölkerung, die von der Landwirtschaft leben, erzählt er. Um sie zu unterstützen, begleitet er Touristen mit dem Maultier seines Onkels auf den Berg, der eines der bedeutendsten Kulturdenkmäler des Landes überblickt: die elf Felsenkirchen von Lalibela.

Die Pläne der äthiopischen Tourismusindustrie sind ehrgeizig: Bis 2020 soll das Land zu den Top fünf der afrikanischen Urlaubsziele gehören und ähnlich viele Menschen anziehen wie Marokko oder Südafrika. Es gibt mehrsprachige Reiseleiter, internationale Hotelketten wollen sich in der Hauptstadt Addis Abeba niederlassen und das verschlafene 20.000-Einwohner-Nest Lalibela wurde schon im vergangenen Jahr von knapp 300.000 Touristen besucht. Denn während die afrikanische Konkurrenz mit langen Stränden oder aufregenden Safaris punktet, richtet sich der äthiopische Tourismus vor allem an Kulturinteressierte – mit den Felsenkirchen von Lalibela als Höhepunkt.

Ein zweites Jerusalem

Über 200 Exemplare soll es allein hier, im Innern der Bergwelt von Lasta, 2500 Meter über dem Meeresspiegel, geben. Einige stehen frei zwischen den hohen Felsen, andere klammern sich hinter der sorgsam geglätteten Fassade auf winzigen 60 Quadratmetern ans Gestein oder tragen auf dem Dach leise bröckelnd die tonnenschwere Last des unbearbeiteten Massivs. Je nach Sonneneinfall leuchten die dezenten Verzierungen in einem zarten Rosa, dann wieder lachs- oder sandfarben.

Vor über 800 Jahren haben sich Tausende von Menschen auf Geheiß des späteren Königs Lalibela durch den roten Basaltfelsen in die Erde gegraben, Türen und Fenster herausgearbeitet und sich dann mühsam in das Innere der Gotteshäuser vorgekämpft. Ein zweites Jerusalem sollte hier entstehen: Der kleine Fluss, der die Kirchenkomplexe trennt, heißt Yordanos, es gibt einen Platz Golgatha und ein Grab des Adam.

Ein Leben in der Kirche

Heute zählen die elf Kirchen, die im Stadtgebiet durch nachtschwarze Tunnel miteinander verbunden sind, zum lebendigen Weltkulturerbe der Unesco. Denn sie werden von den orthodoxen Äthiopiern noch immer benutzt. Täglich finden hier Messen statt, bei denen einige der 830 Priester in weißen Gewändern Weihrauch schwenken und in der 3000 Jahre alten Sprache Ge’ez zu klirrenden Schellen monotone Psalme aus der Bibel vortragen. „Die Menschen hier gehen nicht aufgrund kultureller Zwänge zur Kirche, sondern aus tiefstem Glauben heraus“, sagt Fitsum Gezahegne, Präsident der Äthiopischen Tour Operators Association. „Sie verbringen ihr Leben in der Kirche.“

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Durch die kleinen, mit Kreuzen verzierten Fenster dringt schummriges Licht. Betende Gläubige lesen auf abgewetzten Teppichen die Bibel, andere drücken leise murmelnd Stirn und Lippen gegen die Felsen oder werfen sich vor knallbunten Heiligenbildern auf den Boden.

Tourismus als Waffe gegen Armut

Nur rund um die Georgs-Kirche ist es ruhig. Der zwölf mal zwölf Meter große Bau liegt verborgen in einem tiefen Schacht, von oben ist nur die Form eines griechischen Kreuzes erkennbar. Das Meisterstück der alten Baumeister hat etwas Schauriges an sich: Da ist nicht nur die übermenschlich erscheinende Leistung, den Felsen ein solch akkurates Bauwerk abzutrotzen. In den Höhlen ringsum liegen – teils konserviert – noch die Gebeine der alten Mönche, die den heiligen Ort selbst nach dem Tod nicht verlassen wollten.

Gashaw Assefa aber wird gehen. Er will in Addis Abeba studieren und eines Tages als Lehrer nach Lalibela zurückkehren. Äthiopien rangiert in der Entwicklungsskala der Vereinten Nationen zwar noch immer auf einem der hinteren Plätze. Doch das starke Wirtschaftswachstum und der stete Anstieg der Besucherzahlen geben der heranwachsenden Generation Anlass zur Hoffnung. „Tourismus ist eine großartige Waffe, um Armut zu eliminieren“, heißt es dazu aus dem Tourismusministerium.