Dallas. Die “JFK-Assassination Tour“ verspricht eine Hitchcock-reife Zeitreise auf den Spuren von Lee Harvey Oswald, der am 22. November vor 50 Jahren den 35. Präsidenten der USA erschossen haben soll. An Bord werden Orginal-Schauplätze geziegt, die der unberechenbare Strippenzieher namens Zufall auswählt.

„Folks, willkommen im Jahr 1963.“ Herzhaft begrüßt Tyler Turrell das Völkchen, das an diesem Nachmittag in Dallas die mörderische Geschichtslektion im knallroten Nostalgiebus von JFK Trolley Tours gebucht hat: „Vermutlich kriegt ihr gleich ein bisschen Gänsehaut.“ Klar, das wollen alle. An Bord freut man sich auf den Trip zu Original-Schauplätzen, die kein Regisseur ausgeguckt hat, sondern der unberechenbare Strippenzieher namens Zufall. Auf geht’s.

Gestartet wird am Sixth Floor Museum, dem Kennedy-Museum im alten Schulbuchdepot. Ein roter Klinkerbau, aus dessen sechstem Stockwerk die Todeskugel abgefeuert worden ist, es sei denn, der Scharfschütze hätte Kennedy hinter dem Grashügel unten an der Schnellstraße aufgelauert und Oswald als Sündenbock missbraucht. Das behaupten die Verschwörungstheoretiker. Tatsächlich scheint der Hubbel an der Highwayauffahrt geradezu dafür prädestiniert, dass sich ein Killer dahinter verschanzt.

"Das Versteck eines Heckenschützen? Nicht ausgeschlossen."

JFK Trolley Tours folgen Oswalds Weg nach den Schüssen auf JFK: Gerade ist Kennedy auf offener Straße zusammengesackt. An der Dealey Plaza, die noch aussieht wie damals, bot der Autokorso ein 1a-Ziel, der navyblaue Lincoln Continental convertible dem Präsidenten aber keinen Schutz. Turrell fuchtelt hinter dem Rücken des Busfahrers herum, schlüpft in die Rolle der Einsatzleitung, kommt in Fahrt wie ein Fußballkommentator, rekapituliert die vielen Ungereimtheiten, die Drehbuchstoff der Extraklasse liefern, während sich der Trolleybus in den Großstadtverkehr quetscht und um die Ecken quietscht.

Plötzlich, in einem Wohnviertel, wird es totenstill. Der Bus bremst ab. Fast hört man das Rattern der Klimaanlage an der Hauswand, auf die Turrell deutet. „Dort, wo ihr den Kasten seht“, sagt er und zeigt auf das ebenerdig angebrachte rostige Ding, „da stand sein Bett“. Die Businsassen fröstelt: 1026 North Beckley – auf den ersten Blick eine gepflegte Anwohnerstraße, saubere Rasenrechtecke, gestutzte Hecken. Das Versteck eines Heckenschützen? Nicht ausgeschlossen. Hausnummer 1026 gehörte dem Boarding House, wo Oswald sich einquartiert hatte. Die Buspassagiere stellen sich vor, wie er dort das Gewehr lädt, das er auf den Präsidenten richten wird.

Flair der Einwadererjahre konserviert

Der Bus passiert inzwischen die Stelle, wo Oswald den Polizisten Tippit erschoss. Alles stiert auf den menschenleeren Bürgersteig. Ein paar hundert Meter von seinem Domizil entfernt hatte Oswald nach dem Attentat auf Kennedy den Mann erledigt, der ihm hätte gefährlich werden können. Anschließend flüchtete er ins Kino. Im Texas Theatre, 231 W. Jefferson Boulevard, haben sie ihn geschnappt – filmreif. Das zuckerweiße Gebäude beschwört die Frühzeit amerikanischer Filmkultur. Das Dallas von 1963 ist förmlich zu riechen.

Auch interessant

Schön, dass das kleine Lichtspielhaus von 1931 erhalten ist in einer Straße, die das Flair der Einwandererjahre konserviert und in der Metropole der Ölbarone einen Fremdkörper bildet mit Backstuben, Ein-Dollar-Läden, schäbigen Schönheitssalons und spanischen Brautmoden. Schade, dass man nicht aussteigen kann. Turrell rudert mit beiden Armen: zurück in die Innenstadt.

Tausend fragen nach der Tour 

Der rote Bus fährt zum Polizeirevier, wo der zwielichtige Nachtclubbetreiber Jack Ruby kurz nach Kennedys Tod Oswald erschoss. Im Auftrag der CIA? Fidel Castros? Der Mafia? Die Tour endet mit tausend Fragen. Bedauerlich nur, dass das großartige tempelartige Kennedy-Memorial des Stararchitekten Philip Johnson ausgespart wird.

Die Nachbarstadt Fort Worth, wo für Touristen Longhorn-Rinder durch die Straßen spazieren und Country-Größen wie Willie Nelson auftreten, bekam nun ihr eigenes JFK-Denkmal – das Gegenteil des abstrakten Gedenkens in Dallas. In Fort Worth steht Kennedy als Bronzestatue vor dem ehemaligen Texas Hotel, heute ein Hilton.

Revolverattrappe in Gun Shows

Auf einer Tribüne vor dem Gebäude sprach er wenige Stunden vor dem Attentat zum letzten Mal öffentlich. In Suite 850 verbrachte er seine letzte Nacht. Eine Ausstellung im Amon Carter Museum rekonstruiert das exklusive Schlaferlebnis: Kunstsammler hatten zu Ehren des Gastes Picassos und weitere Kunst ausgeliehen.

Fort Worth besitzt Weltklassemuseen und beherbergt regelmäßig Gun Shows, die alles feil bieten – vom Schnellfeuergewehr bis zur neckischen Damenhandtasche mit Revolverattrappe. Jetzt ist „Cowtown“ glücklich, vom Kennedy-Fieber zu profitieren. Fort Worth ist die Stadt, wo der Westen beginnt, sagen die Bewohner mit verklärtem Augenaufschlag, und sie ist ein Pflaster für Westernfans.

Man versteht sich aufs Feiern und Schießen – doch hier ist Kennedy nichts geschehen. Die Menschen strömen ins Sixth Floor Museum, das sein Leben bebildert und die letzten Stunden erklärt. Am Eingang knallt die durchgestrichene Pistole ins Auge: Schusswaffen müssen draußen bleiben. Also bitte, Folks!