Berlin. . Barack Obama besucht Berlin fast pünktlich zu einem historischen Jahrestag: Im Juni 1963 kam John F. Kennedy nach Deutschland – als Erlöser von Zweifeln, die er selbst gesät hatte. Er befreite die Westdeutschen von dem fürchterlichen Zweifel, ob sie sich auf die Freundschaft der Amerikaner überhaupt noch verlassen können.

Kennedy fand den Gedanken so hübsch, dass er ihn in den vier Tagen seines Deutschlandbesuches gleich mehrmals aussprach: Er werde seinen Nachfolgern einen Umschlag im Schreibtisch hinterlassen mit der Aufschrift „Nur in den traurigsten Momenten zu öffnen“. Darin werde ein Zettel stecken, auf dem steht: „Fahren Sie nach Deutschland.“ Barack Obama ist Kennedys neunter Amtsnachfolger und kommt am Dienstag nach Berlin. Es ist ungerecht, aber Kennedys legendärer Besuch wird dabei der Maßstab sein, auch weil er sich in wenigen Tagen zum 50. Mal jährt.

Kennedy kam im Juni 1963 als Erlöser. Er befreite die Westdeutschen von dem fürchterlichen Zweifel, ob sie sich auf die Freundschaft der Amerikaner überhaupt noch verlassen können. Doch der Grund für diesen Zweifel war kein anderer als Kennedy selbst: Er war nämlich untätig geblieben, als zwei Jahre zuvor die Berliner Mauer gebaut wurde. „Better a wall than a war“, sagte er im vertrauten Kreis. „Der kneift“, sagten viele Deutsche ganz offen.

Kennedy war schon als Student in Deutschland

Mit seinem Besuch machte Kennedy nun klar: Er wollte das Vertrauen wieder herstellen. Aber wie?

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Kennedy kannte die Deutschen. Schon 1937, 1939 und 1945 hatte er das Land besucht. Seine Aufzeichnungen, gerade auf Deutsch erschienen („Unter Deutschen. Reisetagebücher und Briefe 1937-1945“, Aufbau-Verlag, 23,70 Euro) offenbaren ein zwiespältiges Verhältnis zu den Deutschen: verzaubert von den Schlössern des Rheinlandes, beeindruckt von der technischen Raffinesse der Deutschen, aber befremdet von ihrem Charakter: Er fand sie „geradezu willfährig im Entgegennehmen von Befehlen“.

Zwei katholische Staatsmänner im Kölner Dom

Konnte man diesen Deutschen trauen, als sie nun, bei seiner Ankunft in Köln am 23. Juni, jubelnd am Straßenrand standen? Kennedy hielt eine höfliche Rede vor dem Rathaus, pries das hohe Alter der Stadt und kokettierte mit den USA als Parvenü der Weltgeschichte. Die Kölner hörten es gerne, zumal Kennedy am Ende „alaaf“ sagte. Dann ging er mit Konrad Adenauer zur Messe in den Dom, katholisch waren sie ja beide.

Ansonsten trennte die Männer mehr als sie verband: Der Altersunterschied war 40 Jahre. Und während der deutsche Kanzler ge­genüber der Sowjetunion auf Härte drang, setzte Kennedy auf Entspannung. Schon 1957 hatte er geschrieben: „The age of Adenauer is over.“ Diesen Aufsatz hatten sie natürlich auch in Bonn gelesen. Wie frech von Kennedy, dass er dann beim Dinner im Palais Schaumburg ausgerechnet das Alter des Gastgebers zum Thema seiner Tischrede machte: „When he was born in 1876, Bismarck was Chancellor...“.

Ein Mann, eine Frau und ein Fernseher voll Lippenstift

Auch die Deutschen nahmen den Altersunterschied wahr. In einer deutschen Karikatur jener Tage fragte der Ehemann seine Frau, ob sie die Kennedy-Übertragung im Fernsehen gesehen habe. Der Fernseher war voller Lippenstiftspuren.

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Kennedy besuchte Köln, Bonn, Frankfurt und Wiesbaden. Zwölf Reden hielt er hier in drei Tagen, sogar in der Paulskirche sprach er, aber kaum etwas davon ist noch in Erinnerung. Am 26. Juni morgens hob sein Flieger ab nach Berlin. Die Zeit war knapp: Nur ein paar Stunden fuhr Kennedy zusammen mit Adenauer und Bürgermeister Willy Brandt im blauen Lincoln durch die Stadt, bejubelt von, so heißt es, zwei Millionen Menschen.

Auf dem Zettel stand: „Ish bin ein Bearleener“

Der Präsident besah die Mauer, sprach zu Gewerkschaftern und zu Studenten und dazwischen zu 450 000 Bürgern vor dem Schöneberger Rathaus. Es wurde ei­ne unerwartet scharfe antikommunistische Rede, die vor allem Kennedys eigene Entspannungspolitik Lügen strafte. Er nannte Berlin die Frontstadt eines weltweiten Freiheitskampfes und am Ende sich selbst einen Berliner. Heute lächelt man über den Zettel, von dem er ablas und auf dem stand: „Ish bin ein Bearleener.“ Damals jauchzten sie, denn sie hatten das Bekenntnis gehört, das sie hören wollten.

„Fahren Sie nach Deutschland“ – so lautete der Rat, den der völlig begeisterte Kennedy seinen Nachfolgern in einem Umschlag hinterlassen wollte. Vielleicht, sagte er, würde er den sogar selber öffnen. Doch schon fünf Monate später starb er im Fond des blauen Lincoln.