Essen. Nur wenige Reiseveranstalter bieten eine Kreuzfahrt für Behinderte an. Denn der Teufel steckt hier im Detail: Von Transfer bis Landausflug muss alles komplett durchorganisiert sein. Wirklich behindertengerecht ist zurzeit nur ein Schiff - die “Alegria“ des holländischen Anbieters Adelle Cruises.
Der weiche Teppich fühlt sich beim Laufen herrlich an. Doch Rollstuhl-Räder bleiben darin stecken. Im Lift sind die Knöpfe zwar mit Punktschrift markiert, aber wie soll der Sehbehinderte ohne Ansage wissen, auf welchem Deck der Aufzug gerade hält? Details, die einem gewöhnlichen Kreuzfahrtpassagier nicht auffallen, können für körperlich eingeschränkte Menschen schnell zu unüberwindbaren Hürden werden. Und das sind noch die geringeren Probleme, auf die Behinderte häufig stoßen, wenn sie ihre Kreuzfahrt nicht haarklein vorbereiten und alle Eventualitäten vorab klären.
Richtig ärgerlich kann es werden, wenn zwar das Kreuzfahrtschiff als solches weitgehend barrierefrei ist, Rollstuhlfahrer aber mangels geeignetem Transfer nicht einmal vom Flughafen zum Schiff kommen und auf der Reise kaum einen Landausflug mitmachen können, weil die passenden Busse fehlen oder die Reederei keine Möglichkeit bietet, mit dem Rollstuhl per Tenderboot an Land zu gelangen.
Unterstützung und besondere Anforderungen
Nur wenige, spezialisierte Reiseveranstalter organisieren komplett durchgeplante, behindertengerechte Kreuzfahrten – einschließlich Transfers und Landausflüge. Sie kennen die vielen Haken und Ösen, die Rollstuhlfahrern, aber auch hör- oder sehbehinderten Urlaubern den Spaß verderben können. Nils Wend von Runa Reisen sagt, er vertraue selbst den Angaben der Reedereien nur eingeschränkt. Lieber prüfe er mit seinen Mitarbeitern anhand langer Checklisten vor Ort, wie behindertengerecht die Schiffe tatsächlich sind und inwieweit bei der jeweiligen Reederei Know-How und Unterstützung für die besonderen Anforderungen vorhanden ist.
Weltweit gültige Standards gibt es nicht. Ohnehin habe jeder Reisende mit Behinderung ganz individuelle Anforderungen, wie Oliver Asmussen berichtet. Er hat im Internet eine Suchmaschine aufgebaut, über die sich passende Kreuzfahrtschiffe anhand spezifischer Auswahlkriterien finden lassen. Betten sind da so ein Thema: Sind sie zu hoch und haben keinen festen, griffigen Rand, wird das zur Schwerstarbeit für die Begleitperson. Oder kleine Schwellen im Bad: Für Gehbehinderte, die zumindest kurz mit Unterstützung ein paar Schritte gehen können, ist das erträglich. Für andere dagegen eine zu hohe Hürde.
Besonders heikel wird es auf den zwangsläufig eher engen und kleinen Flusskreuzfahrtschiffen. Wirklich komplett behindertengerecht ist derzeit nur ein einziges Flusskreuzfahrtschiff. Die „Alegria“ des holländischen Anbieters Adelle Cruises hat Anfang 2012 dafür vom Verein Aktive Behinderte Stuttgart (ABS) den Award „Goldener Rollstuhl“ verliehen bekommen. Geschäftsführer Cor Giljam hat sich schon lange mit dem Thema befasst und die „Alegria“ in dieser Hinsicht nahezu perfektioniert: Große Aufzüge für bis zu drei Rollstühle gibt es, insgesamt drei Aufzüge stellen sicher, dass Gehbehinderte sich auch dann an Bord bewegen können, wenn mal ein Aufzug kaputt ist. Kabinen und alle öffentlichen Bereiche sind barrierefrei und auch das Sonnendeck ist für Rollstuhlfahrer per Aufzug erreichbar – auf Flusskreuzfahrtschiffen eher die Ausnahme.
Oft liegen mehrere Flussschiffe nebeneinander
Aber der Teufel steckt auch hier im Detail: In stark frequentierten Häfen legen oft mehrere Flussschiffe nebeneinander an. Da nutzt ein behindertengerechtes Schiff nichts, wenn es nicht direkt an der Pier festmachen kann. Auch da hat die „Alegria“ einen großen Vorteil, so Cor Giljam: „Die Hafenbehörden kennen unser Schiff und die besonderen Anforderungen unserer Passagiere. Sie sorgen nahezu immer dafür, dass wir einen Liegeplatz direkt an der Pier bekommen.“
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Ganz andere Herausforderungen stellen sich dagegen für Sehbehinderte und Blinde, obwohl eine Kreuzfahrt für sie eigentlich hervorragend für einen Urlaub geeignet ist, wie der blinde Kreuzfahrer-Profi und Mitinhaber von Sonnendeck Seereisen Jens Walpert berichtet: „Schiffe sind eigentlich so gebaut, dass man sich als Blinder perfekt orientieren kann. Die meisten Decks sind quasi in Planquadraten aufgebaut. Die Orientierung ist da viel leichter als in einer fremden Stadt.“
Walpert orientiert sich ganz besonders an Geräuschen – und die hört er auf einem Schiff überall.
Essenziell sind für Jens Walpert aber Details, die es ermöglichen, sich zumindest zeitweise auch ohne Begleitung an Bord bewegen zu können, etwa sprechende Aufzüge. Denn sonst ist es für ihn nahezu unmöglich, auf dem richtigen Deck wieder auszusteigen.“ Hilfreich sind auch wechselnde Bodenbeläge, anhand derer unterschiedliche Bereiche am Schiff erkennbar sind und – idealerweise – ertastbare Schraffierungen am Boden, die beispielsweise Gefahrenstellen markieren.
Aspekte vorher mit Reederei klären
In einem Punkt sind sich alle Experten einig: Wer mit körperlichen Einschränkungen eine Kreuzfahrt wirklich genießen will, sollte sich gut vorbereiten und alle wichtigen Aspekte vorher mit Reiseveranstalter oder Reederei klären – und sich Zusagen am besten schriftlich geben lassen.