Essen. Zehn oder elf Monate im Jahr auf hoher See - das ist Alltag für die Kreuzfahrt-Crew der MS Eurodam. Meist rekrutiert in Indonesien oder auf den Philippinen, durchlaufen jährlich 1000 Berufsanwärter abteilungsspezifische Ausbildungen. Ein Nachwuchsproblem für asiatische Unternehmen gibt es nicht.

Es ist Haris Santusos großer Tag. Schon wieder. Dreimal bereits ist der Unterbootsmann der Holland America Line Angestellter des Monats gewesen. Zwischen den hoch gewachsenen amerikanischen und holländischen Offizieren in ihren schicken weißen Galauniformen steht er klein, schmal und ockerfarben auf der Showbühne der MS Eurodam und bedankt sich mit einer schnellen Verbeugung für den Applaus der Kreuzfahrt-Gäste. So viel Aufmerksamkeit ist dem Indonesier unangenehm – als er später von sich erzählen soll, rutscht er wie ein Junge unruhig auf dem Stuhl herum. Seine Landsleute, die als Kellner, Zimmerjunge oder Barkeeper auf dem Ozeanriesen arbeiten, scherzen und tratschen ungezwungen mit den Urlaubern. Aber Haris Santuso ist seit über 20 Jahren der Mann im Hintergrund, verantwortlich für die Sicherheit der Matrosen und Ansprechpartner bei persönlichen Problemen.

Probleme müsste es bei so vielen Menschen auf engem Raum eigentlich viele geben. Über 2000 Passagiere fasst die Eurodam, die nahezu 1000 Besatzungsmitglieder leben auf drei Decks – außer den Offizieren immer zu zweit in einer Kabine. Für die Filipinos und die Indonesier, die unter den 37 vertretenen Nationalitäten die mit Abstand größte Gruppe der Crew stellen, scheint der Lagerkoller vorprogrammiert: Sie arbeiten zehn bis elf Monate im Jahr, sieben Tage die Woche, elf Stunden am Tag. Haris Santuso hat deshalb die Geburt seiner Tochter verpasst. Seine Frau war gerade im zweiten Monat schwanger als er nach drei oder vier Monaten Heimaturlaub wieder in See stechen musste. Die bis zu drei Wochen Sonderurlaub, die die Männer aus familiären Gründen beantragen können, gelten nämlich nicht für solch freudige Anlässe. Seine Kinder haben den Vater auf Fotos kennengelernt, trotzdem denkt der 49-Jährige noch lange nicht ans Aufhören. Im Gegenteil: „Manchmal haben wir auch sechs Monate frei“, erzählt er, „aber dann wird das Geld schon langsam knapp.“ Mit 25 hat sich Haris der Seefahrt verschrieben, war erst bei einem saudi-arabischen, dann einem japanischen Unternehmen. „Es war einfach schwer einen guten Job in Indonesien zu bekommen.“

Personal in Indonesien und auf Philippinen rekrutiert

In seiner Heimat denken viele junge Männer so wie er. Schon in den 70er Jahren begann Holland America Line (HAL) damit qualifiziertes Personal in Indonesien und auf den Philippinen zu rekrutieren. Der Grund dafür ist einfach: „Die asiatische Kultur ist die freundlichste Kultur der Welt“, erklärt Hotel-Direktor Stan Kuppens. „In asiatischen Hotels bekommen Sie als Gast den Hintern gepudert.“

Mittlerweile durchlaufen jährlich 1000 Berufsanwärter Englischkurse und abteilungsspezifische Ausbildungen für Housekeeping, Küche oder technische Abteilungen im Ausbildungszentrum der Reederei in Jakarta. Durchschnittlich bleiben die Angestellten fünf Jahre beim Unternehmen.

Der anstrengende Dauereinsatz, den Tausende Asiaten bei allen großen Kreuzfahrt-Reedereien leisten, mag für Europäer undenkbar sein. Am Willen der deutschen Reedereien, deutsche Arbeitskräfte in sozialversicherungspflichtige Jobs zu bringen, liegt es dabei aber nicht unbedingt. Tatsächlich beklagen die Unternehmen, dass deutscher Nachwuchs kaum zu finden sei. In Asien gibt es solche Probleme nicht. Auf der indonesischen Insel Java, wo Haris Familie lebt, fahren die Väter zur See und die kleinen Jungen eifern ihnen nach. Für seinen 13-jährigen Sohn aber wünscht sich Haris etwas anderes. „Ich kenne meinen Sohn“, sagt er. „Bei ihm habe ich Angst, dass er vor Heimweh umkommt.“

Leben auf See hat auch Vorteile

Dabei hat das Leben auf See durchaus auch seine Vorteile – 415 Häfen in 98 Ländern läuft die HAL-Flotte an. Zwei Weltreisen hat Haris schon hinter sich. Bei der Kreuzfahrt zu den norwegischen Fjorden stehen seine jüngeren Kollegen, manche gerade einmal 22 Jahre alt, in ihren Overalls an der Reling und bestaunen die steil aufragenden Berge, die zum Greifen nah scheinen. Haris verlässt das Schiff auf der siebentägigen Fahrt nicht ein einziges Mal. „Es ist Teil eines normalen Managements, dass sich die Vorgesetzten darum bemühen, jedem Angestellten zu ermöglichen zum Beispiel eines Tages Amsterdam zu sehen“, sagt Kapitän Emiel de Vries. Nach ihrer Schicht dürfen die Crew-Mitglieder an Land, manchmal sogar an Exkursionen teilnehmen. Doch Haris kennt Norwegen schon. Er mag das nasskalte Wetter, aber sein Lieblingsort ist und bleibt Venedig.

Haris vertreibt sich seine Freizeit in der Kantine, wo täglich allein 600 Kilo Reis für die Crew aufgetischt werden. Oder im Aufenthaltsraum, der trotz Billardtisch und Fernseher ein bisschen an eine Milchbar aus den 50er Jahren erinnert. An der Wand hängen zwei Uhren: eine zeigt die Zeit in Jakarta, die andere in Manila an. Manchmal telefoniert er auch mit seiner Frau. Das sind die Momente, in denen der Seemann doch ein wenig Privatsphäre vermisst. „Zu zweit auf der Kabine zu sein, das ist normal für uns. Aber private Telefonate sind wirklich schwierig, wenn alle anderen jedes Wort verstehen.“ Bis er mit seiner Frau wieder ungestört reden kann, dauert es noch. Der nächste Heimaturlaub steht erst im November an. Danach geht es ja vielleicht nach China – das will Haris unbedingt einmal sehen.