Wer kennt sie nicht, die starke, mutige Pippi Langstrumpf. Mit ihren Abenteuern beglückte sie unzählige Kinder und machte Astrid Lindgren berühmt. In Schweden, genauer gesagt auf Näs mitten in Småland, enstanden die Ideen zu den Kinderbüchern, samt Villa Kunterbunt und Limonadenbaum.

Sie sind alt und dick geworden über all die Jahre. Sie haben Stürmen Stand gehalten, Generationen erwachsen werden sehen. Es sind die Bäume, in denen sie als Kind herumkletterte. Es sind die Kastanien und Ulmen, um die herum sie damals kleine Episoden aus dem Leben von Pippi Langstrumpf vorwegnahm, lange bevor sie das rothaarige Mädchen mit den Zöpfen erfunden hat. Es sind die Bäume im Garten von Astrid Lindgren auf Näs mitten in Småland.

„Es war schön, dort Kind zu sein.“

In dem roten Holzhaus, das sich hier unter die großen Bäume am Ortsrand von Vimmerby duckt, ist die schwedische Kinderbuchautorin am 14. November 1907 zur Welt gekommen. Dieser Garten war ihre Spielwiese, er war die Bühne ihrer unbeschwerten Kindheit: „Wir kletterten auf die höchsten Bäume und wir balancierten auf dem Dachfirst unseres Hauses“, erzählte sie später: „Es war schön, dort Kind zu sein und schön, Kind von Samuel August und Hanna Ericsson zu sein. Zweierlei hatten wir dort, das unsere Kindheit zu dem gemacht hat, was sie gewesen ist – Geborgenheit und Freiheit.“

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Kinder mit Freiheiten

Der Garten, der für Astrid Lindgren und ihr späteres Werk eine so große Rolle gespielt hat, ist erheblich kleiner geworden. Teile davon sind in den 1960er Jahren von Neubauten niedergerungen worden. Das rote Holzhaus aber blieb unangetastet – mit dem Balancier-Dachfirst, den Rabatten neben der Verandatreppe und den Bäumen, in denen Astrid mit ihren Geschwistern herumgestiegen war. Sie waren in diesem Garten, was später zwischen Buchdeckeln und im Film Pippi, Annika und Tommy sein sollten – Kinder, deren Wertesystem stimmte und die fast alle Freiheiten der Welt hatten, das Leben nach eigenen Vorstellungen zu führen.

„Der Eulenbaum“

Eine alte Ulme auf Näs wurde von den Ericsson-Kindern „der Eulenbaum“ genannt, weil er hohl war. Sie versteckten sich darin – wie ein halbes Jahrhundert später Pippi, die vor ihrer Villa Kunterbunt einen hohlen „Limonadenbaum“ stehen hatte, in dessen aufgeplatzten Stamm sie von oben hineinkletterte, um durch Astlöcher Getränke herauszureichen. Der Baum auf Näs steht noch immer, ist ein bisschen runzeliger und verwachsener als die anderen.

Wo Astrid Lindgren wohnte

Mit 18 zog Astrid mit der Familie aus dem roten Holzhaus aus – in das nur 15 Schritte entfernte größere hellgelbe Holzhaus. Es hat eine große Veranda. So üppig dimensioniert, dass man dort ein Pferd festmachen und unterstellen konnte – wie später in der Villa Kunterbunt. Heute flattern dort Handtücher auf einer Leine, auf dem Rasen liegt Kinderspielzeug, eine Schaukel ist aufgebaut. Es gibt also wieder Kinder auf Näs.

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Pippi Langstrumpf, Michel aus Lönneberga und Klein-Ida – auch ihnen gefällt es in Lindgrens Welt mit roten Holzhäuschen mitten in der unberührten Natur. Illustration: Katrin Engelking aus „Von Bullerbü bis Lönneberga“ – ein neuer Sammelband mit Lindgren-Geschichten (Oetinger)
Von Maren Schürmann

1926 ging Astrid Lindgren nach Stockholm, wo sie für über 70 Jahre bleiben sollte. Die Sommer aber verbrachte sie auf der Schäreninsel Furusund – und auf Näs. Denn als das Gut 1965 aufgelöst wurde, hat sie das rote Holzhaus gekauft, alles in den Urzustand der eigenen Erinnerung zurückversetzt, nach fehlenden Möbelstücken auf Flohmärkten gesucht und bis zu ihrem Tod im Januar 2002 immer wieder Ferien im Elternhaus verbracht. Und sie ist wieder in den Bäumen herumgeklettert – im Alter von 67 Jahren sogar vor Fernsehkameras gemeinsam mit ihrer Freundin Elsa Olenius, die an dem Tag ihren 80.Geburtstag feierte. Schließlich gebe es, sagte Lindgren wörtlich, „kein Verbot für alte Weiber, auf Bäume zu klettern“.

Es ist so, als würde der Garten erwachen

Diesen Vormittag riecht es im Garten nach frisch gemähtem Gras – und nach Waffeln, die jemand irgendwo in der Nachbarschaft backt. Im Schloss der Holztür dreht sich der Schlüssel von Charlotta Lindkvist, die im benachbarten Astrid-Lindgren-Museum arbeitet und Führungen durchs Geburtshaus anbietet: „Pippi Langstrumpf ist erst Astrid Lindgrens zweite Buchveröffentlichung“, sagt sie. „Da liegt es auf der Hand, wie sehr sie sich bei ihren eigenen Kindheitserinnerungen bedient hat.“ Über 70 weitere sollten noch folgen. Bis ins hohe Alter schrieb Lindgren weiter Kinderbücher, die weltweit in fast 90 Sprachen übersetzt wurden.

Durch die Schlafzimmerfenster mit den Holzkreuzen scheint derweil die Sonne hinein. Als Kind spielte Astrid dort wie später Pippi ‚Nicht-den-Boden-berühren’. Sie beschrieb das so: „Von der Arbeitszimmertür hangelte man sich zur Küchentür, sprang auf die Spiegelkommode, von dort auf den Schreibtisch, auf Papas Bett, zu einem Sitzkissen, mit dem man bis zur Tür des Wohnzimmers rutschte, zum Kamin und wieder zur Arbeitszimmertür.“

Während Wohn- und Schlafzimmer, Flur und Küche auf Führungen gezeigt werden, bleibt ein Raum im Erdgeschoss ebenso tabu wie das Obergeschoss: Dort schlafen Astrid Lindgrens Enkel, Urenkel, Großnichten und -neffen, wenn sie im Sommer zu Besuch sind. Es ist dann, als ob der Garten erwacht: Kinder spielen auf Veranda und Rasen, klettern in den Bäumen. Astrid Lindgren hätte es nicht anders gewollt.