Berlin. Er war der erste ständige Rummelplatz in der DDR, doch seit knapp zwölf Jahren gammeln die Fahrgeschäfte im Berliner Spreepark vor sich hin. Die einzigen Besucher: Berliner und Touristen aus aller Welt, die sich einer Führung anschließen - und täglich rund 500 Einbrecher.
Die gelben Wagen der Wildwasserbahn stehen im Bahnhof - als seien die Fahrgäste gerade erst ausgestiegen. Doch den letzten zahlenden Besucher haben sie vor knapp zwölf Jahren gesehen. Entsprechend dick ist die Dreckschicht auf dem Boden, die Scheibe des Kassenhäuschens ist eingeschlagen, das Wasser grün vor Algen. Die Wildwasserbahn ist eins von neun verbliebenen Fahrgeschäften im Berliner Spreepark. Wie alle anderen gammelt sie seit November 2001 vor sich hin - und ist längst zur Attraktion für Touristen geworden.
Seit vier Jahren bietet Christopher Flade mit Genehmigung der Besitzer am Wochenende auf dem Gelände Führungen an. Knapp 50 Teilnehmer sind an diesem Sonntagmittag gekommen: Berliner, aber auch Gäste aus dem Ausland, die sich diese skurrile Attraktion im Plänterwald nicht entgehen lassen wollen. Für viele ist es eine Reise in die eigene Vergangenheit: Knapp die Hälfte der Besucher kennt das Gelände noch aus DDR-Zeiten.
Fahrgeschäfte, die aus dem Westen kamen
Der Spreepark wurde am 4. Oktober 1969 zum 20. Geburtstag der DDR eingeweiht. Der "Volkseigene Betrieb (VEB) Kulturpark" war der einzige ständige Rummelplatz. "Hier konnte man Sachen fahren, die es anderswo nicht gab, weil sie aus dem Westen kamen", weiß Flade, der mit seiner etwas zu klein geratenen roten Weste vor den Besuchern steht. Die Weste ist ein Original, die letzte, die vom Spreepark übrig geblieben ist. Nach der Wende fiel der Park in die Zuständigkeit des Berliner Kultursenats, der dort einen "Freizeitpark nach westlichem Vorbild" errichten wollte und einen Betreiber suchte. Den Zuschlag erhielt die Spreepark GmbH von Pia Witte.
Von den Attraktionen der DDR blieb nach dem Neuanfang nicht viel erhalten. Neben dem Wahrzeichen - dem Riesenrad - sind es nur noch die Eingangshäuschen - und die Toiletten. Rund 40 Millionen D-Mark investierte Witte in den ersten Jahren: Schiffschaukel, Familienachterbahn, Loopingbahn. Der ehemalige Betonplatz, auf dem der Rummel stand, wich Seen und Grünfläche.
Besucherzahlen gingen zurück
Nach den Umbauten wurde der Plänterwald jedoch Landschaftsschutzgebiet. Auf einen Schlag durften zum Beispiel die Parkplätze nicht mehr genutzt werden. Die Besucherzahlen gingen immer weiter zurück. 2001 zog Pia Witte einen Schlussstrich und stellte den Betrieb ein. Die Spreepark GmbH ging in die Insolvenz. Neue Investoren haben sich seitdem nicht gefunden. Der Schweizer Erich von Däniken, Bestsellerautor von Büchern über Außerirdische, blitzte mit seinem Versuch ab, auf dem Gelände einen Ufo-Landeplatz zu errichten.
Der Park wird sich selbst überlassen
Der Park ist nun mehr oder weniger sich selbst überlassen. Der Besucher streift an vielen Stellen durch dichten Wald. Die Natur erobert sich die Fläche zurück. Wären da nicht immer wieder diese skurrilen Reste des Parks: Schwanenboote stehen verlassen an einem See, mittlerweile wuchert Gras in ihnen, verfallene Imbissbuden tauchen am Wegrand auf, hin und wieder stolpert man über Schienen eines Fahrgeschäfts.
Etliche der ehemaligen Attraktionen sind einsturzgefährdet, auch die ehemalige Familienachterbahn. "Bitte nicht auf die Stufen steigen", warnt Flade die Teilnehmer der Führung. "Da bricht ein Brett nach dem anderen runter." Ein Blick nach oben zeigt in der Tat viele Löcher - und Rost. Ein Achterbahnwagen steht noch im Bahnhof zum Einsteigen bereit. "Da bin ick ooch mitjefahren", sagt eine Frau zu ihrer Tochter. Beliebtes Fotomotiv ist das Drachenmaul, durch das früher die Bahn in einem Tunnel verschwand.
Die Brücke mitten im Wald ist eine Film-Attraktion
Toppen kann das nur noch das Riesenrad und eine unscheinbare Brücke mitten im Wald. "Keine Ahnung, warum die so beliebt ist", sagt Flade. Immer wieder fragen Fernseh- und Kinoproduzenten an und wollen an der Brücke eine Szene drehen. Überhaupt ist der Park eine beliebte Kulisse geworden. "Der Playboy ist mittlerweile Stammgast bei uns." Immer wieder räkeln sich leicht bekleidete Damen im Park - vorzugsweise auf den Dinosauriern, von denen die meisten mittlerweile umgestürzt sind, beim T-Rex fehlt ein Teil des Schwanzes. Flade bezeichnet den Spreepark als sein Hobby. Als Kind war er oft hier. "Da habe ich immer meine Eltern genervt, die wollten endlich mal woanders hin", erzählte er.
Ohne Führung dürfen Besucher nicht auf das Areal. Doch daran halten sich nicht alle. "Der Wachschutz greift pro Tag rund 500 Einbrecher auf", erzählt Flade. Die meisten davon sind über den Zaun geklettert. Bis vor wenigen Jahren hatten sie leichtes Spiel. Dreimal am Tag kam ein Sicherheitsdienst für jeweils eine halbe Stunde. "Die Zeiten standen sogar im Internet." Doch mittlerweile hat Pia Witte einen eigenen Dienst eingestellt, der ständig vor Ort ist und die Einbrecher zur Anzeige bringt. "Wir finanzieren wahrscheinlich ein paar Planstellen bei der Polizei", scherzt Flade.
Ein ganzes Fahrgeschäft ist verschwunden
Einige Einbrecher haben ganze Arbeit geleistet: Eines Nachts verschwand ein Autoscooter - "nein, nicht nur ein Wagen, ein ganzes Fahrgeschäft", sagt Flade. Auch der beliebte Till-Eulenspiegel-Brunnen wurde geklaut. Ein Schwanenboot tauchte mehrere Monate nach dem Diebstahl in Mecklenburg-Vorpommern wieder auf. Fast alle Kupferkabel wurden aus dem Boden gerissen. Mit einigen Einbrechern hat der Sicherheitsdienst aber auch Mitleid: Vor ein paar Monaten griff er eine 90-Jährige auf, die im Riesenrad festsaß. "Das war früher so schön hier", entschuldigte sie sich. "Ich wollte einfach noch mal."
Doch auch das Riesenrad ist schon lange nicht mehr fahrtüchtig. Die Mehrzahl der Kabinen ist kräftig verzogen, Winter und Wetter haben ganze Arbeit geleistet. Das zeigt schon ein Blick aus der Ferne. Immer wieder passiert es aber, dass ein paar wagemutige Einbrecher es dennoch nicht lassen können und in eine Gondel steigen. Es ist auch zu verlockend: Da das Riesenrad nicht blockiert werden darf, dreht der Wind die Gondeln immer weiter. "Nur zu blöd, dass meist dann Flaute eintritt, wenn die Gondel ganz oben ist", so Flade, "da mussten wir schon viele retten."
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Wie geht es nun mit dem Park weiter? Anfang Juli wurde eine Zwangsversteigerung des Erbbaurechts gestoppt. Frühestens in einem halben Jahr ist der nächste Termin angesetzt. Mindestens so lange macht auch Christopher Flade mit seinen Führungen weiter. (dpa)