Berlin.. Teilen der weltbekannten East Side Gallery in Berlin droht der Abriss. Arbeiter haben am Donnerstag auf einer Länge von mehr als 20 Metern die Oberkante des bemalten original erhaltenen Betonwalls abgerissen, der einst die Stadt teilte. Grund ist ein umstrittenes Bauvorhaben.
Zu Hunderttausenden strömen die Touristen jedes Jahr zum längsten noch
erhaltenen Stück Mauer in Berlin: der East Side Gallery an der Spree.
Sie wollen eine Ahnung davon bekommen, wie sich die Teilung der Stadt von 1961
bis 1989 anfühlte. Und sie wollen die weltberühmten Bilder wie den "Bruderkuss"
sehen, die Künstler 1990 auf die Betonwand malten. Doch das rund 1,3 Kilometer
lange Mauerstück ist längst nicht mehr so dicht wie früher. An mehreren Stellen
klaffen Öffnungen, um Zugänge zur Spree zu ermöglichen. Nun sollen zwei weitere
Schneisen hineingeschlagen werden.
Die geplanten neuen Öffnungen haben mit Bauprojekten zu tun. Bei dem
einen geht es um den Wiederaufbau der Brommybrücke. Diese verband bis 1948 die
beiden durch die Spree getrennten Stadtteile Friedrichshain und Kreuzberg. 2005
beschloss der Senat, die Brücke wieder zu errichten. Stadtentwicklungssenator
Michael Müller (SPD) strich kürzlich zwar den Autoverkehr aus der Planung und
widmete sie zu einer Brücke für Fußgänger und Radfahrer um, doch gebaut werden
soll sie auf jeden Fall.
"Zurzeit verbindet nur die Oberbaumbrücke die Stadtteile", begründet
der Bürgermeister des Bezirks, Franz Schulz (Grüne), das Vorhaben. Die Brücke
würde direkt in einen kleinen Park führen. Allerdings käme sie auch einem
weiteren Bauprojekt zugute, das Schulz als "ärgerlich" bezeichnet.
East Side Gallery von "meist abgelehntestem Bauvorhaben" bedroht
Hinter der East Side Gallery sind nämlich
auch ein 14-stöckiges Hochhaus und daneben ein Wohnblock geplant - laut Schulz
das "meist abgelehnteste Bauvorhaben" im Bezirk. Genehmigt worden waren die
Pläne noch vor der Bezirksfusion 2001 vom Bauamt des inzwischen abgeschafften
Bezirks Friedrichshain. Beide Bauwerke verlangen ebenfalls nach einem
Durchbruch, der wenige Meter neben jenem für die Brommybrücke in die Mauer
gehauen soll.
Doch es regt sich Protest. "Wir sind gegen die geplante Öffnung",
sagt Kani Alavi, einer der Künstler von der East
Side Gallery und
Mitglied des Vereins, der sich um den Erhalt des Mauerstücks kümmert. "Die
Authenzität des Orts ist in Gefahr", sagt er. Durch die Durchgänge finde eine
"Verfälschung" statt.
Alavi will mit dem Verein notfalls gegen die Öffnung der Mauer
klagen, denn er sieht darin auch die Urheberrechte der Künstler verletzt, die
die Bilder anbrachten. Vor vier Jahren hatten sie ihre in die Jahre gekommenen
Werke restauriert, so dass die East Side Gallery 2009 zum
zweiten Mal feierlich eröffnet werden konnte. "Wir müssen die Mauer für künftige
Generationen bewahren, denn das Wissen über die Geschichte geht verloren", sagt
Alavi.
Mauer-Stück gehört zu den "Top-Sehenswürdigkeiten" von Berlin
Die offiziellen Berlin-Werber von Visitberlin stimmen dem insofern
zu, dass die East Side Gallery für die
Besucher der Stadt von großer Bedeutung ist. Sprecherin Katharina Dreger nennt
die Mauer eine "Top-Sehenswürdigkeit". Für den Berlin-Tourismus sei es wichtig,
dass "geschichtsträchtige Orte" wie die East Side Gallery "weiterhin
erlebbar bleiben", erklärt sie. Wenn die Mauer immer wieder durch Lücken
unterbrochen sei, falle dieses Nachempfinden schwer.
Laut Schulz will das Landesdenkmalamt dafür sorgen, dass zumindest
keines der East-Side-Gallery-Bilder
auseinandergerissen wird. Die herausgetrennten Segmente sollen im Park hinter
der Mauer aufgestellt werden. Und für die Rückseite des Mauerstücks gibt es auch
Pläne. Diskutiert wird derzeit ein Projekt namens "West Side Gallery". Der
Fotograf Kai Wiedenhöfer möchte auf der Mauerseite, die der Spree zugewandt ist,
großformatige Fotos von den "Grenzen der Welt" anbringen, wie der
Bezirksbürgermeister berichtet.
Probeweise wurden schon Bilder unter anderem aus Nordirland und
Mexiko gezeigt. Diese seien sehr "beeindruckend" gewesen, sagt Schulz, der die
Westseite noch sehr gut aus Mauerzeiten kennt. Von seiner Wohnung in Kreuzberg
blickte er damals auf die deutsch-deutsche Grenze mit Volkspolizisten und
Todesstreifen. "Das sind Bilder, die man nie vergisst", sagt er. (afp/dpa)