Kairo. Nur noch ein Bruchteil der Touristen zieht es nach dem Arabischen Frühling nach Ägypten. Der Machtkampf infolge des Sturzes von Mubarak verschreckt viele. Doch das Land ist groß und außerhalb Kairos hat sich für Touristen nicht viel verändert.
Wir sind im Dunkeln angekommen. Morgens dann auf der Terrasse des Appartements im Citadel Azur Resort nahe Hurghada stockt mir der Atem vor so viel Schönheit. Das Meerwasser funkelt wie ein Juwel, der warme Wind bläst die heimische Kälte aus dem Kopf. Es ist Hauptsaison in den ägyptischen Ferienzentren am Roten Meer, normalerweise treibt der europäische Winter Touristen in Scharen in die Hotels. Doch zurzeit sind sie nur zu 85 Prozent ausgebucht, gekommen sind vor allem Russen. Die Deutschen sind verhalten – trotz günstiger Preise.
Ägyptens Tourismus, zweitwichtigste Milliarden-Einnahmequelle des Landes nach dem Suez-Kanal, ist in der Krise. 2010, vor der arabischen Revolution, zählte es die Rekordzahl von 15 Millionen Urlaubern, darunter eine Million Deutsche. Davon sind nun, zwei Jahre nach dem „arabischen Frühling“, noch rund 850.000 deutsche Touristen übrig geblieben. Die Gesamtzahl sank auf unter zehn Millionen.
Inflation macht Ägyptern zu schaffen
Doch vom Machtkampf, der seit dem Sturz des Diktators Mubarak für Unruhen in Kairo, Alexandria oder Port Said für Negativ-Schlagzeilen im Ausland sorgt, bekommt man als Tourist nichts mit. Auch nicht von der Inflation, die das karge ägyptische Durchschnittseinkommen – unter 100 Euro im Monat – frisst. Handwerker hocken auf Bürgersteigen und warten auf Aufträge. Die Ärzte streiken seit Monaten, behandeln nur gegen Bares, die Lehrer unterrichten Privatschüler auf Kosten der schulpflichtigen Kinder.
Alltours-Chefreiseleiterin Michaela Schmalvogl, die in Hurghada lebt, erzählt uns, dass man für einen ägyptischen Kollegen gesammelt hat, der kein Geld für die Behandlung seines Gehirntumors hatte: „Wie arme Ägypter unter diesen Umständen leben – ich weiß es nicht“, sagt sie.
Alltag bei Touristen
Für die Urlauber in den bewachten Hotelanlagen jedoch geht alles seinen entspannten Gang. Das Meer ist zum Schnorcheln warm genug, die Fische sind bunt und die Korallen intakt. Höfliche junge Männer kehren den Strand, der Zimmerservice faltet meinen Pyjama zu einem Seestern und steckt mir jeden Tag eine neue Hibiskusblüte in die Vase. Alle sind froh, Jobs zu haben, mit denen sie Großfamilien ernähren.
150.000 Einwohner hat Hurghada, die zu 95 Prozent vom Tourismus leben. Sogar die Wüste haben sie dafür eingespannt. Ein Jeep bringt uns ins Nichts aus ockerfarbenem, groben Sand, flirrender Sonne und schwarzen Felsen. Dann geht es auf Quads weiter, zur Belohnung nach dem Höllentrip gibt’s Süßigkeiten und Obst. Wie weit ist das reale Abenteuer aus Schlaglöchern samt durchgerüttelten Bandscheiben doch weg von den Fernsehbildern der Krawalle auf dem Tahrir-Platz in Kairo. „Das ist ja das Problem“, sagt Reiseführer Mutarda. „Hier sind keine Unruhen und hier waren nie welche. Ägypten ist groß. Und Kairo weit weg!“
Das Entsorgungssystem in Kairo ist kollabiert
Wie weit, erfahren wir am nächsten Tag. Eine Stunde Flugzeit braucht der Flieger für 480 Kilometer, um uns vom Roten Meer in die Megametropole zu bringen. Karim, unser Kairo-Guide mit dem hinreißenden Akzent, gibt sich viel Mühe, uns die „Schokoladenseiten“ der ägyptischen Hauptstadt schmackhaft zu machen – was nicht einfach ist. Er versucht vergeblich, uns vom Fotografieren der Müllberge abzuhalten, die die Zufahrtsstraße zu den Pyramiden säumen. Das Entsorgungssystem der Stadt ist irgendwie kollabiert.
An den Pyramiden – immerhin das letzte der antiken Weltwunder – ist wenig los. Umso mehr kämpfen Pferde-, Kamelführer und Andenkenverkäufer ums Überleben. Einer von ihnen hat mich mit Geschwätz von der Gruppe getrennt, so, wie es ein Wolf mit einem Schaf machen würde. Entnervt gebe ich freiwillig zehn Euro – für irgendwelchen Schund. Der junge Mann trägt zerfetzte Schuhe und hat bereits Zahnlücken. Er freut sich. Der Falsche ist er sicher nicht.
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Kairo macht uns verwöhnte Westeuropäer mit TÜV-Plakette am Auto und Trinkwasser aus dem Hahn demütig – ein 20-Millionen-Moloch mit Babywäschebergen vor scheibenlosen Hochhausfenstern, mit Baracken aus Plastikplanen, mit Abgasen, Lärm und Gestank. Mit winkenden Kindern am Straßenrand, feixenden jungen Burschen, hübschen Frauen in langen Kleidern, die sich geschmeidig an fahrenden Autos vorbeischlängeln. Unser Bus fährt über die El-Tahrir-Brücke Richtung Tahrir-Platz. „Alles ruhig“, sagt Karim: „Freitag nur ein bisschen Demonstration. Nur 100.000 Leute...“. Wir passieren das ausgebrannte Gebäude der Partei des gestürzten Diktators Mubarak und biegen in den Tahrir-Platz ein, der ägyptische Geschichte geschrieben hat. Der Verkehr braust um die verlassenen Zelte der Protestler und TV-Reporter. Drei Millionen Demonstranten quetschten sich hier auf dem Platz und in den Straßen zusammen.
Auf der Jagd nach dem Flug
Wir steigen aus, gehen um die Ecke ins „Felfella“, speisen Sesampaste, Lamm und Huhn wie die Einheimischen und geraten auf der Rückfahrt in einen der üblichen Staus. Karim nimmt die Gelegenheit wahr, seinen Ärger über die Moslembrüder loszuwerden: „Sie haben keine Ahnung vom Regieren!“ Was passiert, wenn die Islamisten die Wahlen im April erneut gewinnen, darüber möchte er nicht spekulieren. Außerdem, Inshallah, müssen wir unser Flugzeug bekommen. Eigentlich müsste sich doch der Stau längst aufgelöst haben. Plötzlich bricht im Bus Hektik aus. Die ägyptischen Handys klingeln ohne Unterlass. Der Bus quält sich weiter. Fahrer Malik wischt sich Schweiß von der Stirn.
Wir haben es schließlich geschafft, dank Maliks unorthodoxer Fahrweise, seiner Hupe, eines Schleichwegs und Beziehungen zum Flughafenpersonal. Später haben wir erfahren, dass US-Außenminister John Kerry in Kairo zu Besuch war. Es gab Straßensperren und die eine oder andere Straßenschlacht – ganz in der Nähe. Gemerkt haben wir nichts.