Essen. Wer hätte es nicht gern - ein Kostüm von Prada oder einen Anzug von Gucci. Doch für den Ottonormalverbraucher sind die teuren Designer-Stücke meist unerschwinglich. In Thailands Hauptstadt Bangkok bieten unzählige Schneider ihre Dienste an und fertigen für wenig Geld maßgeschneiderte Unikate.
Im noblen Siam Shopping Center trifft man sie alle: Ermenegildo Zegna, Gucci, Hermes, Prada – große Namen mit genau so überdimensionierten Preisen. Draußen, in den kleinen Gassen des quirligen Stadtteils Pathum Wan, bieten wie überall in Bangkok die kleinen Schneider ihre Dienste an. Längst hat es sich herumgesprochen: Das sündhaft teure Traummodell, mit dem I-Phone klammheimlich in der Nobelboutique abfotografiert, wird hier als Unikat für einen Bruchteil des Preises nachgenäht. Klingt verführerisch. Doch Vorsicht ist geboten.
Geschätzte 10.000, gefühlt Millionen, Schneider haben sich in Thailands Hauptstadt darauf spezialisiert, maßgeschneiderte Ware an die Frau und den Mann zu bringen. Einfach fällt die Wahl des richtigen Kürschners nicht. Anders als in Restaurants oder Hotels hat sich niemand die Mühe gemacht, Sterne zu vergeben. In Internetforen haben sich Heerscharen von enttäuschten und verunsicherten Ex-Kunden Luft gemacht. Eine Erkenntnis daraus: Zeit ist Geld und Geiz auf keinen Fall sexy.
Stilberatung ist obligatorisch
Bei dem Angebot „ein Anzug und drei Hemden für umgerechnet 100 Euro“ sollte man skeptisch werden. Im Zweifel sieht man hinterher schlechter aus, als wenn man sich von vornherein für ein Massenprodukt für 60 Euro von der Stange entschieden hätte. „Bei mir kostet eine maßgeschneiderte Hose 4500 Baht (110 Euro)“, sagt Butrsiri U-Krist. Je nach Stoffqualität kann‘s auch noch teurer werden. Der 70-Jährige hat vor 26 Jahren einen Shop in der Einkaufspassage des noblen Shangri-La Hotels eröffnet. Seit 50 Jahren arbeitet er in der Branche.
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U-Krist versucht zunächst zu ergründen, welchen Stoff sein Kunde wünscht. Seide, Baumwolle, Kaschmir? Danach geht‘s darum, bei welchem Anlass das gute Stück vorgeführt werden soll. Hochzeit, schlichter Business-Dress, mondänes Abendkleid oder hipper Party-Look? Kataloge dürfen gewälzt werden, Fotos akzeptiert U-Krist ebenfalls, kleine Änderungen im Detail machen dem Meister kein Problem. Diffiziler wird‘s, wenn es an die Auswahl der Farbe geht. „Sie muss zum Typ passen“, sagt er. Eine Stilberatung sei bei guten Schneidern obligatorisch.
Mindestens zwei Anproben
Sind diese Grundsätzlichkeiten geklärt, wird Maß genommen. Zu mindestens zwei Anproben bittet U-Krist seine Kunden in den nächsten Tagen. Er und sie selbst sollen sicher sein, dass das gute Stück passgenau sitzt. Dass der Rock nicht an unvorteilhaften Stellen Fältchen wirft, die Hose kein Hochwasser hat. In 24 Stunden, wie es Touristen oft von Straßenhändlern angeboten bekommen, ist sein Werk nicht vollendet. „Wenn‘s wirklich schnell gehen muss und ich habe wenig zu tun, schaffe ich ein Kostüm oder einen Anzug in zwei Tagen“, sagt er. Viel lieber nimmt er sich mehr Zeit. Vier Tage sind eine Anzugdimension, in der er gerne denkt.
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U-Krist sind keine Tipps zu entlocken, wie ein dem Kaufrausch verfallener Tourist einen seriösen Schneider in der riesigen Schar von alten Singer-Nähmaschinen malträtierenden Thais finden kann. Er lächelt nur und lädt ein zu einem Rundgang durch sein Büro. Hier hängen unzählige Fotos seiner Kunden, eine illustre internationale Gesellschaft. „Allesamt Wiederholungstäter“, erklärt er nicht ohne Stolz. Und fügt dann hinzu: „Ich arbeite in der Einkaufspassage eines Fünf-Sterne-Hotels. Ich kann es mir gar nicht erlauben, meine Kunden zu enttäuschen.“
Keine offizielle Qualitätskontrolle
Was er konkret damit meint, erklärt Maggie Garcia, eine Managerin des Shangri-La, später. „Wir achten auf die Qualität“, sagt sie. Jeder Kunde, auch wenn er nicht Gast des Hotels ist, könne sich bei Problemen an das Management wenden. Das sei in allen großen Hotels Thailands so geregelt. Denn eine Qualitätskontrolle gibt es offiziell nicht.
Schnäppchenjäger, die beim erst-besten Straßenhändler ihre neue Billigkollektion nach Maß ordern, sollten bedenken: Wenn sich das gute Stück nach der ersten Wäsche zu Hause auflöst, haben sie kaum Möglichkeiten zur Reklamation. Ganz schlecht ist auch die Idee, aus Zeitmangel den neuen Anzug vor Ort zu bezahlen und später nachschicken zu lassen. Anzahlungen sind obligatorisch, der Großteil des ausgehandelten Preises sollte aber immer erst nach Empfang und abschließendem Check des Tragekomforts bezahlt werden.