Ingelheim. Die Winzer in Rheinhessen lassen sich einiges einfallen, um ihre Urlauber zu unterhalten. Touristen können Wein nicht mehr nur trinken, sondern bei Wanderungen durch den Weinberg und Weinverkostungen erleben. Auch Sportangebote locken die Urlauber in die weinregionen Rheinhessens.
Der Name lässt Böses ahnen: Steilhang! Die zehnköpfige Wandergruppe muss kurz verschnaufen. Ist es noch weit? Auf dem Programm stand "Geführte Weinwanderung mit Weinverkostung".
Also im Weinberg, das Ausgangsprodukt - die Traube am Weinstock - immer im Blick. Und dann das. Die Sonne brennt. Und der Weg hoch zum Roten Hang zwischen Nierstein und Nackenheim ist kein Spaziergang. "Die Tour ist wunderschön, aber doppelt anstrengend", sagt Guide Louis Guntrum vom Verein "Wein vom Roten Hang e.V." und lacht. "Hin, weil es den Hang hoch geht. Und runter, weil dazwischen die Weinprobe liegt."
Der Ausblick entschädigt für die Anstrengung
Nach eineinhalb Stunden ist es geschafft. Am Aussichtspunkt lässt der Blick jede Anstrengung vergessen: Am Horizont zeigen sich der Taunus und die Hänge des Odenwalds. Selbst die 30 Kilometer entfernten Hochhäuser der Frankfurter Skyline sind zu erkennen, was nicht oft und nur an sehr schönen Tagen vorkommt. Im Tal macht der Rhein einen großen Bogen.
Es ist das markanteste Stück Rheinufer zwischen Basel und Mainz. Die Ton- und Schieferböden sind glutrot gefärbt. Und, nicht zu vergessen: Der Riesling steht für die Wanderer bereits gekühlt auf dem Tisch. Die Wanderer, die sich an diesem Sonntag zusammengefunden haben, stehen auf einem der vielversprechendsten Riesling-Terroirs der Welt. Das Oberflächengestein dort ist 280 Millionen Jahre alt.
"Mann ist das schön", entfährt es einem aus der Gruppe, ein Pfälzer, der ein verlängertes Wochenende in Rheinhessen verbringt. Er holt sein Fotohandy aus der Tasche und knipst. Der Rest der Gruppe hält bereits die Nase ins Glas. "Was haben wir?" "Einen 2010er Riesling vom Niersteiner Ölberg. Da kommt der feinfruchtige und mineralische Einfluss der roten Böden des Hangs gut zur Geltung", sagt Louis Guntrum vom gleichnamigen Weingut aus Nierstein. Die Wanderer kosten, nicken anerkennend. Die Stimmung wird mit jedem Glas ausgelassener.
Wandern durch ein Meer aus Reben, Radtouren oder E-Biken von Winzerhof zu Winzerhof, Weinlesungen und Stadtführungen mit "Kultur- und Weinbotschaftern" durch uralte Weindörfer - die Weinregionen lassen sich inzwischen einiges einfallen, um Weinliebhaber zu sich zu holen. Jüngstes Beispiel: Das Deutsche Weininstitut und die regionalen Gebietsweinwerbungen haben dieses Jahr erstmals in allen 13 deutschen Anbaugebieten die "Schönste Weinsicht 2012" gewählt. Dabei handelt es sich um besonders spektakuläre Blicke in die Weinlandschaft hinein. Vor Ort weist eine drei Meter hohe Stele des Mainzer Künstlers Ulrich Schreiber auf die Aussicht hin. Die "Schönste Weinsicht 2012" in Rheinhessen: die Weinberge am Roten Hang mit Rhein, Nierstein und Hessisches Ried.
Wein erleben, nicht nur trinken
Weinliebhaber wollen den Wein längst nicht mehr nur trinken, sondern körperlich erleben: Sehen, wo er wächst, wie er gekeltert wird, wo er lagert, wer dafür verantwortlich ist und welche Hülle das alles umgibt. Und daher schaffen Winzer ein touristisches Angebot. Davon profitiert die ganze Region, wie Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut in Mainz vorrechnet: "In Franken bringt der Tourismus das Zehnfache an Einnahmen zusätzlich zum Wein ein.
Konkret heißt das: Die 300 reinen Weindörfer und die rund 1000 Dörfer, die mit Weinanbau zu tun haben, bringen 160 Millionen Euro Umsatz im Weingeschäft. Dem stehen 1,6 Milliarden im fränkischen Weintourismus gegenüber." Auch in Rheinhessen hat sich das inzwischen herumgesprochen. Man tut was. Etwa mit dem "Best of Wine Tourism Award", den das Netzwerk der Great Wine Capitals ausrichtet, dem auch Mainz und Rheinhessen seit 2008 angehören. Es zeichnet Winzer-Betriebe aus, die sich aufgrund ihrer Architektur, ihrer Gärten und Parks, ihrer Weingewölbe oder ihrer Weingastronomie besonders hervortun.
Einer der Gewinner 2012: das Weingut Riffel in Bingen-Büdesheim. Ingrid Weigerding von Rheinhessen Tourismus sagt: "Rheinhessen ist zwar das größte Weinanbaugebiet Deutschlands. Im Vergleich zur Pfalz oder zu Franken ist es touristisch gesehen aber noch ein Geheimtipp. Unsere Winzer haben im Schnitt sechs Zimmer, nicht mehr. Da geht es familiär zu." Wie etwa der familiengeführte Espenhof der Familie Espenschied in Flonheim-Uffhofen, mit ihren neun Gästezimmern.
Architektonische Besonderheiten: Trulli und Kuhkapellen
In der Nähe des Espenhofs findet sich etwas, das Deutsche aus Italienurlauben kennen, nicht aber am Rhein vermuten: Trulli. Das sind Weinberghäuschen aus dem 18. Jahrhundert, die als Unterstand und Geräteschuppen dienen. Einige haben die Form apulischer Häuser. Sie wurden von süditalienischen Gastarbeitern erbaut, die in den Kalksteinbrüchen dort beschäftigt waren.
Eine weitere architektonische Besonderheit Rheinhessens: die Kuhkapellen. Nach der Säkularisation wurden Klöstern und Kirchen zu Viehställen. Das brachte den pfälzischen Maurermeister Franz Ostermayer um 1830 auf die Idee, Kuhställe aus Stein mit Kreuzgewölben zu bauen. Die Maurermeister der Umgebung gingen bei ihm in die Schule. So entstanden etwa 200 feuersichere und prestigeträchtige Kirchsäle für Kühe. Heute veranstalten Winzer in den ehemaligen Kuhrefektorien Konzerte, Ausstellungen und Weinproben. (dapd)