Kaub. .

Ein Wels gründelt im Rhein. Direkt vor Kaub. Seit Ewigkeiten schon. Drei bis vier Meter lang sei er. 300 Kilogramm schwer. Bestimmt. Alle Angler seien scharf auf ihn. Aber fangen lasse er sich nicht, erzählt ein Kauber der staunenden Runde am Weintisch. Ist‘s wirklich wahr? Vielleicht ist es Seemannsgarn? Sein erstes Glas Wein ist es nicht.

Die Gäste prosten sich zu. Hinter den bleiverglasten Spitzbogenfenstern der historischen Weinstube entrückt die Außenwelt. 500 Jahre hat das Haus am Marktplatz auf dem Buckel, das älteste in Kaub und eines der urigsten am Mittelrhein.

Ein wuchtiger Fachwerkständer trägt das Gebälk, rußgeschwärzt vom uralten, noch funktionstüchtigen Backofen der früheren Bäckerei. Krumm und schief sind die Schieferwände. Altmodisch ist die wohnliche Weinstube, die Atmosphäre so als besuche man den Wirt persönlich. Und wie einst Knecht und Magd schläft es sich ziemlich stilecht in den Gesindekammern unterm Dach.

Mal abgesehen von den Zügen, die in schnellem Takt durchs Welterbe Rheintal donnern, geht es in Kaub ruhig und beschaulich zu. Eingezwängt zwischen Fluss, Bundesstraße, Bahntrasse und Felsen bleibt dem Städtchen wenig Platz. Schiefergedeckte Häuser drängen sich dicht an dicht. Einzig der hübsche Marktplatz mit der seltenen evangelischen und katholischen Doppelkirche bietet Raum.

Der alte Feldmarschall ist in Kaub in aller Munde

Seitdem der Rheinsteig bergauf, bergab von Wiesbaden bis Bonn führt, machen zahlreiche Wanderer von Lorch oder St. Goarshausen kommend in Kaub Station. Ein Grund, warum die funkelnagelneue Rheinsteig-Jugendherberge im historischen Gemäuer aufwendig restauriert wurde: topmodern und schick wie ein Nobelhotel kommt sie daher. Und mit Blick auf die trutzige Zollburg Pfalzgrafenstein inmitten des Rheins.

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Etwa 900 Einwohner sind der winzigen Stadt heute geblieben. Ihr Ruhm ist verblasst, nicht vergessen. Nach wie vor ist der alte Feldmarschall Blücher in aller Munde. Blücherstraße, Blücherbach, Blücherdenkmal, Blüchermuseum und Blücherwurst erinnern an seine spektakuläre Rheinüberquerung 1813/14.

Sie machte Kaub mit einem Schlag europaweit bekannt: Etwa 50 000 Soldaten, 15 000 Pferde und 180 Geschütze wälzten sich ab Silvester tagelang über 71 schwankende Pontons zur rettenden Pfalzinsel. Dann weiter auf die damals französische Rheinseite, dem flüchtenden Napoleon und seiner Armee hinterher.

Der Krieg solle nicht romantisiert, Heldentum nicht glorifiziert werden, erklärt das derzeit noch geschlossene Blüchermuseum. Dennoch: Ganz ohne Militär geht in Kaub nichts. Ein Laden verkauft historische Waffen. Gegenüber sind hinter trüben Scheiben Minipanzer zu bewundern. Und auf dem Marktplatz stehen Kanonen bereit. Was wäre Kaub ohne Blücher?

Es kriselt am Mittelrhein

Der Schieferabbau und das Lotsenwesen sind seit den 1970/80ern endgültig Geschichte. Was nun? Welterbe, Rheinsteig und Jugendherberge können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in Kaub, wie überhaupt am Mittelrhein, kriselt. Zahlreiche Häuser und Geschäfte stehen leer. Junge Menschen wandern ab. Es fehlt an neuen Ideen und Initiativen. Manch altes Haus hätte eine liebevolle Hand nötig. Selbst historische Gebäude verkommen. Mitunter hapert es an Kleinigkeiten wie aktueller Beschilderung oder wohltuender Begrünung.

Wanderer wundern sich, wo eigentlich die für den Rhein typischen Weinreben geblieben sind. Einst mühevoll angelegte Mauern und Mäuerchen verfallen, Weinbauterrassen verbuschen. Die Handarbeit an den Steilhängen lohnt sich für Winzer einfach nicht mehr. Nur noch in allerbesten Südlagen wächst Wein. Einzig in Lorch versucht ein Winzer bequeme Querterrassen mit Wein zu bebauen. Vielleicht ist das eine Lösung.

Derlei Sorgen kennt „Bennos Truck Stop“ in Kaub nicht: Für Trucks sind die Rheinuferstraßen schon lange gesperrt. Dafür halten an dem originellen Imbiss ganze Trupps echter Kerls mit schweren Maschinen: Harleys, Hondas, Kawasakis. Aus den Lautsprechern dröhnt Rockmusik, unterbrochen von: „Thomas, das Essen ist fertig!“ Über der Theke hängt eine alte Honda. Benno steht am heißen Herd und schaufelt Riesenportionen auf Riesenteller. „Das schaffst du“, versichert er, falls ein Gast mal zögern sollte.

Düsenjets im Tiefflug

Ein Güterzug rattert vorbei. Gespräche verstummen. Kein Wort ist mehr zu verstehen. Jeder hält inne, das Ende des langen Zuges abwartend. Last- und Ausflugsschiffe tuckern dagegen gemächlich rheinauf- und rheinabwärts. Zu allem Überfluss rasen zwei junge Männer mit Jet-Skis am Kauber Ufer hin- und her und lassen übermütig die Motoren aufheulen. Kann dieser Lärm noch getoppt werden? Er kann.

Wie aus dem Nichts tauchen zwei Düsenjets auf, jagen im Tiefflug durch das enge Mittelrheintal, als wollten sie das Welterbe mitsamt der Pfalz im Rhein in die Luft sprengen.

Unbeirrt pendelt die Personenfähre zum Pfalzgrafenstein. Der Fährmann beruhigt die Fahrgäste: „Tiefflieger hatten wir schon lange nicht mehr.“ Nach kurzer Überfahrt stolpern die Besucher über die Felseninsel. Muscheln liegen am Ufer. Kinder waten im Wasser, schaukeln unter riesigen Weiden. Am einzigen Sandstrand lagern Sonnenhungrige. Es riecht nach Flusswasser – und nach Urlaub.

Blick durch die Schießscharten auf den Fluss

Ein Rundgang durch die gegen alle Hochwasser gewappnete ehemalige Zollstation von 1326 muss sein. Überall Ausblicke auf den in der Sonne funkelnden und schillernden Fluss. Man schaut durch die Schießscharten der überdachten Wehrgänge und aus den Verteidigungserkern für Geschütze. Man genießt vom dicken Turm den besten Überblick auf Europas verkehrsreichste Großschifffahrtsstraße.

Nur bei niedrigem Wasserstand ist die nächste einsame Insel über einen langen holprigen Steindamm erreichbar. Gleich an der Spitze lädt ein Plätzchen mit einer Bank, einer Schaukel und einer Fahne ein. „Hiehoggediedodieimmerhogge“ ist auf der Bank zu lesen. Offensichtlich finden Einheimische hier, wenn schon keine Ruhe, so doch ihren Frieden.