Zwischen Lorch und Kaub wurde einst ein Freistaat gegründet. Damit kokettiert die Region noch heute

Es ist der wohl kurioseste Vermessungsfehler in der deutschen Geschichte, noch vor dem Zahlendreher aus den Sechziger Jahren, der den Rhein um 90 Kilometer verkürzte.

Im Jahr 1919 besetzen die amerikanischen und französischen Siegermächte des Ersten Weltkrieges das Rheintal. Die Amerikaner sitzen in Koblenz, die Franzosen in Mainz – das Gebiet dazwischen wird in einem Radius von 30 Kilometern den jeweiligen Besatzern zugemessen, auch auf dem rechten Rheinufer. Was aber keiner der Generäle bemerkt: Bei dem Zirkelschlag auf der Landkarte war ein schmaler Streifen Land unberücksichtigt geblieben – ein Gebiet von gut zehn Kilometern Breite zwischen den Gemeinden Lorch und Kaub.

Das waren die Voraussetzungen für die Geburtsstunde eines eigenwilligen Freistaates. Zwischen den kleinen Orten Kaub und Lorch, mitten im idyllischen Mittelrheintal, gründeten die besatzerfreien Bürger den Freistaat Flaschenhals. Ein Gebilde mit eigener Verwaltung und Währung.

Den „Freistaat” können Touristen noch heute besuchen – und selbst offizielle Freistaat-Bürger werden – Pass inklusive. „Wir beziehen uns immer gerne auf Asterix”, schmunzelt Marco Barillaro, Campingplatzbetreiber und amtierender „Außenminister” von Flaschenhals. „Die Leute meinen, man wolle sie veräppeln.”

Doch die Geschichte ist echt, der Name kein Witz: Etwa 30 Kilometer weit reichte Flaschenhals ins Hinterland hinein, umfasste zehn Gemeinden und gut 8000 Menschen. Nach neuesten Schätzungen, die Hinterlandgemeinden mitgerechnet, sogar 17 000 Einwohner. Denen gingen bald die Augen auf, denn die Alliierten riegelten den Landstrich mit der Form eines Weinflaschenhalses hermetisch ab: Straßen dicht, Telegrafenlinien gekappt, Eisenbahnzüge hielten nicht mehr.

„Alles hatten uns die Feinde nehmen können. Eingekapselt hatten sie uns in den ,Flaschenhals' und keine Bewegungsfreiheit hatten wir", notierte der damalige Lorcher Bürgermeister, Edmund Pnieschek.

Als die Verwaltungen merkten, dass da ein Stück Land vergessen worden war, kam das Gebiet unter die Verwaltung der Amtsstadt Limburg. Pnieschek wurde mit der Amtsführung betraut. Er wird zum heldenhaften Organisator für das Überleben des Freistaates. Das war nicht leicht. Durch den Wald mussten neue Verkehrsschneisen gebahnt werden, Lebensmittel, Post und Dokumente mit Fuhrwerken über schlammige Wege von Limburg an den Rhein transportiert werden. „Wir hatten noch unseren Galgenhumor und unseren trefflichen Lorcher Wein. Der wurde zum Sorgenbrecher”, schreibt Pnieschek in seinen Erinnerungen. Die Freistaatler organsierten derart erfolgreich, so dass sie bald besser versorgt waren als die besetzten Gebiete ringsherum. Und: Der Freistaat wurde zum Schmugglerhort, durch den Waren unkontrolliert vom Rhein ins Hinterland und zurück gelangen konnten. „Es wurde geklaut und geschmuggelt”, weiß Barillaro. Auch mithilfe der Rhein-Lotsen durchs Binger Loch. Ganze Kohlenzüge entschwanden gar in den Flaschenhals.

Rheinland-Pfalz

Anreise: Mit dem Auto: A3 Richtung Köln, dann B49 Richtung Koblenz, weiter auf B42 Richtung Bad Ems, Schildern nach Dörscheid folgen, 230 Kilometer Fahrtzeit ab Essen: rund zweieinhalb Stunden.

Mit der Bahn: Aus dem Ruhrgebiet über Köln nach Koblenz. Mit Regionalzügen nach Lorch. Fahrtdauer etwa drei Stunden.

Kontakt: Freistaat Flaschenhals Initiative

06726/94 64

www.freistaat-flaschenhals.de

Rheinland-Pfalz Tourismus

0261/91 52 00

www.rlp-info.de

Das freie Treiben verärgerte die Franzosen derart, dass sie auf der anderen Rheinseite Scheinwerfer aufstellten. Da lief die Lorcher Jugend, so berichtet die Legende, ans Rheinufer und zog die Hosen runter...

1923 marschierten die Franzosen in den Freistaat ein, Pnieschek wurde verhaftet. Doch der Freistaat lebt weiter und vermarktet sich kokett: 1994 wurde zum 75. Jahrestag die Freistaat Flaschenhals Initiative (FFI) aus der Taufe gehoben. 13 Winzer und Gastronomen sind heute Mitglied, gemeinsam werden rund 50 Weine mit einem eigenen Freistaat-Etikett vertrieben. In Kaub gibt es sogar eine Vinothek. Ein Reisepass weist Patrioten auf Wunsch als offiziellen Freistaat-Bürger aus.

Für den roten Pass gibt es in verschiedenen Lokalen ein eigenes Vier-Gang-Flaschenhals-Menü. Der neue, grüne Pass beschert Inhabern Rabatte bei den Mitgliedsbetrieben. Bis Ende des Jahres kommt ein Museum hinzu, in einem alten Renaissancehaus, dem „Hilchenhaus” in Lorch. Kein Witz.