Nauta. . 4000 Kilometer legt der Amazonas von seiner Quelle bis zur Mündung zurück. Im Naturreservat Pacaya Samiria können Luxusschiff-Passagiere die reiche Pflanzen- und Tierwelt an seinen Ufern bestaunen: Papageien, Faultiere und seltene rosa Flussdelfine.
Er fühlt sich noch immer als Mann des Dschungels. Stolz zeigt er seine kurze Hose aus Bambus mit Zeichnungen darauf. Seine Hose von damals, bevor er mit 14 Jahren in die USA ging. Er erzählt von den Ritualen seines Heimatstammes, den er bis heute regelmäßig besucht. Doch er begleitet auch Touristen auf der Delfin II, einem Luxusschiff. Er zeigt ihnen die reiche Pflanzen- und Tierwelt links und rechts des Amazonas. „Ich liebe den Amazonas“, sagt Jesús Mesia, der Amazonas-Kenner, und fügt in perfektem englisch und spanisch hinzu: „Ich will die Menschen sensibilisieren für seine Schönheiten.“
Dann wendet sich der Regenwald-Experte wieder der Amazonaskarte auf dem Oberdeck des Schiffes zu, er erklärt die Route des Tages. Sein Zeigefinger wandert von der Hafenstadt Nauta zum Zusammenfluss des Rio Marañon und des Rio Ucayali, dort, wo der Amazonas entspringt und von hier 4000 Kilometer bis zu seiner Mündung zurücklegt, 700 davon in Peru.
Dschungeltypische Details in den Kabinen
Mit geübten Handgriffen lässt die Besatzung zwei Beiboote herunter, Life Jackets werden übergestreift und schon rauschen die Motorboote in die Weiten des Amazonas mit seinen vielen Seitenarmen im Naturreservat Pacaya Samiria. Zeit für die 16-köpfige Crew von Delfin II das Schiff für die 28 Passagiere wieder flott zu kriegen. Und nicht einfach nur flott. Dschungeltypische Details zieren die 14 Kabinen, den Essraum und das Oberdeck des Kreuzfahrtschiffes. Einfallsreiche Tischdekorationen und liebevolle Accessoires wie Kaimane oder Delfine aus Bambus schmücken Bett und Nachttisch. „Ein Wunsch von Señora Lizzy, der Eignerin des Luxusdampfers“, meint Wilson, Stewart und gute Seele des Schiffes.
Selbst das Dach des Oberdecks ist aus der Irapay Pflanze angefertigt. „Irapay hält die Luft auf dem Deck länger kühl“, bestätigt Wilson, der zugleich Musiker mit Herzblut ist. Abends nach dem Dinner heizen er und seine Kollegen, den Passagieren mit Charango und Samponya-Rhythmen ein.
Stimmung ist gut
Auch sonst ist die Stimmung in der reinen Männer-Mannschaft gut. „Wir vertrauen einander und helfen uns gegenseitig, sagt der 33-Jährige, der erst seit einem halben Jahr auf dem Cruiser mitfährt. Zuvor arbeitete er elf Jahre bei der Konkurrenz, der er „viel zu verdanken“ hat. Sein Ex-Chef entdeckte ihn als Straßenmusikant in Iquitos, der Hauptstadt der Amazonas-Provinz Loreto und brachte ihn aufs Schiff. Wilson nutzte seine Chance. Erst spielte er Musik, dann lernte er englisch und gewann die Herzen der Passagiere. Und jetzt hat er das „alte Holzschiff“ gegen ein neues eingetauscht. „Ist sicherer.“
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Auf Höhe des Yanayacu Flusses dringt das Schnellboot immer tiefer ins Naturreservat Pacaya Samiria ein. Drei Millionen Hektar groß ist der 1940 gegründete Nationalpark. Mit einem Mal hält das Boot inne, der Motor verstummt.
Vielstimmigkeit des Regenwalds
Man ist umgeben von der Vielstimmigkeit des Regenwaldes. Eine Gruppe Papageien schwärmt kreischend aus, ein Red Caped Cardinal sitzt auf einem Mimosa Baum und trällert seine Melodie in die Wildnis. Eichhörnchenaffen hangeln sich aufgeregt von Ast zu Ast. Riesenstörche stolzieren am Ufer entlang und setzen zum ersten Morgenflug an. „Zwischen sechs und acht Uhr morgens ist die beste Zeit, um die erwachende Welt des Amazonas zu erleben“, flüstert Jesús in die Runde.
Auch im Wasser tut sich einiges: Die rosafarbenen Flussdelfine sind bereit zum Frühstück. Viele Legenden der Indios ranken um sie. Menschliche oder göttliche Eigenschaften würden ihnen zugeschrieben, heißt es. Anders als die Meeresdelfine wirken die Flussverwandten eher träge und scheu, sie aalen sich genüsslich in den strömungsarmen Bereichen der Fluss-Seitenarme.
Hunderte Seen
Hoch oben im Capirona, dem typischen Amazonas-Baum, der wegen seines hohen Alters von bis zu 700 Jahren auch Großvaterbaum heißt, sitzt gemütlich ein Perezoso, ein Faultier. Die weit ausgebreiteten Äste des Capirona spiegeln sich im Wasser des Yanayacu Flusses. „Eines der saubersten Gewässer des Amazonas“, sagt Jesús. Die ins Wasser fallenden Blätter filtern und reinigen es zugleich. Hunderte von Seen durchziehen das Gebiet. Zugleich Teil einer Region, in der drei Volksgruppen heimisch sind: Die „River People“, die von den Missionaren abstammen und zu 80 Prozent katholisch sind. Sie sprechen spanisch und leben vom Wasser des Amazonas, „das sie nie abkochen“, sagt Jesús. Ein Grund für ihre geringe Lebenserwartung von durchschnittlich nur 65 Jahren.
"Aborigine People" sind Kannibale
Die „Native People“, die zweite Bevölkerungsgruppe, lebt im Dschungel. Kleidung und Nahrung beziehen sie aus dem Regenwald. „Sie lieben das Feuer, trinken Affenblut gegen Malaria, sind spirituell und werden bis zu 80 Jahre alt“, erzählt der Dschungel-Guide, der es wissen muss, denn er ist hier geboren. Bis zu 100 Jahre alt wird die dritte Volksgruppe – die „Aborigine People“. Sie sind unbekleidet, leben wie Tiere und verehren den Regen. „Kannibalen“, stellt der 32-jährige Jesús klar. Von den rund zwei Millionen Natives und Aborigines seien noch etwa 20 Prozent wild, 58 Stämme gebe es allein in Peru.
In diesem Wissen betrachtet man den Fluss mit anderen Augen. Man sieht die vereinzelten Menschen, manche wohnen in kleinen Dörfern von 100 bis 200 Personen, andere legen ihre Reusen aus und fischen in der Zeit nach dem Hochwasser, wenn die Fischgründe reichhaltig sind.
Buntes Treiben im Dorf
Im kleinen Dorf Urarinas am Rio Zapote herrscht buntes Treiben. Kinder laufen barfüßig über die vermatschten Wege. Ältere nehmen ihre kleinen Geschwister an die Hand. Frauen lächeln, sie bieten ihre Handarbeiten auf einem kleinen Markt den Besuchern an: Schalen aus Kürbissen, Hals und Armschmuck, Rasseln und andere Accessoires wechseln ihren Besitzer. Irgendwann kramt Jesús Malstifte und -blöcke, Bücher und Schulmaterial aus einer großen Tasche hervor. Für die Kinder gibt es jetzt kein Halten mehr. Stolz zeigt jeder seine neuen Errungenschaften.
Ein Tag am Amazonas neigt sich dem Ende zu. Die Beiboote erreichen die Delfin II pünktlich zum Dinner. Noch ist Zeit für einen Aperitif auf dem Oberdeck. Man nippt am Caipirinha und stellt sich vor, wie Jesús, der Mann des Dschungels und Tourist-Guide, sich fühlen mag, wenn er mal wieder zwischen den Welten hin- und herpendelt. Ein Leben für den Amazonas – hier oder dort.