Dresden. Wer auf seiner Wandertour viel Natur und geschichtsträchtige Orte erleben möchte, ist in der Sächsisch-Böhmischen Schweiz genau richtig. Der Weg führt durch pittoreske Felsenlandschaften und vieles sieht aus, wie von Caspar David Friedrich gemalt.
Daphna wartet schon. Ein prüfender Blick auf unsere Wanderschuhe, unseren Wasservorrat und unsere Rucksäcke. Nach Kartenmaterial fragt sie indes nicht. Denn die Wege zu den schönsten Aussichtspunkten der Sächsisch-Böhmischen Schweiz kennt die zertifizierte Nationalparkführerin in- und auswendig. Wie schon so oft wird sie Besucher auf einzelnen Etappen des Malerweges sicher durch eine der spektakulärsten Naturlandschaften Europas geleiten.
Doch was ist das? "Peter", stellt sie uns ihren anderthalbjährigen Sohn vor und hebt ihn in das Tragegestell. Will die Frau wirklich mit dieser Last auf dem Rücken die rund sechsstündige Tour über Stock und Stein durchhalten? Gar noch bergauf wandern, "hochladschn", wie es auf Sächsisch heißt.
Ungerührt schiebt sie die Zweifel beiseite und macht uns die Wanderung schmackhaft: Den Malerweg schmückt nicht nur das Prädikat "schönster", sondern auch "beliebtester" Wanderweg Deutschlands. In acht Etappen führt er über 112 Kilometer vom Liebethaler Grund bei Pirna zum Prebischtor im Böhmischen, dem größten Felsentor Europas, und das auf meist historischen Künstlerpfaden.
Biber, Schwarzstorch und Wasseramsel
Schon tauchen wir in die pittoreske Felsenwildnis des Elbsandsteingebirges ein. Mächtige Tafelberge türmen sich auf. Enge Schluchten und romantische Täler. Wider Erwarten "fähnst" (weint) der blonde Junge nicht. "Wuff-wuff", kommuniziert er mit einem Hund, der des Weges kommt. Im Nationalpark angeleint, versteht sich. Ob er auch die seltenen Tierarten kennt, die seine Mutter nicht müde wird, aufzuzählen?
Die urwüchsige Natur sei Lebensraum etwa von Fischotter, Biber, Schwarzstorch, Wasseramsel und Luchs. Die studierte Biologin macht auf Moose, Farne und andere Pflanzen aufmerksam. Dann zeigt sie uns den Ameisenlöwen und stellt uns einen Käfer als "Milbentaxi" vor.
Angenehme Kühle umgibt uns. Die hochsommerliche "Dämmse" (Hitze) ist in dem urwüchsigen Wald gut zu ertragen. Daphna erklärt das erfrischende "Kellerklima". Dann taucht vor uns plötzlich das Uttewalder Felsentor auf. Drei herabgestürzte Felswände sind in einer kaum mehr als mannsbreiten Schlucht steckengeblieben. Ein Anblick wie gemalt. Und schon holt Daphna aus den Tiefen ihrer Taschen ein Büchlein hervor.
Inspiration für Maler
Ein Bild zeigt genau diese Stelle, gemalt von Caspar David Friedrich (1774-1840) um 1800. Der wohl bedeutendste Maler der deutschen Romantik war nicht der einzige, der hier Motive fand. Die bizarren Felsengebilde und atemberaubenden Aussichten inspirierten ganze Generationen von Künstlern vor und nach ihm.
Auch heutzutage sind vor allem in der Malerwegwoche im August stets Dutzende Maler mit ihren Staffeleien in der Sächsischen Schweiz zu finden. Selbst diesen Begriff haben zwei Maler geprägt: die Schweizer Adrian Zingg (1734-1816) und Anton Graff (1736-1813), die seit 1766 an der Dresdener Kunstakademie lehrten und sich in der Landschaft wohl an ihre Heimat erinnert fühlten.
Inzwischen hat die Wandergruppe den Höllengrund und den Steinernen Tisch erreicht, der 1710 für die kurfürstliche Jagdgesellschaft im Lohmer Wald aufgestellt wurde. Das Pfarrhaus in Lohmen sei erste Anlaufstelle für Reisende gewesen, erzählt Daphna. Denn Pastor Nicolai (1739-1823) hatte 1801 den ersten praktischen Wegweiser mit Karte herausgegeben. Die Eisenbahn tat ab 1851 ein Übriges.
"Boofen" unter freiem Himmel
So wurden die Blicke der Fremden auf die sagenumwobene Region gelenkt. Die "Barbarine" am Pfaffenstein ist angeblich eine versteinerte Jungfrau. Die Ungehorsame wurde bestraft, weil sie anstatt in die Kirche in die Blaubeeren ging. 1905 wurde die 42,70 Meter hohe Felsnadel erstmals bestiegen. Das zerklüftete Felsengewirr mit frei stehenden Felstürmen belebt nicht nur die Fantasie, sondern wurde auch zur Wiege des Freeclimbings.
Es gibt über 1.100 anerkannte Klettergipfel mit fast 17.000 verschiedenen Kletterrouten, und alle Kletterfelsen haben einen Namen. Das "Boofen", Freiübernachten unter einem Felsvorsprung, sei aber nur an gekennzeichneten Plätzen im Nationalpark erlaubt, warnt Daphna.
Als Wahrzeichen der Sächsischen Schweiz überspannt seit 160 Jahren die berühmte steinerne Basteibrücke die fast 80 Meter breite Schlucht "Mardertelle" zur alten Burg Neurathen. Sie war eine von etwa 50 Burgwarten, die schon im 13. Jahrhundert die Handelswege schützten. Die Aussicht von der Bastei ist einzigartig. Der Blick bleibt an mächtigen Tafelbergen und bizarren Sandsteinen hängen, zu deren Füßen sich idyllisch die Elbe schlängelt.
Schiffe durchpflügen den Strom, der dem Elbsandsteingebirge den Namen gab. Die sächsische Dampfschifffahrt feiert in diesem Jahr ihr 175. Jubiläum und hat mit 9 Raddampfern heute die weltweit größte Flotte dieses Schiffstyps.
Geschichtsträchtige Löcher
Vom Basteifelsen gelangen wir über rund 900 Stufen durch die Schwedenlöcher, wo sich die Einwohner samt Hab und Gut im 30-jährigen Krieg vor den Schweden versteckten, zum Amselgrund. Der Amselfall war schon im 19. Jahrhundert Touristenmagnet. Ein kleiner Obolus lässt den künstlich angestauten Wasserfall noch heute rauschen.
Eine willkommene Abwechslung zum Wandern bieten die Ruderboote auf dem Amselsee, der von imposanten Felsformationen wie Storchennest, Bienenkorb, Lokomotive und Lamm eingerahmt ist.
Wenige Schritte weiter erwartet vor mächtiger Felsenkulisse seit 75 Jahren die Naturbühne Rathen je Vorstellung 2.000 Gäste. Der gleichnamige Kurort, dessen Ortsteile links und rechts der Elbe durch eine historische Gierseilfähre verbunden sind, feiert schon sein 750. Jubiläum. Aufgrund seiner zentralen Lage wird er gern als Ausgangspunkt für die Wander- und Bergtouren gewählt.
Über 750 Jahre Geschichte haben auch die Festung Königstein auf 240 Meter Höhe zu einem einzigartigen Baudenkmal werden lassen. Sie gilt als eine der größten Bergfestungen Europas. Neben unterirdischen Befestigungsanlagen gibt es auf dem 9,5 Hektar großen Felsplateau mehr als 50 verschiedene Bauwerke. Im ausgedehnten, unterirdischen Gewölbelabyrinth waren früher Soldaten, Staatsgefangene, Pulvermagazin und der Staatsschatz untergebracht. Heute beherbergen die Kasematten Erlebnisgastronomie.
Peter, der unterwegs von Zeit zu Zeit an einer "Bemme" (bestrichene Brotscheibe) geknabbert hat, ist längst eingeschlafen. Wir beneiden ihn ein bisschen. Denn die abwechslungsreiche Wanderung hat auch uns müde gemacht. (dapd)