Bockenheim. . Die “Traubenmadonna“ ist das Wahrzeichen Bockenheims und Symbol der Deutschen Weinstraße. Der “Edelweinort“ in Rheinland-Pfalz lockt Touristen mit Weinwanderungen und ländlicher Idylle.
Kommen Sie mit“, sagt Sandra Peiper. Die Pfarrsekretärin nimmt die schweren Schlüssel in die Hand und geht voraus, die Treppen hoch zwischen üppigen Gemüsebeeten zur katholischen Kirche St. Lambert. Knarzend öffnet sich die massive Kirchentür, nur langsam gewöhnen sich die Augen ans Halbdunkel. Und da blickt sie gütig vom Seitenaltar auf uns herab: die Traubenmadonna. Zufrieden streckt ihr pausbäckiges Kind dem Betrachter eine Weintraube hin.
Die Traubenmadonna von Bockenheim ist das Symbol der Deutschen Weinstraße und tausendfach auf allen Prospekten abgebildet. Im Ort selbst lässt man sie allerdings meistens in Ruhe. Nein, meint die Pfarrsekretärin, allzu oft wird sie nicht gebeten, die Kirche aufzusperren. Und irgendwie ist das ganze Dorf wie seine berühmte Figur. Man nennt sich zwar stolz „Edelweinort“ und verweist auf 40 aktive Winzer, macht aber sonst nicht viel Aufhebens um sich. Kein Vergleich zu den disneylandartig erstarrten Romantikkulissen weiter südlich auf der Weinstraße. Urlauber? Ja, die dürfen gerne kommen. Aber die Reize der Region müssen sie schon selbst entdecken.
Das ist nicht immer ganz leicht. Mitten durch Bockenheim führt schließlich eine Bundesstraße. Glücklicherweise wird sie zwischen den alten Häusern so eng, dass schon zwei Pkw Mühe haben, aneinander vorbeizukommen.
Ein Franzose lockt mit elsässischen Flammkuchen
Für Lastwagen ist sie sowieso gesperrt. So bleibt dem Fußgänger vom aberwitzig schmalen Trottoir aus Zeit, die Winzergehöfte mit ihren prächtigen Innenhöfen zu bewundern – etwa das weinumrankte Ziegelgebäude von Dieter Bechtel. „Weinproben und Flaschenweinverkauf“ steht auf dem nostalgischen Schild, die Etiketten seiner Weine sind kaum weniger altmodisch. Aber was macht das, wenn man an einem lauen Abend mit Bechtel und Frau am grobgeschnitzten Holztisch sitzt und sich durch das ehrlich gekelterte Sortiment probiert?
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Seit 1935 beginnt Deutschlands älteste und berühmteste Ferienstraße am nördlichen Ortsrand. Jahrzehntelang brachte sie den Bockenheimern allerdings nicht viel mehr als den Auspuffqualm der Urlauberautos. Alles sollte sich ändern, als Ort und Kreis 1995 das „Haus der Deutschen Weinstraße“ errichteten.
Der Brückenbau über die Straße ist angeblich einem römischen Kastell nachgebildet, sieht aber eher aus wie eine Autobahnraststätte und hat die Region trotz Kneipptretbad, Restaurant und Fremdenverkehrsamt nicht in den touristischen Himmel getragen. Aktuell ist das Restaurant wohl geschlossen.
Für den Urlauber erwächst daraus kein großer Nachteil. Schließlich gibt’s genügend Lokale ohne Sichtbetonfassade am Ort. Etwa die „Weinstube Schubing“ im oleander- und feigengeschmückten Innenhof des gleichnamigen Weinguts. Oder den „Landgasthof Neuhäusel“. Den betreibt ein charmanter Franzose, der längst gemerkt hat, dass Bockenheim nicht Paris ist und nun mit elsässischen Flammkuchen lockt. Seit 1517 existiert das Anwesen, bei schönem Wetter sitzt man lauschig im Hof. Unter der Straße gehen die Stollen bis hinüber zum Schloss. Das Neuhäusel hat zahlreiche offene Weine im Ausschank und ist damit fast so etwas wie eine önologische Startrampe.
„Da hinten beginnt Rheinhessen.“ Horst und Angela Benß müssen nur aus dem Fenster sehen. Von ihrem Weingut und Gästehaus mitten in Bockenheims Weinbergen reicht der Blick weit über das Rebenmeer in die Rheinebene und in Richtung Worms. „Das da drüben ist ja schon der Wonnegau.“ Weil ja irgendwas auf dem neuen Weinkeller stehen sollte, haben sie damals, als sie den Aussiedlerhof am Sonnenberg bauten, drei Gästezimmer drauf gesetzt. Längst hat die umtriebige Hausherrin darin ihre Bestimmung gefunden. Legendär sind ihre geselligen Weinproben mit herzhaftem Saumagen vom Metzger aus dem Nachbardorf.
Und wenn ein Wohnmobilfahrer kommt, dann darf er sich einfach auf die Wiese zwischen Haus und Rebzeilen stellen. „Wenn die keinen Strom brauchen, verlangen wir auch nichts.“
Fabrikschlote werden zu Wattestäbchen
Links Brombeerhecke, rechts Weinstöcke: Steil führen die breiten Wirtschaftswege hinter dem Benß’schen Weingut die Hänge hoch. Wer dort die Wanderstiefel schnürt, der gelangt nach einer halben Stunde zur idyllischen Heiligenkirche – oder noch ein Stück höher zur vorchristlichen Kultstätte Katzenstein.
Reise-Weisheiten
Am Wochenende wird dort viel gewandert und Rad gefahren, unter der Woche ist man bei seinen Weinwanderungen fast immer allein. Weit reicht der Blick übers Rheintal bis zum Odenwald. In der Ferne zeichnen sich die Türme des Wormser Doms ab. Und die Fabrikschlote von Ludwigshafen sehen aus der Ferne fast wie Wattestäbchen aus.
Der schönste Platz da oben ist ein Fleck am Bockenheimer Höhenweg. Mit prächtigem Blick auf den Ort steht da unversehens am Wegrand ein kleiner Wehrturm mit Zinnen wie aus einem Ritterfilm. Solche Trulli gibt es in der Region viele, sie sollen einst die Weinarbeiter gebaut haben, die der Kaiser Barbarossa aus Apulien mitgebracht hat. Die verrostete eiserne Steigleiter knarzt ein wenig, wenn man auf den Ausguck hinauf klettert – fast wie die Kirchentür zur Traubenmadonna.