Juist. .
An der Westspitze der Insel ist die Einsamkeit am größten. Der ruppige Westwind treibt den feinen Sand über den Strand, die Körner kitzeln an den Fußgelenken. Hier draußen am Billriff ist Juist zu Ende, hier gibt es nur Sand, Wind und Wasser, die nächsten Dünen sind bei Ebbe über einen Kilometer entfernt. Auf einer Sandbank im Meer recken ein paar Seehunde neugierig die Köpfe. Am Billriff vergisst der einsame Wanderer vieles, vor allem die Hektik und den Stress des Alltags. Das Leben für ein paar Tage oder Wochen zu entschleunigen – auf Juist ist das kinderleicht.
Gut ausgebaute Wanderwege
Die Insulaner nennen Juist, die längste und schmalste der ostfriesischen Inseln, „Töwerland“ (Zauberland), und ein Zauber wohnt der Landschaft in der Tat inne. Die autofreie Insel, auf der noch nicht einmal Elektroautos fahren dürfen, liegt zu einem großen Teil im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer. Auf einem gut ausgebauten, markierten Netz von Wanderwegen kann man die 17 Kilometer lange Insel gut zu Fuß erkunden.
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Die Orientierung auf Juist ist denkbar einfach. Nach Westen führt eine Straße zur Bill, wie die Insulaner das Billriff nennen, nach Osten eine Straße zum Flugplatz und zum Kalfamer, der Ostspitze der Insel mit einem wertvollen Vogelbrutgebiet. Wer sich ein Fahrrad leiht, kann beide Strecken in einem Tag leicht schaffen und dabei noch in den beliebten Ausflugslokalen „Domäne Bill“ oder „Wilhelmshöhe“ einkehren und einen original Juister Rosinenstuten mit Butter genießen. Im Westteil der Insel liegt der Hammersee, eine landschaftshistorische Besonderheit. Bei der Petri-Sturmflut des Jahres 1651 brach die Insel an dieser Stelle auseinander. Bis 1932 waren die Insulaner immer wieder damit beschäftigt, die Teilung der Insel rückgängig zu machen, indem sie den zwei Kilometer breiten Durchbruch von Süden und Norden mit Sand zuschütteten und mit Deichen befestigten.
Fast tägliche Wanderungen ins Watt
Der von Wald und Schilf umgebene Hammersee, einst voll Salzwasser, ist heute der größte Süßwassersee auf einer Nordseeinsel. Eine Rundwanderung dauert etwa eine Stunde. Für Führungen durchs Wattenmeer ist auf Juist vor allem Heino Behring zuständig. Wie schon sein Vater Alfred, der jahrzehntelang Wattführer war, begleitet Heino fast täglich Gruppen ins Watt, buddelt nach Wattwürmern, fängt kleine Krebse und erklärt, wie es zu Springfluten kommt. Nebenbei betreibt er eine Eisdiele, in dem sogar schon sein Namensvetter, Sänger Heino, zu Besuch war.
Das Wattenmeer und die Salzwiesen auf der einen, der feinsandige Nordseestrand auf der anderen Seite – es gibt mehrere Stellen auf Juist, an denen man beides gleichzeitig sieht, wenn man sich nur umdreht. Wie schmal die Insel ist, sieht man zum Beispiel aus der Kuppel des Kurhauses, einem renovierten Prachtbau von 1898 an der Strandpromenade. Heute ist das Haus ein nicht ganz preiswertes Hotel mit großem Wellness-Bereich, in dem die Mitarbeiter an der Rezeption aber dennoch so freundlich sind und Spaziergängern den kostenlosen Aufstieg in die Aussichtskuppel erlauben.
Fähre verkehrt höchstens zweimal täglich
Wer auf Juist Urlaub macht, sucht keinen Rummel, keinen Freizeitstress. Die Touristen, darunter viele Familien mit Kindern, bummeln gern durch das Hauptdorf mit seinen vielen Boutiquen und Restaurants. Sie essen Waffeln im „Lütje Teehuus“ am Janusplatz, lassen Bötchen auf dem Teich am Kurplatz kreisen oder suchen den endlos weiten Strand nach Muscheln und Schnecken ab. Es gibt sogar ein Kino auf der Insel, das sich „Filmtheater mitten im Meer“ nennt und seinen Besuchern in der Saison drei bis fünf Vorstellungen am Tag anbietet – in einem Kinosaal, in dem jeder Platz einen Tisch mit einem Lämpchen hat. Was den Transport von Waren, Post, aber auch Urlaubern angeht, ist kaum eine Nordseeinsel so abhängig von den Gezeiten wie das von Untiefen umgebene Juist.
Die Fähre kommt im Sommer höchstens zweimal am Tag, an manchen Tagen sogar nur einmal, das kann um 10 Uhr morgens sein oder auch um 19 Uhr abends. Nach Plan dauert die Überfahrt 90 Minuten, aber auch das kann variieren, je nachdem ob starker Wind die Geschwindigkeit des auflaufenden Wassers verlangsamt oder nicht. Mit der in Sichtweite liegenden Insel Norderney ist Juist schon wegen des Fährverkehrs nicht zu vergleichen. Denn für Tagestouristen ist Töwerland nur an manchen Tagen im Jahr attraktiv, dann nämlich, wenn die Fähre morgens und abends fährt. Wenn abends dann das Horn im Hafen laut tutet und die Abfahrt verkündet, kehrt in das Dorf wieder Ruhe ein. Nur die Hufe der Pferde, die gemächlich vor ihren Kutschen über die Wilhelmstraße zockeln, zerreißen die abendliche Stille. Doch das ist wirklich ein entspannendes Geräusch.
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